Die kilometerhohe Aschewolke war bis aufs Festland zu sehen. Brodelnd und zischend erhob sich 1963 die Insel Surtsey aus dem Atlantik. Waghalsige Vulkanfilmer dokumentierten das Spektakel vom Flugzeug aus – und für einen Forscher wurde das einzigartige Eiland zur Liebe seines Lebens.
Es zischt. Es donnert und dröhnt. Graue Aschewolken verdüstern den Himmel, das Meer spuckt glühende Lava und Gesteinsbrocken. Es sind spektakuläre Aufnahmen, die dem Isländer Villi Knudsen und seinem Vater Ósvaldur an diesem Tag gelingen, dem Tag, als in der Weite des Atlantiks plötzlich eine Insel auftauchte.
(Foto: Nur wenige Tage nach ihrer Entstehung, hier am 30. November 1963, ist Surtsey bereits über 60 Meter hoch und hat die Form eines Hufeisens)
Am 14. November 1963 wird, rund 30 Kilometer von der isländischen Südküste entfernt, das Eiland Surtsey geboren. Die Knudsens gehören zu den ersten Augenzeugen des Naturspektakels. Sofort, als sie vom Festland aus die gigantische Aschesäule erblicken, steuern Vater und Sohn die Stelle mit zwei Flugzeugen an und bannen das Jahrhundert-ereignis auf 16-Millimeter-Film. Ósvaldur Knudsen ist damals ein berühmter Vulkan-filmer, Villi sein damals 19-jähriger Sohn. Surtsey sollte zu einem Motiv werden, das die beiden noch häufig vor der Linse haben: Dreieinhalb Jahre lang gab der unterseeische Vulkan keine Ruhe und ließ die Insel immer weiter wachsen.
Heute ist Villi Knudsen 69 Jahre alt. Die Erinnerung an dieses historische Ereignis bewahrt er in seinem „Vulkankino“ in Reykjavik. Das Red Rock Cinema mit der rot lackierten Außenfassade befindet sich direkt neben der deutschen Botschaft und zeigt nur Filme über Vulkanausbrüche. So ehrfurchteinflößend das Naturspektakel im November 1963 gewesen sein mag, für den Vulkanexperten war die Eruption, die eine Insel gebahr, nur ein Ausbruch von vielen.
Besondere Gefühle oder Gedanken verbindet der Mann, der als 19-Jähriger mit einem Flugzeug in Richtung Ascheregen aufbrach, nicht damit. „Es war eine normale Eruption. Man steht da nicht, filmt und sagt: ‚Oh, das ist wunderschön'“, erzählt er ganz ruhig, ohne Hektik, ohne Dramatik. Für ihn ist es kein Abenteuer, Vulkanausbrüche zu dokumen-tieren. „Es ist wie eine Militäroperation. Man tut es einfach. Erst später denkt man darüber nach.“ Dann bricht plötzlich etwas aus ihm heraus. Er muss laut loslachen – ohne Erklärung, ohne erkennbaren Grund.
(Foto: Der Vulkanausbruch, der für die Entstehung der Insel verantwortlich ist, begann wahrscheinlich schon einige Tage vor dem 14. November – unbemerkt. In 130 Metern Tiefe trat Magma aus und türmte sich immer weiter auf)
Rasant wachsendes „Lieblingskind“
Auch Erling Ólafsson sieht am 14. November 1963 die schwarz-graue Aschesäule. Als der 14-Jährige das Schauspiel aus seinem Badezimmer erblickt, ahnt er allerdings noch nicht, dass diese Insel einmal zu seiner Lebensaufgabe werden würde. Zu einem Projekt, das ihn nicht mehr loslässt und das er im Gegensatz zu Villi Knudsen heute fast zärtlich sein „Lieblingskind“ nennt.
Ein „Kind“, das rasend schnell wächst. Einen Tag nach dem Ausbruch ist die Insel bereits zehn Meter hoch. Wissenschaftler taufen den Aschehügel, der sich über die Fluten erhebt, Surtsey, benannt nach dem Feuerriesen Surtur, einer isländischen Sagengestalt. Fünf weitere Tage später ist die Insel schon 60 Meter hoch und 600 Meter lang. Die Insel liegt nun wie ein langer Strich im Meer. Am Ende wird sie die Form eines Hufeisens ange-nommen haben. Sehr passend. Denn Ólafsson ist Insektenforscher und Surtsey ein Glücksfall für seine Forschungen.
Als der Vulkan im Juni 1967 erlischt, ist die Insel 2,7 Quadratkilometer groß und damit etwas größer als 378 Fußballfelder. Surtsey wird zum Naturschutzgebiet erklärt, um Geologen und Biologen ein einmaliges Forschungsprojekt zu ermöglichen. Sie können die Entwicklung der Insel mit einem nur minimalen, menschlichen Einfluss beobachten.
Die Surtsey Research Society trägt alle Ergebnisse zusammen. Geologen finden heraus, dass nicht etwa die übergeschwappte und erstarrte Lava Surtsey vor Erosionen schützt, sondern die Asche selbst. Aus ihr ist in den ersten Jahren nach Entstehung der Insel ein Gestein geworden, das Palagonit heißt. Eine wissenschaftliche Sensation. Denn bis dahin hatte man angenommen, dass dieser Stein nur unter Eis entsteht und die Umwandlung von Asche zu Palagonit sehr lange dauert. Surtsey aber hat gezeigt, dass die Hitze die Asche in kurzer Zeit zu dem Gestein zusammenschmilzt.
(Foto: Im Norden Surtseys ist inzwischen eine flache Sandbank entstanden, die im Vordergrund dieses Bildes vom Sommer 2005 gut zu sehen ist)
Ein unerwarteter Erfolg
Erling Ólafsson meint, dass auf Surtsey alles ein wenig schneller geht als erwartet. In nur einem halben Jahrhundert hat sich die Insel zu einem lebendigen Ort entwickelt. „Das ist eine riesige Überraschung“, sagt Ólafsson. „Eine Tier- und Pflanzenwelt, wie sie auf Surtsey vorkommt, findet man nur selten in Island.“ Auf der Insel leben rund 370 Insektenarten, von denen die Hälfte dort dauerhaft siedelt. Ein unerwarteter Erfolg, findet Ólafsson, immerhin gibt es auf ganz Island nur 1200 bekannte Insektenarten.
Doch Surtseys Zukunft ist ungewiss. Die Insel hat bis heute rund die Hälfte ihrer ursprünglichen Fläche verloren. Ólafsson nimmt aber an, dass Surtsey einmal mit steilen, grün bewachsenen Klippen und Kolonien von Papageientauchern enden wird.
Im kommenden Jahr wird Ólafsson ein Buch veröffentlichen, als Geburtstagsgeschenk für „seine“ Insel. Es soll größtenteils Fotos enthalten, um der Welt das sonst unzugängliche Stück Land erfahrbar zu machen. Surtsey lässt Ólafsson nicht los: „Ich weiß, man sollte keines seiner Kinder bevorzugen, aber in diesem Fall geht es nicht anders.“
Unvorhersehbar für den Jungen, der vor 50 Jahren am Badezimmerfenster stand und auf eine bedrohliche Aschewolke starrte, die kilometerweit in den Himmel stieg.
Videos
Quelle: einestages.spiegel.de vom 14.11.2013
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