Droht nach dem Influenza-Virus H7N9 jetzt H6N1? Dieses bei Vögeln häufigste Grippevirus war bisher für Menschen unschädlich. Jetzt aber haben Forscher in Taiwan erstmals eine H6N1-Infektion bei einem Menschen nachgewiesen. Nähere Analysen zeigten, dass dieses Virus bereits eine Mutation trägt, das ihm das Andocken an menschliche Zellen ermöglicht. Es könne sein, dass dieses Virus bereits unter taiwanesischem Geflügel sehr verbreitet sei, so die Forscher im Fachmagzin „The Lancet“.
Die Vogelgrippe ist nichts Neues: Influenza-Viren befallen schon seit tausenden von Jahren Wildvögel und auch Hausgeflügel. Mindestens 15 verschiedene Vogelgrippe-Varianten kennt man heute. Normalerweise sind diese Erreger für Menschen unge-fährlich, denn Unterschiede in ihren Oberflächenproteinen verhindern, dass sie sich an menschliche Zellen andocken und in sie eindringen. Allerdings: Viren können mutieren und diese Oberflächenproteine verändern.
Solche Mutationen haben bereits einige der größten Influenza-Epidemien der Geschichte ausgelöst. Auch die große Grippepandemie von 1918 geht auf einen Influenza-Virus zurück, der ursprünglich bei Vögeln vorkam. Jeder neue Übergang eines Influenza-Virus auf einen Menschen versetzt daher zunächst Seuchenjäger und Forscher in höchste Wachsamkeit. Erst im letzten Jahr sorgte das Influenza-Virus H7N9 für Alarm, in China infizierten weit mehr als hundert Menschen.
Vogelgrippe-Virus mit kleiner Mutation
Einen solchen neuen Fall haben Forscher der Centres for Disease Control in Taiwan nun gemeldet. Sie berichten von einer 20-jährigen Patientin, die im Mai 2013 mit typischen Grippesymptomen ins Krankenhaus kam. Sie litt unter hohem Fieber, trockenem Husten und Atemnot. Die Ärzte nahmen routinemäßig eine Probe von der Schleimhaut, um den Erreger zu identifizieren. Wie sich zeigte, handelte es sich wie erwartet um ein Influenza-Virus – allerdings eine Variante, die bisher nicht als Humanpathogen klassifiziert worden war.
Um Klarheit zu gewinnen, führten die Forscher Genanalysen des Virus durch. Dabei stellte sich heraus, dass es sich um einen alten Bekannten handelte: Influenza H6N1, ein seit 1972 unter Hühnern in Taiwan grassierendes Vogelgrippe-Virus. Die bei der Patientin entdeckte Virenvariante besitzt aber einen kleinen, aber entscheidenden genetischen Unterschied zur Vogelvariante: Eine Genmutation im Hämagglutinin-Protein an seiner Oberfläche ermöglicht es diesem Virenstamm, sich an eine Andockstelle menschlicher Zellen anzulagern. „Dieser Rezeptor – SAα-2,6 – findet sich auf Zellen im oberen Atemwegstrakt“, erklärt Ho-Sheng Wu von der taiwanesischen Seuchenbehörde.
Ansteckungsquelle noch unklar
Noch ist unklar, wie sich die 20-Jährige mit diesem mutierten Virus angesteckt hat und wo dieses entstanden sein könnte. Befragungen der mittlerweile wieder gesundeten Frau ergaben, dass sie weder direkten Kontakt mit Haus- oder Wildgeflügel hatte, noch in den drei Monaten vor ihrer Infektion eine Reise unternommen hatte. Sie arbeitet zudem in einem Delikatessenladen – also nicht unbedingt in einem hochinfektiösen Bereich. Auch in den ihrer Wohnung am nächsten gelegenen Geflügelfarmen wurden keine H6N1-Viren gefunden.
Dennoch halten die Forscher es für möglich, dass dieser Fall nur die Spitze eines Eisbergs sein könnte und dass möglicherweise schon mehr dieser mutierten Viren in Umlauf sind. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine einzigartige Gruppe von H6N1-Viren mit Anpassungen an menschliche Rezeptoren bei taiwanesischen Geflügel schon endemisch und dominant geworden sein könnte“, warnt Wu. Weitere Untersuchungen seien nun nötig, um die potenzielle Gefahr durch dieses Virus zu klären.
In einem begleitenden Kommentar sagt Marion Koopmans vom niederländischen Nationalinstitut für öffentliche Gesundheit: „Wir sollten uns fragen, ob es nicht Zeit ist, unsere Influenza-Überwachung an der Tier-Mensch-Grenze zu überdenken. Es gibt sicherlich eine bessere Möglichkeit, als Menschen als Indikatoren einzusetzen.“
Quellen: The Lancet/scinexx.de vom 15.11.2013
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