Das Martyrium des Cliff Oase im »Lager« Neuburg an der Donau.
Der Pfaffenhofener Verein »Freundschaft mit Valjevo e.V.«, gegründet während des NATO-Krieges gegen Jugoslawien 1999, engagiert sich neben seiner Solidaritätsarbeit mit der serbischen Partnerstadt auch für in Bayern lebende Flüchtlinge. Mit Blick auf den 20. Jahrestag der Grundgesetzänderung des Asylrechts schildert der Vorsitzende des Vereins, Bernd Duschner, seine Eindrücke aus der »Sammelunterkunft für Asyl-bewerber« in Neuburg an der Donau.
Gibt es bei bayerischer Landesregierung und Behörden Rassismus? Werden gegenüber Asylbewerbern elementarste Grundregeln des Anstandes und der Menschlichkeit mißachtet? Bei solchen Fragen muß ich an die Flüchtlinge in der »Sammelunterkunft für Asylbewerber« in Neuburg an der Donau denken. Einige dieser Menschen sind bereits seit über 15 Jahren gezwungen, ohne Arbeitserlaubnis und ohne jedes Bargeld vor sich hinzuvegetieren. Ohnmächtig müssen sie zusehen, wie sie physisch und psychisch kaputtgehen.
Einmal im Monat bringt unser Verein »Freundschaft mit Valjevo e.V.« Lebensmittel für Kleinkinder in das »Sammellager«. Auch werden Ausflüge mit den Bewohnern organisiert. Bei einem solchen Besuch in Neuburg habe ich vor vier Jahren Cliff Oase kennengelernt. Die rund 450 Asylbewerber, unter ihnen 60 Kinder, sind auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne in nur fünf Gebäuden untergebracht. Sie leben – nur wenige hundert Meter vom Stadtzentrum entfernt – in äußerst beengten Verhältnissen: Ein einziges Zimmer muß jeweils einer ganzen Familie mit ihren Kindern oder zwei bis vier Einzelpersonen als »Wohnung« genügen.
Die hygienischen Verhältnisse sind bedrückend: Dutzende haben sich eine Dusche und wenige Toiletten zu teilen. Eine Privatsphäre gibt es nicht. Auf dem gesamten Areal, dem »Lager«, wie es die Asylbewerber bezeichnen, gibt es keinen Gemeinschaftsraum, wo man sich treffen und austauschen könnte. Die Isolierung der Einzelnen ist gewollt. Sie macht wehrlos.
Zynische Entscheidungen
Cliff Oase ist 30. Er kommt aus dem Distrikt Gulu in Uganda, im Grenzgebiet zum Sudan gelegen, und gehört zur Volksgruppe der Acholi. 2003 kam er nach Deutschland und hat, wie die meisten Asylbewerber in Folge der äußerst restriktiven Gesetzgebung, keine Anerkennung als politischer Flüchtling erhalten. Seit zehn Jahren muß sich Cliff mit einem anderen Mann ein 14 Quadratmeter großes Zimmer im Gebäude »Block B« teilen.
Die bayerische Regierung spricht gerne von Integration, um die sich unsere ausländischen Mitbürger bemühen müßten. Cliff hat wie die meisten Flüchtlinge im »Lager« bis heute keinen Deutschkurs erhalten. Das spart Geld und verhindert, daß die Asylbewerber selbst ihre wenigen Rechte wahrnehmen können. In seinem Ausweis mit dem Aufdruck »Geduldeter« ist klar und unmißverständlich für jedermann zu lesen, daß er in der »Sammelunterkunft« zu wohnen hat und ihm »Erwerbstätigkeit nicht gestattet« ist.
Cliff darf nicht arbeiten, um sich seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Als Ver-pflegung erhält er seit Jahren ausschließlich die immer gleichen Essenspakete. Von den Flüchtlingen werden sie als entmündigend und zutiefst demütigend empfunden. Sie sind verhaßt. In Neuburg werden die Essenspakete jeden Dienstag und Donnerstag zwischen 7.30 Uhr und 9.30 Uhr ausgegeben. Wer zu spät kommt oder den Termin versäumt, für den kennen die Zuständigen kein Pardon: Der bekommt eben nichts. Das heißt dann, ein paar Tage hungern oder bei Freunden um Essen betteln. Wer von den Asylbewerbern in dieser Situation vor einem Schaufenster mit verlockenden Waren in der Innenstadt »durchdreht« und sich aus dem Laden etwas mitnimmt, landet schnell für mehrere Monate im Knast.
Zwar wurde aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 18. Juli 2012 das monatliche Taschengeld für Asylbewerber von bisher menschenverachtenden 40,90 Euro auf 137 Euro erhöht. Der Barbetrag soll ihnen ein Mindestmaß an Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Auch sie sollen wie jeder andere Mensch wenigstens gelegentlich auf einen Kaffee, zu einer Sportveranstaltung, ins Kino gehen oder sich etwas Eigenes kaufen können. Das bayerische Landessozialgericht hat mit seinem Beschluß vom 24. Januar 2013 klargestellt, daß dieses Taschengeld nicht zu Sanktionszwecken gekürzt werden darf.
