Zwischen Bauschutt und Müll – Wie Roma in einer Berliner Laubenkolonie leben

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Jeden Sommer kommen arme Romafamilien aus Rumänien und Bulgarien nach Berlin. Ohne Bleibe lagerten sie in der Vergangenheit oft in Parks. In diesem Jahr haben sie eine ehemalige Laubenkolonie entdeckt, die dem Bau einer Autobahn weichen soll und schon seit Jahren verlassen ist.

Das Gelände der ehemaligen Laubenkolonie ist verwildert: Hüfthoch wachsen Brenn-nesseln und gelb blühendes Unkraut, dazwischen liegt Bauschutt. Es sind die Reste der bereits abgerissenen Gartenlauben. Über dem Gelände wabert der Geruch von modrig feuchtem Holz und Müll. An einer Wäscheleine flattert ein roter Rock, grün glänzende Fliegen brummen über einem Topf mit Essensresten. Auf dem weitläufigen Gelände ist niemand zu sehen.

Ein Trampelpfad führt über Schutthaufen vorbei an kaputten Möbeln, zerbrochenen Glasscheiben. Wenige Meter weiter, die nächste Hütte. Ein junger Mann duckt sich unter einer Türöffnung. Er trägt ein sauberes weißes T-Shirt, knielange Hose, Sneakers, die braunen Unterschenkel sind tätowiert. Der Rumäne bittet mit einer Willkommensgeste hinein.

Gelände wurde vor drei Jahren verlassen

Gabriel, 34 Jahre alt, steht in den Resten einer ehemaligen Laube. Er deutet zur Decke, das Dach ist dicht. Wo einmal Fensterscheiben waren, hat er ein dunkles Tuch gespannt. Der Rumäne deutet ins Halbdunkel. Hinter ihm ist ein Raum zu erkennen, auf dem Boden, eine bezogene Matratze, unter einem Schrank lugt ein Stoffteddy hervor. Er hat alles so vorgefunden. Die Laubenbesitzer haben das Gelände schon vor drei Jahren verlassen.

Gabriel erzählt, dass er aus Medias kommt, einem idyllischen Ort im historischen Siebenbürgen, doch Gabriel macht eine fahrige Handbewegung. Er war lange nicht mehr in der Heimat. Ärger wegen Scheidung, erzählt er, deshalb ist er vor elf Jahren weg aus Rumänien. Erst nach Deutschland, dann nach Frankreich und jetzt, im Berliner Süden. Er versucht, als Zeitungsverkäufer ein paar Euro zu verdienen:

„Ich verkaufe Zeitungen an der Prenzlauer Allee und werden pro verkaufte Zeitung bezahlt. Aber niemand will die Zeitungen kaufen. Die Menschen gehen einfach vorbei und gucken nicht mal hin. Manche haben ein Herz und geben den Armen etwas Geld, aber die meisten hören nicht auf ihr Herz.“

Er streicht sich durch die kurz geschnittenen braunen Haare. Sein größter Wunsch, eine eigene Wohnung. Wie lange er noch illegal auf dem Bauplatz bleiben wird, ohne Wasser ohne Strom, Gabriel schüttelt den Kopf. Hinter einem Brett neben der Tür klemmt ein Zettel, darauf steht: Amaro Foro. Andere aus seiner alten Heimat haben ihm die Adresse zugesteckt, dort gibt es Hilfe, haben sie gesagt. Gabriel stopft das Papier in die Hosen-tasche, läuft den Trampelpfad entlang zwischen den Brennnesseln durch, duckt sich unter einem Loch im Zaun und verschwindet in Richtung S-Bahnhof.

Niemand fühlt sich zuständig

Amaro Foro, Beratungsstelle für Roma und europäische Wanderarbeiter, steht am Eingang vor einem Altbau nicht weit von der Laubenkolonie entfernt in Berlin-Neukölln: Neun Männer und Frauen drängen sich im winzigen Wartezimmer, kein freier Sitzplatz. Im Flur halten zwei junge Frauen Säuglinge im Arm. Leises Gemurmel rumänisch, bulgarisch, serbo-kroatisch, bosnisch, niemand spricht ein Wort deutsch. Ab und zu öffnet sich die Tür des Beratungszimmers.

Mariela Nikolova aus Bulgarien sitzt am einzigen Schreibtisch, füllt im Auftrag ihrer Klienten Formulare für das Jobcenter aus. Sie hebt den Kopf: Niemand in der Stadt fühlt sich zuständig für die Familien auf dem Laubengelände.

„Offizielle Informationen, Anfragen seitens der Senatsverwaltung haben wir nicht bekommen und wir können natürlich auch nicht sagen, wer dafür zuständig ist, wo die Zuständigkeit für das Gelände und die Menschen, die dort leben, liegt.“

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Bei der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung heißt es lediglich, dass das Laubengelände spätestens bis Herbst geräumt wird. Niemand weiß, was mit den Menschen passieren soll, die illegal auf dem Gelände übernachten. Mariela Nikolova hat keine Ahnung, wie viele es genau sind. Eine Familie mit Kindern kennt sie persönlich. Deren neue Übernachtungsadresse: Ein Auto geparkt neben einem der vielen Berliner Parks.

„Für uns ist es wichtig, was mit den Leuten passiert und das ist auch unsere große Sorge, dass wir schon wieder viele Obdachlosenfamilien auf der Straße haben, die eigentlich gar keine Möglichkeiten haben, irgendwo unterzukommen.“

Kein Obdachlosenwohnheim in der Stadt akzeptiert Familien mit kleinen Kindern, außerdem sind die Heime keine Adresse auf Dauer. Ein alter Mann mit Rucksack erscheint in der Tür. Mariela Nikolova nickt ihm zu, schiebt ein ausgefülltes Formular in einen Briefumschlag. Es ist ein Antrag an das Jobcenter auf Hartz IV Leistungen wie zum Beispiel Wohngeld.

Kein Recht auf Grundsicherung

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Auf die Antwort müssen wir meistens wochenlang warten, klagt Mariela Nikolova, fast alle Anträge werden abgelehnt, Begründung: Arbeitssuchende EU-Bürger haben kein Recht auf Grundsicherung.

„Dann wiederum lehnt auch das Sozialamt die Kostenübernahme für ein Obdachlosen-heim ab mit der Begründung als arbeitssuchend hat man kein Recht auf Leistungen und wiederum kein Recht auf Obdachlosenunterkunft. Das ist so ein Spiel in dem wir sitzen und aus dem Kreis können leider ganz viele Familien nicht raus.“

Inzwischen ist es Nachmittag, Mariela Nikolova hat zwölf Beratungstermine hinter sich. Noch immer sitzen Männer und Frauen im Wartezimmer.

„Für uns ist es erst einmal wichtig, dass die Leute wissen, dass sie bei uns Beratung kriegen, obwohl das für unsere Arbeit frustrierend ist, wenn wir nichts in den Händen haben und nichts anbieten können, aber nach den Gesetzen in Berlin ist es halt so.“

Wie viele Familien noch in der Laubensiedlung übernachten, weiß sie nicht. Einige von dort haben sich gemeldet, einen Gabriel aus Medias kennt sie allerdings nicht.

Quellen: dpa/dradio.de vom 28.08.2013

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