Deckname »Maitest«: Wie die BRD vor 50 Jahren Korrespondenten von DDR-Medien zum Schweigen bringen wollte

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Am frühen Morgen klingelte es Sturm in unserer Münchner Wohnung. Dann drängten vier Beamte der politischen Polizei in Zivil in den Flur, angeführt von Staatsanwalt Dr. Paul Nappenbach. Den juristischen Flankenschutz lieferte ein richterlicher Durchsuchungsbefehl.

Über die im Grundgesetz garantierte Pressefreiheit stand dort nichts. Alles aber wurde an diesem 14. Mai 1963 im Namen des Rechtsstaats bei uns durchwühlt: Pressebüro, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Bad, das Kinderzimmer mit unseren aus dem Schlaf aufgeschreckten Töchtern im Alter von drei und sieben Jahren, deren Spielsachen – und auch die Kleidung an der Flurgarderobe.

Dort machte ein Beamter eine für ihn alarmierende Entdeckung: einen Polizeiausweis! Dem erregten Ruf »Herr Staatsanwalt, schauen Sie mal!« folgte bald die Enttäuschung: Der Polizist hatte die ­Jacken seiner eigenen Kollegen durchsucht …

Die von den Justiz- und Polizeibehörden der Bundesrepublik zentral koordinierte bundesweite Aktion unter dem Decknamen »Maitest« fand in etwa einem Dutzend Städte statt. Sie richtete sich gegen insgesamt 26 für die Regierung von Konrad Adenauer offenbar unliebsame Journalisten, die für DDR-Medien arbeiteten.

Davon betroffen waren sowohl die vom Bundestag akkreditierten Korrespondenten – alles DDR-Bürger – von Allgemeinem Deutschen Nachrichtendienst (ADN), Neuem Deutschland und DDR-Rundfunk in Bonn als auch die mehr als 20 bei den Länder-regierungen für das Berliner Pressebüro (bpb) der DDR, den Deutschlandsender sowie für DEFA und Fernsehen akkreditierten westdeutschen Journalisten. Ihnen allen wurde »staatsgefährdender Nachrichtendienst«, »Verstoß gegen das KPD-Verbot« von 1956, »Geheimbündelei«, »Agententätigkeit« und ähnliches vorgeworfen. Der CDU/CSU-Pressedienst nannte die Aktion »längst fällig und notwendig«.

Die Medien berichteten, daß 26 Journalisten vorläufig festgenommen und stundenlang verhört wurden und daß bei mehrstündigen Haussuchungen »umfangreiches Belastungs-material sichergestellt« wurde.

Gefährliche Ostermarschlieder

Auch bei uns – meine Frau ist ebenfalls Journalistin – war die Liste der während der vierstündigen Aktion beschlagnahmten »Beweismittel« für unsere angeblichen Verbrechen lang: Etwa ein Dutzend Ausgaben der Zeitung Neues Deutschland, 80 Exemplare des Artikeldienstes von bpb, Broschüren der DDR über die faschistische Vergangenheit von Adenauers Staatssekretär Hans Globke (1898–1973), von Bundesminister Theodor Oberländer (1905–1998) und hohen Gestapo- und SS-Führern in wichtigen Bonner Ämtern.

Dieses Thema interessierte mich als Journalist besonders, und das nicht nur, weil ich aus einer antifaschistischen und verfolgten Familie stamme. Weitere Objekte der Begierde des Staatsanwalts waren die Tonaufnahme der Antikriegsrede von Pastor Martin Niemöller in Kassel und »staatsgefährdende« Schallplatten mit Ostermarschliedern, dem Moorsoldatenlied aus dem KZ Börgermoor, der »Thälmannkolonne« aus dem spanischen Bürgerkrieg und mit Liedern der Arbeiterbewegung, z.B. »Wann wir schreiten Seit’ an Seit’« und »Brüder, zur Sonne, zur Freiheit«. Begründung des Staatsanwalts zur Beschlag-nahme der Platten: Für einen Prozeß sei es wichtig zu wissen, »wie Sie denken«.

