Die Proteste der Studenten gegen die bulgarische Regierung verschärfen sich. Landesweit sind mehr als 15 Universitäten besetzt. In der Hauptstadt Sofia haben die Studenten die Universität blockiert. Sie fordern den Rücktritt der Regierung und Neuwahlen.
Seit einigen Wochen ist die Universität von Sofia bereits besetzt. Am Montag blockierten protestierende Studenten nun die Tore. Ihre Proteste richten sich gegen die Ernennung von Deljan Peewski zum Chef des Geheimdienstes.
Die Tore des Hauptcampus der Universität von Sofia waren am Montagmorgen blockiert, berichtet The Sofia Globe. Sie waren von Studenten blockiert worden, die gegen die Regierung protestieren. Die Protestler fordern den sofortigen Rücktritt der Regierung, Neuwahlen und umfassende politische Reformen.
Die Universität ist bereits seit Ende Oktober besetzt. Doch bisher hatten die Besetzer die Studenten noch in das Gebäude hineingelassen. Nun sind die Zugänge blockiert. Nur Studenten, die den Protest gegen die Regierung ausdrücklich unterstützen, dürfen rein. Alle anderen Studenten und Universitäts-Angestellte müssen draußen bleiben.
Die Verschärfung der Universitäts-Besetzung folgt auf Proteste vom Sonntag im Zentrum der Hauptstadt Sofia, an denen 15.000 Personen teilgenommen haben sollen. Die Protestler forderten den Rücktritt der Regierung.
Die Proteste begannen bereits vor Monaten, nachdem Deljan Peewski zum Chef der Staatssicherheit des Landes ernannt worden war. Die Studenten der Universität von Sofia schlossen sich den Protesten vor einigen Wochen an. Seitdem sind landesweit mehr als 15 Universitäten besetzt worden.
Der Frust in Bulgarien sitzt tief
Der Ärger über Korruption und Vetternwirtschaft treibt das Volk seit Monaten zu Protesten auf die Straße. Auch die deutsche Wirtschaft mischt beim Klüngel auf dem Balkan mit.
Mit Kritik an den Zuständen in ihrem Land haben Kalina Pavlova und ihre Familie nie gespart. Schon als in Bulgarien noch die Kommunisten herrschten, ging es bei den Pavlovas oft hoch her. „Wenn die Türen zu waren, haben wir übers Regime geschimpft, bis uns die Köpfe rot anliefen“, erinnert sich die Architektin. Gründe hatte die Familie reichlich. Pavlovas Großeltern besaßen einst große Ländereien – bis die Kommunisten sie enteigneten.
Jetzt sitzt die zierliche Bulgarin in einem Straßencafé in ihrer Heimatstadt Varna. Draußen flanieren Touristen vorbei und genießen die letzten Spätsommertage. Die Saison geht dem Ende entgegen, an den Stränden der beliebten Schwarzmeermetropole findet man wieder mühelos einen Platz.
Pavlova, die zu den Gründungsmitgliedern der Grünen in Varna gehört, nippt an ihrer Cola und zögert. Natürlich, Bulgarien gelte heute als Demokratie, und privater Land-besitz sei selbstverständlich. „Zufrieden ist das Volk trotzdem nicht“, sagt sie, „der Ärger bei den Menschen wegen der politischen Verhältnisse wird jeden Tag größer, wer kann, verlässt das Land.“ Die Demokratie sei auch ein Vierteljahrhundert nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sehr schwach.
Seit mehr als vier Monaten treffen sich im Zentrum der Hauptstadt Sofia jeden Abend unzufriedene Bürger zu Kundgebungen. Mal kommen einige Hundert, mal zwischen 20.000 und 30.000 Menschen. Es sind nicht die sozial abgehängten, die einkommens-schwachen Bulgaren, die mit Trillerpfeifen, Trommeln und fantasievollen Transparenten den Rücktritt der Regierung fordern. Vielmehr machen hier die gebildeten Angehörigen der Mittelschicht ihrem Ärger über Vetternwirtschaft, Korruption und die Herrschaft der Oligarchen im zweitärmsten aller EU-Länder Luft – nur den Menschen in Rumänien geht es noch schlechter. Büroangestellte in Anzug und Krawatte demonstrieren neben Studenten, Künstlern und Müttern mit Kinderwagen.
Bulgarien in der Hand der TIM-Gruppe
Als die Menschen im Frühjahr auch im fast 500 Kilometer entfernten Varna demons-trierend durch die Straßen zogen, war Pavlova dabei. Was die Grünen-Politikerin vor allem aufregt: die Machenschaften der TIM-Gruppe in ihrer Heimatstadt. TIM, das ist ein weitverzweigtes und undurchsichtiges Netz von weit mehr als 100 Unternehmen mit geschätzten 30.000 Mitarbeitern.
Gegründet haben die Gruppe Anfang der Neunzigerjahre ehemalige Elitesoldaten. Die drei Buchstaben stehen für die Vornamen ihrer Anführer. Ihr erstes Geld sollen sie unter anderem im Drogenhandel, mit Schutzgelderpressung, Autodiebstahl und Zuhälterei verdient haben. Von „Anführern der organisierten Kriminalität“ sprach 2005 der damalige US-Botschafter in Sofia in einem internen Bericht, der im Rahmen der Wikileaks-Enthüllungen bekannt wurde. Das Netzwerk sei „die größte Bedrohung der bulgarischen Wirtschaft“, heißt es dort.
