Vergewaltigung der Menschenwürde per se – Kinder in den Jobcentern

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Nein, keiner sollte mehr sagen dürfen, er hätte von nichts gewusst. Hartz, Agenda 2010, Schröder, Merkel, Frau von der Leyen, Bundesagentur für Arbeit, Jobcenter, Sanktionen, Leih- und Zeitarbeit sowie das Sozialgesetzbuch II (SGB II) sind Begriffe, die spätestens mit der Einführung von Hartz IV prägend sind. Von Beginn an begleiten sie rund sechs Millionen Arbeitslose, wenn der Medienbegriff Arbeitslose übernommen wird, und stigmatisieren.

Stempel der Hartz-Hetze

Unberücksichtigt in der offiziellen Arbeitslosenstatistik bleiben die Kinder, die in einer Welt und Familie aufwachsen, ohne Chance für einen Start oder Neubeginn aus dem Scham- und Angstland Deutschland. Sie werden in eine Welt hinein geboren, wo sie spätestens im Kindergarten erfahren, dass diese Welt für sie keine Welt darstellen darf. Sie tragen den Stempel der Hartz-Hetze.

Und dabei muss es nicht das äußere Erscheinungsbild sein, welches uns ebenfalls die Medien vorgaukeln. „Hartzer“ reden nicht von Hartz, von ihrer Scham und ihren Ängsten. Ein unausgesprochenes Verhalten, welches sich unbewusst auf die Kinder überträgt. Und Eltern fungieren als Vorbilder, ob still oder leise. Kinder schauen ab und leben „ab“.

Sie schauen und leben ab in zweierlei Hinsicht. Zunächst im Verhalten, aber noch viel schlimmer in ihren Gefühlen und somit zwangsläufig in ihrer Existenz. Auch Reifen nutzen sich mit jeder Fahrt ab, das Profil wird geringer. In dieser Metapher bleibend, kann sich das Profil, die Persönlichkeit eines Kindes nicht frei entwickeln oder wird spätestens bei Eintritt in die Unmenschlichkeit der „Hartz-Maschine“ zurecht gestutzt.

Dieses passiert zumeist schon dann, wenn sie unschuldig ihren 15. Geburtstag feiern und die Eltern als Aufstocker, trotz Vollerwerbstätigkeit durch den rasant steigenden Niedriglohnsektor, nicht mehr vom Lohn leben können. Ein Geburtstag der frei und fröhlich sein sollte. Sie wissen nichts davon, was einige Meter oder Kilometer von ihnen entfernt passiert. Sie ahnen zumeist nicht mal, dass mit wenigen Klicks im System der Jobcenter, aus dem ehemals 14-jährigen jungen unbekannten Menschen ein vielleicht zukünftig gebrandmarkter Mensch mit einer Kundennummer wird.

Mag die Feier noch unbeschwert gewesen sein, wird ein Brief, zusammengesetzt aus vorgefertigten behördlichen Textbausteinen, sie ein paar Wochen später erreichen. Mit Glück ist es „nur“ die Anforderung einer aktuellen Schulbescheinigung. Hat dieser junge Menschen weniger Glück, ist es gleich der erste Termin im Jobcenter, mit der sofortigen Warnung, der Kürzung des Geldes bei Nichterscheinen.

Zahlt das Jobcenter Taschengeld?

Allerdings kann der junge Leser dieses wohl kaum verstehen. Ist die Behördensprache eine Sache, ist die Sache mit der Geldkürzung eine andere. Zahlt ihm das Jobcenter Taschengeld? Das wüsste er. Es bleibt ihm nun nichts anderes übrig, als seine Eltern zu fragen, was der Inhalt bedeutet. Das beklemmende Bauchgefühl und die Unsicherheit etwas nicht zu verstehen, kommt allerdings im entfernten Jobcenter nicht an. Hier arbeitet man schließlich, ohne Ermessenspielraum, nach der rechtskonformen Um-setzung des SGB II. Konformitätsdruck, der im Rechtsraum des SGB II keinen Spielraum zulässt.

Ein junges Mädchen, 17 Jahre alt, erzählte mir mal bei einem meiner „Beratungs-terminen“ von ihrer Scham. Sie benutzte dieses Wort im Zusammenhang mit ihrem fehlenden Schulabschluss. Aus einer anderen Stadt nach Hamburg gezogen, erhoffte sie hier mehr Möglichkeiten in ihrer persönlichen Entwicklung. Sie wollte einen Schulabschluss, die Schwangerschaft durchkreuzte ihre Pläne, die Schule musste sie aussetzen und durfte diese auch nach der Geburt des Kindes nicht mehr besuchen.

Schließlich lag ja Elternzeit vor, so ihre Aussage bei der Anfrage in ihrer ehemaligen Schule. Eigentlich hätte sie nie alleine mein Büro betreten dürfen. Es fehlte die Volljährigkeit und die Eltern aus persönlichen Gründen nicht vor Ort und Stadt. Die Vorgaben forderten eine Eingliederungsvereinbarung. Eine Willenserklärung zum Nachteil der jungen Frau und somit rechtswidrig. Trotzdem wird sie verlangt und diese im rechtskonformen Ausgleich von freigestalteten Benennungen der Pflichten und Rechten unserer „Kunden“.

Die Justitia-Waage zur Benachteiligung der Erwerbslosen, auch bei Minderjährigen. Vergewaltigung der Menschenwürde per se. Vergessen die Zwangsverpflichtungen, dass Erwerbslose ihren Wohnort nicht verlassen dürfen und vergessen die Verpflichtung jede Arbeit anzunehmen. Diese stellen im System keinen freigestalteten Leistungssoll dar, jedoch von jedem Mitarbeiter in den Jobcentern zu erwähnen sind; auch wenn der Mensch schon am Boden liegt: Bewerben kann sich schließlich jeder und stellt somit zumindest eine Norm dar – guter Arbeitsvermittler!

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Vermutlich wird mir das Fehlen dieser Vereinbarung demnächst im Falle meiner Freistellung gerichtlich um die Ohren gehauen. Ist der fehlende Schulabschluss ein wichtiger Punkt der jungen Frau dieser Scham, ist für mich der weitaus größere Aspekt die Aussage dieser jungen Mutter. Scham ist subjektiv und wird von den Menschen unterschiedlich bewertet. Aber eines ist Scham immer: Angst, der Gesellschaft nicht zu genügen, nicht mehr zuzugehören und eine gefühlte Ausgrenzung. Was habe ich falsch gemacht? Eine Ich-bezogene Frage, die durch das System Hartz konstruiert wurde und mit jedem Jahr lebendiger wird. Ausgereifter, perfider, rechtssicherer und gewollt. Und das beschämt mich.

Quelle: altonabloggt.wordpress.com vom 18.05.2013

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