Weitere Beweismittel waren: Notizen, private Briefe und Familienfotos, Fotokameras, der Kraftfahrzeugbrief, ein Tonbandgerät mit Musikbändern und dem Mitschnitt einer Bundestagsdebatte zur Polizeiaktion gegen das Magazin Der Spiegel, die ein halbes Jahr zuvor zu einer Diskussion über Pressefreiheit im Adenauer-Staat geführt hatte. Auch ein Stadtplan von Prag sowie ein Programm der Sofioter Oper waren dem Staatsanwalt verdächtig – beide würden beweisen, daß ich in Prag und Sofia gewesen sei. Unser Fernschreiber wurde, wie bei allen anderen betroffenen Journalisten, von der Polizei versiegelt.

Ähnlich wie in München gingen Polizei und Staatsanwaltschaften in Bonn, Karlsruhe, Frankfurt am Main, Düsseldorf, Essen, Hannover, Hildesheim, Hamburg oder Westberlin gegen die Journalisten vor, obwohl sie bei der Bundesregierung und den jeweiligen Landesregierungen für DDR-Medien und andere europäische Publikationen akkreditiert waren. Alle hatten den offiziellen Bundespresseausweis, da sie entweder der Deutschen Journalisten-Union in der IG Druck und Papier oder dem Deutschen Journalisten-verband angehörten. Bei einigen, so bei Hans-Werner Burmeister von bpb in Düsseldorf, wurde der Bundespresseausweis gleich mitgenommen.

Im Gestapo-Büro

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Beim niedersächsischen bpb-Korrespondenten Hugo Braun konfiszierte die Polizei nicht nur Kamera und Auto. Das Gericht erließ einen Haftbefehl und sperrte ihn eine Woche wegen »Verdachts des staatsgefährdenden Nachrichtendienstes« in Untersuchungshaft. Seiner Frau, ebenfalls Journalistin, verweigerte man eine Besuchserlaubnis. Schlimmer noch: Da man in den folgenden Tagen die Post schon vor der Auslieferung beschlag-nahmte, wurde Ursel Braun fünf Tage lang ein Brief mit der Mitteilung vorenthalten, daß ihr Vater – ein politisch Verfolgter des Naziregimes – wegen der Verhaftung seines Schwiegersohns einen Schlaganfall erlitten hatte.

Nach seiner Haftentlassung sollte sich Hugo Braun dreimal die Woche bei der politischen Polizei melden, die konsequenterweise wieder in den Räumen der faschistischen Gestapo in Hildesheim residierte, in denen bereits sein Vater, ein bekannter Gewerkschafts-funktionär, und seine Mutter verhört und mißhandelt worden waren. Er weigerte sich, legte Beschwerde ein, die vom Landgericht Lüneburg mit der Begründung abgelehnt wurde, es handele sich »um ein Verfahren um politischer Straftaten willen (…). Daß in jenen Räumen in vergangenen Zeiten die Gestapo untergebracht war, hat mit diesem Verfahren nichts zu tun.«

Alle betroffenen Korrespondenten protestierten gegen die Polizei- und Justizaktion. In meiner Presseerklärung hieß es: »Journalisten, deren Ansichten nicht mit der Re-gierungspolitik übereinstimmen, sollen eingeschüchtert und mundtot gemacht werden. (…) Es ist lächerlich zu behaupten, daß meine journalistische Tätigkeit den Bestand der Bundesrepublik gefährde. (…) Solche Polizeiaktionen sind es, die dem Ansehen der Bundesrepublik im In- und Ausland beträchtlichen Schaden zufügen.« Von wenigen Ausnahmen abgesehen zeigte die westdeutsche Presse nach der Aktion »Maitest« keine Solidarität mit den Journalisten, sondern übernahm die offizielle Version der Regierung. Der Spiegel, der ja kurz zuvor Polizei- und Justizwillkür in der »Spiegel-Affäre« selbst zu spüren bekommen hatte, behauptete am 19. Juni 1963: »Die Aktion – Deckname:

