Die TV-Nachrichten informieren – aber nur in einer Mischung aus Kindernahrung und Gummibärchen. Das gilt auch für die altehrwürdige „Tagesschau“. Zwölf Regeln zeigen, wie uns die Nachrichtensendungen verdummen.
TV-Nachrichten verdummen mehr, als sie informieren. Nun ja, sagen wir es so: Sie informieren häppchenweise. Die Häppchen entsprechen Babynahrung. Die TV-Nachrichtenmacher halten uns für Kinder oder dumme Erwachsene. Weltweit. Nicht nur in Deutschland. Wohlgemerkt nicht nur TV-Nachrichten der Privatsender, auch der öffentlich-rechtlichen. Selbst die Alte Tante Tagesschau bildet keine Ausnahme mehr. Das sind die Gebote beim Erstellen der TV-Kinderhäppchen:
Gebot 1: Je gefühlsbetonter, desto besser. Deshalb die immer gleiche Frage an alle Korrespondenten „vor Ort“: „Wie fühlen Sie sich?“ Verdammt, das interessiert mich nicht. Ich will informiert werden. Die Gefühle der mir Lieben interessieren mich, nicht jedoch das Innenleben der Reporter(in).
Gebot 2: Befrage unbedingt den „einfachen Menschen auf der Straße“. Kein Nachrichten-beitrag ohne „Vox Populi“. Inzwischen ist auch die Fäkalsprache auf deutsch und fremd-sprachig stubenrein. TV-Zuschauer können und kennen inzwischen das Wort „Sch…“ in mindestens 55 ½ Sprachen. Ist die Sch… oder auch das „Geile“ und „Coole“ von Klein-Moritz oder Klein-Erna „Information“?
Gebot 3: Benutze außer der wohnzimmergetrimmten Fäkal- unbedingt Kindersprache und -denke. Das Wort „Streit“ kennzeichne inhaltlich politische Diskussionen. Kindliche, noch nicht ans Denken gewöhnte Gemüter empfinden Streit als negativ. Er stört das durchaus sympathische Wohlgefühl unserer meist harmoniesüchtigen, denkfaulen Landsleute. Dass zum Denken und daraus abgeleiteten klugen Handeln der Widerspruch gehört und dieser kein Streit ist, sei vergessen. Deshalb müssen widersprechend Denkende als Streithanseln vorgestellt und vorgeführt werden.
Gebot 4: Was bei der Zahnpasta-Reklame der weißbekittelte Zahnarzt-Darsteller, sind beim politischen TV-Bericht Experten-„Statements“ – am liebsten am Schreibtisch, am PC oder vor dem Bücherregal. Dafür bauen mindestens drei TV-Mitarbeiter die Wohnung oder das Büro des Befragten um. Fünf Minuten lang wird die Fachanalyse in Wort und Bild festgehalten. Rund viereinhalb Minuten werden weggeschnitten, 30 Sekunden gesendet, meistens ohne Rückfragen beim Befragten. Ich mache da längst nicht mehr mit, denn wenigstens über meine 30 Sekunden möchte ich selbst bestimmen. „Trauen Sie uns das nicht zu?“ fragte mich kürzlich eine Redakteurin. „Nein, aus Erfahrung, denn meistens erkenne ich mich nicht wieder.“
Gebot 5: Der Bericht sei ausgewogen. Man ist ja „pluralistisch“. Versteht sich. Das sieht dann so aus: RegierungspolitikerIn A sagt X, OppositionspolitikerIn B widerspricht mit Y. 1:1 = ausgewogen. Egal, ob X Unsinn und Y Tiefsinn ist. Es sei denn, der/die TV-ReporterIN fällt das Urteil. Das Es-sei-Denn ist inzwischen längst die Regel, denn merke: Keiner ist so klug wie die jeweils TV-Berichtenden.
Deshalb Gebot 6: Der/die TV-Reporter spreche als tägliche Vorwegnahme des „Wortes zum Sonntag“ mit der Mimik Allwissender das quasi göttliche „Fach“urteil. Es ist, versteht sich ebenfalls, über den Tag hinaus, in die Zukunft weisend, sozusagen prophetisch. „So wird es sein, ich weiß es.“ Millionenfach sprechen die Zuschauenden und Zuhörenden dieses „Wissen“ des TV-Reporters nach. Zeugung, Vervielfachung und Wiederkäuen der „öffentlichen Meinung“. „Und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.“ Das sagte der gute alte Goethe 1792 den unterlegenen Soldaten nach der Kanonade auf dem Schlachtfeld von Valmy. Wir haben es besser: Dem Fernsehen und seinen Reportern sei Dank sind wir, unblutig und ohne Schlachtfeld daheim bequem sitzend, virtuell auf dem Schlachtfeld. Wir sehen und wissen alles. Was wir nicht sehen und wissen, vermitteln uns die Reporter. Pustekuchen.
