Wie im Zeitraffer scheint Frankreich auf einen Abgrund zuzurasen. Während die Wirtschaftskrise immer schwerer wird, scheint die politische Führung um Präsident François Hollande wie gelähmt. Da hilft auch keine medienwirksame Veröffentlichung der Ministergehälter.
„Keine Skandale mehr.“ So lautete das Versprechen von Frankreichs Präsident François Hollandes, als er vor einem Jahr im Élysée-Palast die Amtsgeschäfte von seinem Vor-gänger Nicolas Sarkozy übernahm. Nach zwölf Monatem kann Hollandes Vorhaben einer „tugendhaften Republik“ als grandios gescheitert bezeichnet werden. Ausgerechnet der Finanzminister Jérôme Cahuzac, der für Hollandes Pläne einer Reichensteuer und den Kampf gegen Steuerhinterziehung zuständig war, hat sich selbst als veritabler Steuer-hinterzieher entpuppt, der Parlament und Volk obendrein über Wochen dreist belogen hat.
Als wäre die Wirkung der Affäre Cahuzac nicht schon verheerend genug, sorgt nun auch noch Hollandes langjähriger Wahlkampfmanager Jean-Jacques Augier für Schlagzeilen. Der Vorwurf gegen ihn: zwei Briefkastenfirmen in einer Karibik-Steueroase.
Resultat der aktuellen Aufdeckungen ist, dass mittlerweile 77 Prozent der Franzosen ihre Politiker für „häufig korrupt“ halten. Der Vertrauensverlust in die politischen Eliten geht allerdings nicht allein auf das Konto von Hollandes Parti Socialiste. Erneut ins Visier der Justiz ist auch Sarkozy von der bürgerlichen UMP geraten. Der Vorwurf gegen Frankreichs Ex-Präsidenten: Er soll die Altersschwäche der Milliardärin Liliane Bettencourt (Kosmetikkonzern L’Oréal) ausgenutzt haben, um von ihr Wahlspenden zu erhalten.
Erhärtet sich der Verdacht, dann dürften Sarkozys jüngste Pläne für eine Rückkehr in die Politik erst einmal obsolet sein. Einen unerwarteten Verlauf könnte auch die Karriere-planung der französischen Chefin des Internationalen Währungsfonds Christine Lagarde nehmen. Wegen des Verdachts der Korruption während ihrer Amtszeit als Wirtschafts-ministerin in den 1990er Jahren erschienen unlängst Beamte in Lagardes Pariser Privatwohnung zu einer Hausdurchsuchung.
Der um sich greifende Vertrauensverlust der Franzosen in ihre politischen Eliten trifft das Land in einer ohnehin brisanten Lage: Der wirtschaftliche Niedergang Frankreichs hält unvermindert an. Mit inzwischen 3,2 Millionen Arbeitslosen ist fast die Rekord-marke des Jahres 1997 erreicht, ohne dass Besserung in Sicht ist. Die Arbeitslosenrate, die allein seit Hollandes Amtsantritt noch einmal über zehn Prozent zugelegt hat, ist Garant für weiter steigende Staatsausgaben. Gleichzeitig ist bisher völlig schleierhaft, wo und wann Hollande eigentlich den Rotstift ansetzen will, um die Staatsausgaben unter Kontrolle zu bringen.
Während die Zustimmung für Hollande auf den historischen Tiefstand von 25 Prozent abgesackt ist, sind die wirklich „heißen Eisen“ der Amtszeit noch nicht einmal angepackt. Bisher noch in der Schublade ist etwa ein Plan, um die Kostenexplosion im Rentensystem einzudämmen. Im Kern des Projekts, das auf Druck der EU zustande gekommen sein soll, steht die Abkoppelung der Rentenentwicklung von der offiziellen Inflationsrate, so der Informationsdienst Bloomberg.
Zumindest aktuell ist kaum vorstellbar, wie Hollande das Reizthema Rentenreform politisch unbeschadet überstehen will. Wie schon der damalige Premier Alain Juppé im Jahr 1995 leidvoll erfahren musste, bringt das Thema Rente problemlos Millionen Franzosen wochenlang zu Massenprotesten auf die Straße.
Die aktuelle Mischung aus politischer, moralischer und wirtschaftlicher Krise hat inzwischen dazu geführt, dass erste Abgesänge auf die Fünfte Republik laut werden. Beobachter fühlen sich zunehmend an die „années 1930“ erinnert. Frankreichs unheilvolle 1930er Jahre, in denen sich Krisen in Wirtschaft, Finanzen und Politik gegenseitig hochschaukelten und das Land paralysierten.
Quelle: preussische-allgemeine.de vom 19.04.2013
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