Heute gehören zum TIM-Imperium unter anderem mehrere TV-Sender, eine Zeitung und die Fluggesellschaft Bulgaria Air. Die Führung des undurchsichtigen Netzwerks hat beste Verbindungen in die Politik in der Hauptstadt, vor allem aber in der Schwarzmeerstadt Varna, wo TIM den Großteil seiner Aktivitäten betreibt. Das Konglomerat kontrolliert von dort aus unter anderem den gesamten Getreidehandel im Nordosten Bulgariens.
„Varna gehört TIM“, sagt Georg Tuparev, stellvertretender Vorsitzender der bulgarischen Grünen und einer der besten Kenner des zwielichtigen Geflechts. Bei Privatisierungen haben sich Unternehmen der Gruppe für wenig Geld Filetstücke gesichert, hat Tuparev herausgefunden, außerdem betreibe TIM in Varna noch immer Schutzgelderpressung. Das Netzwerk, behauptet er, verwalte die nationale Pensionskasse und leite daraus auch schon mal höhere Summen in eigene Unternehmen um.
Kaum eine Zeitung traue sich über die fragwürdigen Machenschaften der TIM-Gruppe zu berichten; wer es versuche, werde mit „robusten Methoden“ eingeschüchtert, erzählt Tuparev, der bereits Erfahrungen mit den Einschüchterungsversuchen der Gruppierung gemacht hat. „Eine moderne Form des Feudalismus.“
Reformunfähigkeit führt zur Krise
Mit dem Flaggschiff der TIM-Gruppe, dem Chemie- und Düngemittelkonzern Chimimport, ist der Flughafenbetreiber Fraport verbandelt. Das Joint Venture Fraport Twin Star Airport Management, an dem die Deutschen 60 Prozent halten, hat seinen Sitz in Varna und betreibt dort den Flughafen sowie den Airport in Burgas. Der Dachverband der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre hat die Aktivitäten des MDax-Konzerns in der Vergangenheit mehrfach kritisiert. „Die Fraport AG verstößt gegen das zehnte Prinzip des UN Global Compact, zu dessen Einhaltung sie sich verpflichtet hat“, sagt Bernd Moritz, Vorstandsmitglied des Aktionärsverbands. Doch auch Fraport hält sich bedeckt. Ein Sprecher verweist auf die Zuständigkeit der bulgarischen Justiz.
Zweifelhafte Machenschaften wie die der TIM-Gruppe, geduldet und unterstützt von der Politik, sorgen sowohl bei den Eliten als auch beim einfachen Volk für einen schleichenden, aber stetigen Verlust von Vertrauen in ihr Land. Resignation und Hoffnungslosigkeit greifen um sich. Mehr als eine Million Menschen haben in den vergangenen Jahren Bulgarien den Rücken gekehrt. Vor allem die gut Ausgebildeten versuchen einen neuen Anfang, auch in Deutschland.
Von der Euphorie, die bei der Aufnahme des Landes in die Europäische Union 2007 herrschte, ist nichts mehr zu spüren, im Gegenteil. „Viele Menschen geben Brüssel die Schuld an unserer Misere“, sagt Pavlova. Unsinnige Gerüchte hielten sich, so die Grünen-Politikerin, nach denen Sofia mehr Geld nach Brüssel abführe, als es an Fördergeldern aus EU-Töpfen bekomme.
Dabei sind es die Wirtschafts- und Finanzkrise, vor allem aber die eigene Reform-unfähigkeit und das Geflecht aus korrupten Politikern und Oligarchen, die das Balkan-land lähmen. Die Bilanz ist ernüchternd. Beim Doing-Business-Report der Weltbank fiel Bulgarien innerhalb von fünf Jahren von Platz 46 auf Platz 66. Die jährlichen aus-ländischen Direktinvestitionen sind seit 2008 um 80 Prozent geschrumpft. Beim Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International liegt das Land auf Rang 75, hinter Ghana, Saudi-Arabien und Südafrika.
Als die Krise 2008 zuschlug, rächte sich, dass Bulgarien nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nie wirkliche Reformen unternommen hatte. Anders als in Polen oder der Tschechoslowakei, wo zur Wende alternative Kräfte wie die Solidarnosc und die Charta 77 bereitstanden, dominierten auf dem Balkan nach dem Systemwechsel Apparatschiks aus der zweiten Reihe der einstigen Staatspartei. Die Eliten steckten schnell ihre Reviere ab. Oligarchen begannen, das Land auszuplündern.
„Bulgarien ist viel zu früh in die EU aufgenommen worden“, sagt der bulgarische Journalist Dragomir Ivanov, „hier existieren immer noch die alten Strukturen.“ Das Problem: Der Beitritt zum Club der Reichen, wie Ivanov die EU bezeichnet, habe zweifelhafte Gruppierungen wie TIM erst legitimiert.
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Tag 151 der Proteste in Sofia…
Quellen: PRAVDA TV/wiwo.de/dpa/Deutsche-Wirtschafts-Nachrichten vom 11.11.2013
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