Gebot 7: Der kommentierende Reporter-Text darf nur scheinbar informativ-analytisch, er muss zumindest teilweise ideologisch bewertend, oft abwertend sein. Tröpfchenweise, kaum merklich, scheinbar neutral wird die herrschende Ideologie dargeboten: Idiotie sei, was die gegen den Strom Schwimmenden bieten, allen voran Marktwirtschaftler (verschrien als „Neo-Liberale“ oder Anhänger des Manchester-Kapitalismus), Konservative, Religiöse, Militärs, Unternehmer und natürlich Banker oder andere Finanzexperten.
Gebot 8: Bediene dich auch bei Auslandsberichten des innenpolitischen Ideologierasters. Es gelte international ebenso wie national: Die Nicht-Mainstream-Praxis, -Theorie und -Ideologie ist Idiotie.
Gebot 9: Befrage zu jedem Thema die immer gleichen Promis. Das sichert Quote, selten Qualität. Doch auf die wird gern zugunsten der Quote verzichtet.
Gebot 10: Verweise für weiterführende Informationen auf die Website der jeweiligen Nachrichtensendung. Das ist endlich eine, nein, die zuverlässigste, ehrlichste Information. Sie besagt nämlich im Klartext: Unsere TV-Nachrichten sind für Idioten. Weil diese Idioten des Lesens nur teilweise mächtig sind, blenden wir in die Sendung nur Wörterhäppchen ein. Wer wirklich des Lesens (und Schreibens?) kundig ist, schaue und lese unsere Website.
Gebot 11: Bilder, Bilder, Bilder. Sie sind und bleiben unersetzlich. Bilder von Menschen, Dingen, Situationen und Sensationen. Doch zu oft halten Zuschauer und auch Bildermacher oder -erklärer das Bild, also den Schein, für das Sein, für die Sache selbst. Der Volksmund weiß es besser: Er spricht vom Trugbild oder sagt „Mehr Schein als Sein“. Nicht jedes Bild ist Wirklichkeit, ja nicht einmal echt, oft ist es gestellt, gar manipuliert. Das gilt besonders für Kriegsbilder und -berichte. Aber Korrespondenten „vor Ort“ sehen alles und wissen alles. Also auch wir. Wirklich?
Gebot 12: Weil wir TV-Nachrichtenmacher, wie unsere Zuschauer, sowieso nicht zwischen Sein und Schein unterscheiden können, dürfen wir auch sprachlich diesen Unterschied verwischen. Deshalb ist es wurscht, ob wir das Wort „scheinbar“ (für nur Scheinendes und nicht Wirkliches) oder „anscheinend“ (für das Deckungsgleiche von Sein und Schein) benutzen.
Fazit: TV-Bilder fördern meistens die Zuschauer-Einbildung, über Inhalte im Bilde, gar gebildet worden zu sein. O Trugbild.
Quellen: Viktor Koen/FocusOnline vom 07.06.2013
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Heute schauen ich eigentlich kein Fernsehen mehr. Bei meinen letzten Versuchen einigen Jahren hier, jedoch, habe ich öfters Wiederholungen der Nachrichten aus den Achtzigern gesehen. (Die Details sind mir nicht mehr im Kopfe, aber irgendeinen Sender hatte Wiederholungen nach dem Thema „heute vor zwanzig Jahren“.)
Diese Wiederholungen waren ungleich besser als die tagesaktuellen nachrichten—obwohl sie keine Animationen hatten und keine dynamische Kartenbilder, obwohl Auslandskorrespondenten sich öfters nur per Stimme/telefonisch meldeten, usw,
Der Grund, in meiner Einschätzung: Damals war das Ziel zu informieren—heute zu unterhalten. Die Zielgruppe damals die, die informiert werden wollten—heute die breitesten erreichbaren Massen.
Eine ähnliche Entwicklung kann man in vielen anderen Bereichen sehen, z.B. bei Sport und Sportsendungen.