›Maitest‹ – war rechtlich unanfechtbar: Die Zonen-Männer standen im Verdacht, ihre journalistische Tätigkeit mit landesverräterischem Nachrichtendienst verbunden zu haben.«

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»Maitest« war keine Einzelaktion, sondern der Höhepunkt einer Jahre andauernden Serie von Polizei- und Justizmaßnahmen gegen Journalisten, die als Bundesbürger für DDR-Medien arbeiteten. Sie mußten schon zuvor oftmals lange Ermittlungsverfahren durchstehen, zuweilen mehrere zur gleichen Zeit – gegen meine Frau und mich in München unter anderem wegen Bezugs der Zeitung Neues Deutschland, wegen eines Fotos von Landvermessern bei der Flurbereinigung oder wegen Notizen und Fotos bei einer Gedenkveranstaltung für den jungen Münchner Kommunisten Philipp Müller, der von der Polizei 1952 in Essen bei einer Demonstration gegen die Wiederbewaffnung erschossen worden war. Hugo Braun beschwerte sich bereits 1961 bei den zuständigen Behörden: »Ich sehe in den ständigen Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Lüneburg eine ungesetzliche Behinderung meiner journalistischen Arbeit.« Der Lüneburger Staatsanwalt von Lücken habe ihm erklärt, es würden immer wieder neue Ermittlungsverfahren eingeleitet, »bis es auch mit Ihnen eines Tages vorbei ist«.

Agentenwerbung

Bereits im September 1961 ging es auf der Innenministerkonferenz der Länder in Saar-brücken darum, an BRD-Journalisten, die für die DDR schreiben, »grundsätzlich« keine Presseausweise mehr auszugeben. Bayern hatte das vorgeschlagen, und Bonn schloß sich dieser Ansicht an (BArch B 106/71856). Am 17. Oktober 1961 forderte das Bundes-kriminalamt alle Landeskriminalämter auf, jeden ab 1953 bekanntgewordenen Fall der Tätigkeit von DDR-Korrespondenten zu melden. Als erstes ließ sich die Bundespresse-konferenz in Bonn von der Bundesregierung instrumentalisieren und schloß am 23. November 1961 die offiziell akkreditierten DDR-Journalisten aus, was eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer Arbeit bedeutete.

Das Jahr 1962 begann damit, daß die Behörden zur Abwechselung den psychologischen Krieg gegen die Journalisten probierten. Mehrere Korrespondenten versuchte man mit Horrormeldungen über eine angeblich drohende Verhaftung durch DDR-Behörden zu einer Arbeit für bundesdeutsche Geheimdienste zu veranlassen. Ich selbst wurde im Beisein meiner Frau von einem Herrn »Weißbach« von der Staatsschutzabteilung des bayerischen Innenministeriums aufgefordert, »nicht mehr für das System der Unfreiheit zu arbeiten«, sondern Informationen über die illegale KPD zu liefern. Als ich ablehnte, drohte er: »Das werden Sie noch einmal bereuen.«

Einige Monate später erklärte man mir im Innenministerium, jeder westdeutsche Journalist müsse sich darüber klarsein, mit seiner Arbeit für die DDR-Presse ein »großes Berufsrisiko« eingegangen zu sein. Meine Meldungen dienten angeblich dazu, die Bundesrepublik zu beseitigen und sie in die DDR einzugliedern. Das Sicherste wäre, so riet man mir, »nur für westliche Zeitungen zu arbeiten oder sich einen neuen Beruf zu suchen«. 1962 wurde mir monatelang durch die politische Polizei verboten, bei Veranstaltungen mitzuschreiben oder zu fotografieren.

Aus den im Bundesarchiv lagernden Dokumenten geht hervor, daß Beobachtung und Ver-folgung der DDR-Korrespondenten durch Verfassungsschutz, Polizei und Justiz schon wesentlich früher begonnen hatten. Bereits 1956 warnte das Bundesamt für Verfassungs-schutz (BfV) unter Hubert Schrübbers zum ersten Mal vor dem Berliner Pressebüro und schickte eine entsprechende Information an alle Landesinnenminister. Am 31. Mai 1957 wies der BfV-Präsident die Minister darauf hin, daß bpb-Korrespondenten über den Atomwaffenprotest der 18 Göttinger Professoren berichtet hätten (BArch B 106/72855).

