Täglich werfen Seeleute Abfall ins Meer und gefährden damit Tiere. Zwar wurde die internationale Verordnung verschärft, um die Verklappung des Mülls zu bestrafen. Doch in Deutschland können Polizisten sie nicht anwenden. Die Regierung setzt die neuen Regeln nicht um.
Der „Lummenfelsen“ auf Helgoland ist ein Dorado für Freunde von Hochseevögeln: Jedes Jahr brüten hier Lummen, Basstölpel, Tordalke, Dreizehenmöwen und Eissturmvögel. Was die Vogelfreunde durch ihre langen Teleobjektive zu sehen bekommen, ist allerdings nicht immer erfreulich, denn zwischen den dichtgedrängten Brutpaaren hängen immer mehr erdrosselte Basstölpel und Lummen, die dort teilweise seit Jahren verwesen. Zum Verhängnis werden ihnen meist Plastikschnüre.
Eigentlich ist das Verklappen von Plastikmüll ins Meer nach dem Internationalen Umweltübereinkommen „Marpol“ verboten. Die „Marpol-Anlage V“ regelt die Müllentsorgung an Bord und wurde zum 1. Januar 2013 nochmals verschärft. Doch die Seeleute wissen, dass sie kaum Gefahr laufen, auf frischer Tat ertappt zu werden.
Selbst wenn sie bei einer Kontrolle erwischt werden, passiert ihnen nichts. Denn die „Marpol-Zuwiderhandlungsverordnung“ wurde von der Bundesregierung noch nicht redaktionell angepasst – sprich: nicht umgesetzt. Das berichtet die NDR-Sendung „Panorama 3“ am Dienstagabend.
In der Praxis sehen die Folgen dann so aus: Täglich ist etwa die Wasserschutzpolizei im Hamburger Hafen unterwegs. Die Beamten kommen unangemeldet und prüfen, ob die Entsorgung von Schweröl und Müll korrekt erfolgt. Sie kontrollieren das Mülltagebuch, dessen Führung „Marpol“ vorschreibt. Darin muss die Schiffsbesatzung die Entsorgung der Abfälle lückenlos dokumentieren.
Vertrösten auf 2014
Die Kontrolle umfasst auch einen Abgleich aller Eintragungen mit den vorgelegten Entsorgungsbelegen. Doch Verstöße können die Polizisten nicht ahnden. Weil eben die Zuwiderhandlungsverordnung nicht gilt.
Die Umsetzung der Verordnung ist eigentlich nur eine Formalie. Zuständig dafür ist das Bundesministerium für Verkehr unter Peter Ramsauer (CSU). Doch bisher ist nichts geschehen. Ein Interview lehnte das Ministerium ab. Es teilte auf Anfrage lediglich mit, dass das „Rechtsetzungsvorhaben“ bis Juni 2014 abgeschlossen sein soll.
Und so gelangt weiterhin Müll von Schiffen in die Nordsee. Dabei drängt die Zeit. Es ist bekannt, dass mehr als 600 Arten mariner Lebewesen vom Müll betroffen sind – „sei es, weil sie sich darin verheddern, weil sie darin leben oder weil sie den Müll fressen“, sagt der Meeresbiologe Richard Thompson von der Universität Plymouth.
Längst habe sich der Plastikmüll in allen Meeren des Planeten ausgebreitet. Im Laufe der Zeit fragmentieren die Müllteile immer stärker, bis sie mikroskopisch klein sind – mit fatalen Folgen: Schon heute gelangt dieses Mikroplastik in die Nahrungskette.
Fast alle Vögel haben Plastik im Magen
Eissturmvögel sind ebenfalls betroffen, auch wenn sie keine Nester aus Plastikmüll bauen. Denn die Vögel sind Allesfresser: „Sie mussten bis vor wenigen Jahrzehnten überhaupt nicht selektiv sein“, erläutert der Meeresbiologe Nils Guse vom Forschungs- und Technologiezentrum Westküste (FTZ) in Büsum.
„Im Prinzip war ein Großteil der Dinge nahe der Meeresoberfläche für sie als Nahrung geeignet.“ Doch was die Vögel für Nahrung halten, sei immer öfter Plastikmüll. „Das heißt, sie können das nicht unterscheiden und fressen dann den Müll an der Meeresoberfläche.“
Anders als etwa Möwen würgen Eissturmvögel unverdauliche Teile nicht heraus. Nieder-ländische Forscher untersuchen die Vögel seit 1982; seit 2002 beteiligen sich alle Nord-seeanrainer an dem Programm. Es sollte eigentlich zeigen, dass die im Jahr 2000 be-schlossenen Maßnahmen zum Schutz der Nordsee greifen. Doch das tun sie nicht. Zwar schwanke der Anteil der Vögel, die Plastik im Magen haben – doch er sinke nie unter 90 Prozent, berichtet Guse. Mittlerweile finden die Forscher in 95 Prozent der Vogelmägen Plastik.
Während in anderen Teilen der Welt ein Großteil des Plastikmülls von Land stammt, sind die Quellen im Bereich der Nordsee vor allem die Schifffahrt und die Fischerei, so das übereinstimmende Fazit zahlreicher Forscher. Ein Grund: Die Entsorgung des Mülls in den Häfen kostet die Schiffseigner und Reedereien Geld. Um diese Kosten zu sparen, werfen manche Seeleute die Abfälle offenbar einfach über Bord.
„Schiffsmüll: Meere verdrecken – Tiere sterben“ im NDR-Fernsehen am 17. September 2013 um 21.15 Uhr.
Quellen: AP/SpiegelOnline vom 17.09.2013
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