Aber sind Afrikaner Menschen? Cliff Oase jedenfalls – und er ist bei weitem nicht der einzige Fall im »Lager« – verweigert das zuständige Landratsamt Neuburg-Schrobenhausen bereits seit vielen Jahren jedes Bargeld. Kann man sich vorstellen, welche Ausgrenzung, welche Demütigung es bedeutet, sich niemals eigenes Essen, niemals eigene Kleidung kaufen, niemals in ein Lokal gehen zu können? Mittlerweile hat die Sozialhilfeverwaltung zynisch entschieden, Cliff neben den obligatorischen 16,11 Euro für Gesundheits- und Körperpflegeartikel – Seife, Shampoo, Zahnbürste und Zahncreme werden im Lager nicht gestellt – zumindest 5,91 Euro monatlich als Taschengeld zu gewähren. 5,91 Euro!
Die Regierung von Oberbayern und das Neuburger Landratsamt »rechtfertigen« die Streichung des Taschengeldes mit der Behauptung, Cliff würde nicht genügend bei der Beschaffung seiner Identitätspapiere mitwirken. Er war in der ugandischen Botschaft. Ein Nachweis seiner Identität ist Cliff jedoch nicht möglich. Er hat keine Familienange-hörigen und Bekannten mehr in Uganda. Sein Heimatdistrikt Gulu war ab Mitte der 80er Jahre für mehr als zwei Jahrzehnte Schauplatz eines äußerst blutigen Bürgerkrieges zwischen den Truppen der Zentralregierung und Rebellen im Norden des Landes.
Auf beiden Seiten wurden Zehntausende Heranwachsende als Kindersoldaten zwangs-rekrutiert. Um den Widerstand der Rebellen zu brechen, errichtete der ugandische Machthaber Museveni Konzentrationslager, in die nahezu die gesamte Bevölkerung der Acholi und Langi, nach UN Angaben zwischen 1,4 und 1,8 Millionen Menschen, deportiert wurde. Tausende starben, bevor diese Lager 2009 endgültig aufgelöst wurden. Bis heute besteht die Bevölkerung von Gulu deshalb zum großen Teil aus Binnenflüchtlingen. Diktator Museveni ist übrigens gern gesehener Gast in Berlin und Washington.
Cliff ist schwer traumatisiert: Er wuchs als einziges Kind bei seiner Mutter auf, seinen Vater hat er nie kennengelernt. Mit 14 Jahren wurde er zusammen mit 20 Jungen und Mädchen seines Dorfes von Rebellen entführt. Sie bildeten ihn an Waffen aus, zwangen ihn, bei Kämpfen, Plünderungen und Morden mitzumachen. Nach schrecklichen vier Jahren als Kindersoldat gelang ihm die Flucht in sein Heimatdorf. Dort fanden ihn die Rebellen. Sie mißhandelten ihn, töteten vor seinen Augen seine Mutter und brannten ihr Haus nieder. Cliff konnte entkommen. Es folgte eine monatelange Flucht, auf der er sich von Abfällen auf Müllplätzen und von Erbetteltem ernährte. Ein Geschäftsmann nahm sich seiner an, brachte ihn 2003 nach Deutschland und setzte in ab. Ein neuer Abschnitt seines Martyriums begann.
Therapie verweigert
Cliff muß heute ständig Antidepressiva nehmen. Er klagt über Kopfschmerzen, extreme Schlafstörungen und Alpträume. Der Verein »Exilio« in Lindau hat im Dezember 2012 ein psychologisches Fachgutachten erstellt. Die Diagnose: Eine »sehr schwere post-traumatische Belastungsstörung« (PTBS) und »depressive Symptomatik in Form von Stimmungseinbrüchen, Antriebsminderung und sozialem Rückzug«. Cliff hat trotz seiner Vorgeschichte in Deutschland weder eine ambulante noch eine stationäre psychiatrische Behandlung erhalten.
Die Danuvius-Klinik in Neuburg, Fachklinik für Psychische Erkrankungen, hat dem Landratsamt im Februar 2013 ein ärztliches Attest vorgelegt und zur Aufarbeitung seiner traumatischen Erlebnisse eine Therapie bei »Exilio« ausdrücklich befürwortet. Völlig unbeeindruckt hat das Landratsamt Neuburg die Kostenübernahme mit Brief vom 25. März an Cliff abgelehnt. Er hatte sich Hoffnungen gemacht. Unter Bezugnahme auf Paragraph 4 Asylbewerberleistungsgesetz, der die medizinische Versorgung für Flüchtlinge regelt, heißt es wörtlich in dem Schreiben: »Es besteht kein Anspruch auf eine optimale und bestmögliche Versorgung. Der Leistungsumfang erstreckt sich lediglich auf die im Einzelfall unbedingt notwendigen Maßnahmen. Eine akute Erkrankung bzw. ein akuter Schmerzzustand liegen in Ihrem Fall nicht vor.«
Obwohl sie wissen müssen, daß Cliff im Norden Ugandas die für ihn erforderliche ärztliche Versorgung nicht erhalten kann und ohne jede Lebensperspektive wäre, treiben oberbayerische Regierung und das Neuburger Landratsamt seine Abschiebung voran. Mit Schreiben vom 5. April verlangt das Landratsamt von ihm, sich schnellstens bei der Botschaft von Uganda die Papiere zu besorgen, die für seine Abschiebung benötigt werden. Cliffs Gesundheitszustand hat sich in den letzten Monaten rapide verschlechtert. Er könnte Kosten verursachen, noch schlimmer, sein Fall – nicht der einzige dieser Art in Neuburg – könnte in der breiten Öffentlichkeit bekannt werden.
Was zählen dagegen Menschlichkeit und Menschenrechte?
Quelle: jungewelt.de vom 27.05.2013
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