Am 8. Januar 1962 verbreitete das BfV in seinem Informationsspiegel unter der Über-schrift »Zonenkorrespondenten als Spione« die Nachricht: »Fast alle Auslands-korrespondenten von ADN (…) sind nach Angaben des geflüchteten Ostberliner Geheimdienstoffiziers Günter Männel als Spione tätig« (BArch B 141/30633, Blatt 185). Offenbar wollte der Verfassungsschutz so die richtige Stimmung für die bevorstehende Innenministerkonferenz Mitte Februar 1962 in Westberlin schaffen, auf der dann beschlossen wurde, die Arbeit der für die DDR tätigen Journalisten zu unterbinden.
NSDAP und SA und SS

Gerade der Name Schrübbers macht deutlich, in welch politischem Umfeld die Hatz auf linke Journalisten in den 50er und 60er Jahren stattfand, denn die Aktion »Maitest« hatte nicht nur mit Kaltem Krieg und offenem Antikommunismus der BRD zu tun. Recherchen zeigen auch die faschistische Vergangenheit aller Verantwortlichen für die Strafaktion. So war der 1955 von CDU-Bundes­innenminister Gerhard Schröder (Mitglied von NSDAP und SA) ernannte Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Schrübbers, ein ehemaliger Nazirichter und SA-Mann. Erst 1972 schickte ihn Bonn deswegen in den »Ruhestand«.

BfV-Vizepräsident von 1951 bis 1964 war Albert Radke, Oberst der faschistischen Militärabwehr. Sein Nachfolger wurde Ernst Brückner (NSDAP), der zuvor (1952–1964) im Bundeskriminalamt die Sicherungsgruppe leitete, in der die Aktion »Maitest« koordiniert wurde. Da die Journalisten als »Agenten« der DDR verunglimpft wurden, war auch der Chef der BfV-Abteilung »Spionageabwehr«, Richard Gerken (SS-Hauptsturmführer und Mitglied der Gestapo), bei »Maitest« dabei. Schrübbers Nachfolger wurde 1972 Günther Nollau, ebenfalls ­NSDAP-Mitglied. Diese Schatten der Vergangenheit reichen bis zum NSU-Verfassungsschutzskandal heute.

Auch die federführenden Minister bei »Maitest« fielen durch tiefbraune Färbung auf, so der damalige Chef des Justizressorts, Ewald Bucher (FDP), der der NSDAP und der SA angehört hatte. Bundesinnenminister Hermann Höcherl (CSU), der Nachfolger Schröders, als der Außenminister wurde, war bereits seit 1931 mit kurzer Unterbrechung Mitglied der Nazipartei.

Weitere wichtige Landesinnenminister, die der faschistischen Partei angehört hatten und die Aktion gegen die Journalisten beförderten, waren Willi Weyer (FDP) aus Nordrhein-Westfalen sowie Helmut Lemke (CDU), später Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Auch der durch seine Mordurteile berüchtigte Marinerichter Hans Filbinger (CDU), Innenminister von Baden-Württemberg (1960–1966) unter dem Minister-präsidenten und späteren Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (früher NSDAP), gehörte dazu. Bayerns späterer Ministerpräsident Alfons Goppel (CSU), der als Innenminister »Maitest« wesentlich vorantrieb, war 1933 der SA und 1937 der NSDAP beigetreten.1

Bald nach dem Beschluß der Innenministerkonferenz Mitte Februar 1962 über Maß-nahmen gegen DDR-Korrespondenten starteten einige Medien mit offenbar guten Beziehungen zur Regierung eine regelrechte Hetzkampagne. So schrieb die Westberliner Zeitung Der Abend am 9. März 1962 unter der Überschrift »Fünfte Kolonne«: »Solange die Bundesbehörden nicht energisch gegen diese ›Fünfte Kolonne‹ einschreiten, wird der Beschluß, verstärkt gegen rote Infiltration und Propaganda vorzugehen, Stückwerk bleiben.«

Der Sender Freies Berlin griff das am 14. März auf und meldete: »Pankow hat in der Bundesrepublik eine fünfte Kolonne für seine Propagandaarbeit mobilisiert.« Den Startschuß für die Kampagne hatte am 1. März das von Bonn subventionierte rechte Wochenblatt Das Deutsche Wort gegeben. Es behauptete, die »roten Reporter« seien »primär Agenten« und leitete daraus die »grundlegende Forderung« ab, »daß allen Reportern des Teufels das Handwerk gelegt wird«. Chefredakteur der Zeitung war Hugo Wellems. Er trat bereits 1930 der NSDAP bei, kämpfte in der »Legion Condor« gegen die spanische Republik und war unter Hitler Referent im »Reichsministerium für Volksauf-klärung und Propaganda«. Nach dem Krieg arbeitete Wellems fünf Jahre für US-Geheim-dienste, trat dann der Deutschen Partei (DP) unter dem damaligen Bundesverkehrs-minister Hans-Christoph Seebohm bei und leitete von 1967 bis 1995 das Ostpreußenblatt.

Bei der Verschärfung der Maßnahmen gegen die linken Journalisten machte Bayern den Vorreiter. Innenressortchef Goppel verbreitete am 24. April 1962 unter Berufung auf die Beschlüsse der Innenministerkonferenz als erster eine fünf Seiten umfassende Anweisung an alle Polizeidienststellen (»VS Nur für den Dienstgebrauch«), in der es heißt: »Trifft die Polizei Presse-, Bild-, Rundfunk- und Fernsehreporter, die für Presse, Rundfunk und Fernsehfunk der SBZ arbeiten, dabei an, daß sie Informationsmaterial in Wort, Bild und Ton sammeln, so hat sie diese Tätigkeit grundsätzlich zu unterbinden, soweit nach Sachlage geboten, das gesammelte Material sicherzustellen und zu prüfen und die Reporter vom Platz zu verweisen« (BArch B 106/71856). Der Beschluß ging an alle Landes­innenminister.

Bis zum Jahresende teilten die Länder dann mit, daß sie ähnliche Maßnahmen wie in Bayern angeordnet hätten. Anfang Januar 1963 schienen die Vorbereitungen für »Maitest« abgeschlossen. Nur der niedersächsische Innenminister kam ins Grübeln. Am 4. Januar schrieb er an den Bundes­innenminister, bei einem »nachrichtenpolizeilichen Einsatz« anläßlich eines Bauernprotests in Lüneburg habe man herausgefunden, daß ein Journalist der westdeutschen Nachrichtenagentur DPA Bilder und Meldungen darüber »laut vertraglicher Vereinbarungen« von Hamburg an die DDR-Agentur ADN nach Ostberlin übermitteln werde. Er schlußfolgerte: »Sollten derartige Gepflogenheiten den Tatsachen entsprechen, würden nach hiesiger Auffassung polizeiliche Maßnahmen, die sich gegen für sowjetzonale Einrichtungen arbeitende Reporter richten, im gewissen Sinne indirekt unterlaufen (…)« (­BArch B 106/71856). Konsequenterweise, so mag man in Hannover überlegt haben, müßte man ja nun auch DPA verbieten.

»Schlimmer als die Spiegel-Aktion«

Dann entdeckten die Bayern noch etwas ganz Außergewöhnliches: Einen Fernschreiber! Manfred Schreiber hatte ihn aufgespürt – der Münchner Kriminaldirektor und spätere Polizeipräsident. Am 8. April 1963 informierte er den Innenminister, die Polizei habe bei einer Wohnungsdurchsuchung »wegen Verdachts der Agententätigkeit« bei Horst Schäfer »einen an das öffentliche Netz angeschlossenen Fernschreiber festgestellt«.

Der Minister protestierte unter Hinweis auf diese sensationelle Information beim Bundesinnenminister: »Daß die in der Bundesrepublik für die SBZ tätigen Reporter Fernschreibverbindungen nach Ostberlin unterhalten dürfen, mutet zunächst wie ein Witz an.« Bayern bittet, »möglichst bald an den Herrn Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen heranzutreten und zu klären, ob die rechtliche Möglichkeit besteht, diesen Fernschreibverkehr zu unterbinden« (BArch B 106/71856). Was der Bundesinnenminister auch 14 Tage vor der Aktion »Maitest« erledigte.

Ohne die Antwort des Postministers abzuwarten, wurden die Fernschreiber der Journalisten bei der Polizeiaktion am 14. Mai 1963 von Polizei und Staatsanwalt versiegelt oder sogar beschlagnahmt und abtransportiert. Die Bonner ADN-Korrespondenten durften ihren erst 1966 wieder abholen. Am längsten bekam bpb-Korrespondent Hugo Braun die Auswirkungen von »Maitest« zu spüren: Sein Haftbefehl wurde erst am 22. Juli 1963 aufgehoben, sein Auto bekam er nach drei Monaten zurück – aber ohne Kraftfahrzeugbrief, den er erst im September 1965 erhielt. I

m Mai 1964 zog die Bundesanwaltschaft das Verfahren mit der abenteuerlichen Begründung an sich, ADN und bpb seien »eine Teilgliederung des Agentennetzes der SED/KPD« und Hugo Braun ein »Rädelsführer«. Nach dreieinhalb Jahren gab ihm die Polizei Kamera sowie Arbeitsmaterial zurück. Und am 15. Juni 1970 – nach sieben Jahren! – beschloß der Generalbundesanwalt die Einstellung des Verfahrens zu Lasten der Staatskasse. Auch bei dem Bildjournalisten Klaus Rose aus Hannover war der »Rechtsstaat« nicht zimperlich: Rose wurde erst nach 33 Tagen aus der Untersuchungshaft entlassen.

Im übrigen: Keine der Haussuchungen, auch nicht das »umfangreiche Belastungs-material«, das am 14. Mai 1963 angeblich bei allen Journalisten beschlagnahmt worden war, hat zu einer Anklage geführt. Alle Ermittlungsverfahren mußten eingestellt werden. Dazu schrieb der bekannte Publizist und Historiker Sebastian Haffner im Stern am 30. Juni 1963: »Bei der Spiegel-Aktion hat sich gezeigt, wessen (…) Juristen in der Bundes-republik knapp zwei Jahrzehnte nach Hitler wieder fähig sind; und niemand von ihnen ist bisher zur Verantwortung gezogen worden.

Statt dessen hat man jetzt wiederum Verhaftungen und Durchsuchungen ›auf Verdacht‹ erleben müssen: Im Fall der ostdeutschen Pressekorrespondenten und Rundfunk-redakteure. Dieser Fall ist eigentlich noch schlimmer als die Spiegel-Aktion, weil man sich nicht einmal mehr (…) die Mühe gemacht hat, eine konkrete Anschuldigung vorzubringen.«

Über den Autor:

Horst Schäfer war von 1956 bis 1972 Korrespondent des Berliner Pressebüros (bpb) in München. bpb war eine DDR-Presseagentur, die in vielen Bundesländern mit BRD-Journalisten zusammenarbeitete. 1972 siedelte der Bundesbürger Horst Schäfer in die DDR über. Von nun an berichtete er u.a. aus den USA für DDR-Medien

Quelle: jungewelt.de vom 14.05.2013

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0 comments on “Deckname »Maitest«: Wie die BRD vor 50 Jahren Korrespondenten von DDR-Medien zum Schweigen bringen wollte

  1. Meine Güte, so alte Geschichten … lass das Gestern los und lebe im Heute, denn das Morgen ist immer ungewiss. Genau betrachtet existiert immer nur das Heute, und das jederzeit 🙂

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