Durch den Einsturz des Gebäudekomplexes »Rana Plaza« am Mittwoch in einem Vorort der Hauptstadt Dhaka ist die Bekleidungsindustrie Bangladeschs wieder in den Fokus gerückt. Unter den inzwischen knapp 200 Toten und mehr als 1000 Verletzten sind sehr viele Textilarbeiterinnen. Die Bemühungen um Rettung der unter Schutt und Trümmern Eingeklemmten sowie um Bergung der Toten hielten am Donnerstag unvermindert an.
In dem mehrstöckigen Geschäftshaus produzierten vier Textilunternehmen überwiegend für den Export. Eine davon ist die Firma New Wave, auf deren Internetseite 27 Haupt-kunden aus Deutschland, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Irland, Spanien und den USA stehen. Überlebende erklärten, daß sie zur Arbeit gezwungen worden waren, obwohl bereits am Dienstag Risse in der Gebäudestruktur festgestellt worden seien und die Industriepolizei die Räumung angeordnet habe.
Der Eigentümer habe jedoch Ingenieure angeheuert, die alle Bedenken ausräumten. So sei den Arbeiterinnen am Mittwoch von Vorgesetzten gedroht worden, wer sich nicht an die Nähmaschinen setze, verliere seinen Job. Derartiges gehört zum Alltag in der Branche. Hinzu kommen die miserablen Arbeitsbedingungen und die niedrigen Löhne. Die noch in den Kinderschuhen steckenden Gewerkschaften mucken selten auf.
Im November vorigen Jahres gab es deshalb nach dem Großbrand im Textilbetrieb Tazreen Fashions, bei dem über hundert Menschen ums Leben kamen, Massenproteste in Dhaka. Mehr als 10000 in der Branche Beschäftigte beteiligten sich an den Kundge-bungen. Bei Untersuchungen nach dem Brand war bekanntgeworden, daß es in der Fabrik keine Notausgänge gab oder diese nicht zugänglich und die Tore verschlossen waren. Der Brandschutz funktionierte nicht und der Besitzer hatte ohne Genehmigung mehrere Etagen auf das Gebäude bauen lassen.
Nach Angaben der in Amsterdam ansässigen Nichtregierungsorganisation »Clean Clothes Campaign« kamen seit 2006 bei Bränden in der Textilbranche Bangladeschs ungefähr 700 Menschen ums Leben; die Toten von »Rana Plaza« sind da noch nicht mitgerechnet.
Selbst die Weltbank bescheinigt der Bekleidungsindustrie Bangladeschs eine »schwere Imagekrise«. Allerdings erwähnt sie nicht, daß dazu solche Großabnehmer wie Walmart, H&M, Sears, Gap, Tommy Hilfiger, C&A oder KiK ihren Beitrag leisten. Diese schauen weg, geben sich ahnungslos oder machen haltlose Versprechungen. In Wirklichkeit üben sie nicht genügend Druck auf die Produzenten aus, damit diese für menschenwürdige Arbeitsbedingungen sorgen. Die Großkunden lockt Bangladesch als Billignähstube der Welt mit Minimallöhnen von monatlich 37 Dollar.
Zu Recht stellte Laia Blanch von der britischen Organisation »War on Want« gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters fest: »Es ist furchtbar, daß führende Markenfirmen sowie Regierungen es weiterhin erlauben, daß Textilarbeiter in unsicheren Betrieben, die Kleidung für Käufer in westlichen Ländern herstellen, sterben oder furchtbare Ver-letzungen erleiden. Wie viele Menschen müssen noch ihr Leben verlieren, ehe Minister und Firmen einschreiten, diese skandalösen menschlichen Tragödien zu stoppen?«
Bangladeschs Textilsektor hat in den vergangenen zehn Jahren eine stürmische Ent-wicklung genommen. Steigende Löhne in China verschafften ihm einen Wettbewerbs-vorteil. Rund 80 Prozent aller Exportwaren Bangladeschs kommen aus der »Billignähstube«. Zu den am geringsten entwickelten Ländern der Welt zählend, nimmt es als Textilproduzent hinter China weltweit die zweite Position ein. Die Branche mit über zwei Millionen Beschäftigten in 5500 Betrieben verbucht einen jährlichen Umsatz von 20 Milliarden Dollar.
Quellen: AP/jungewelt.de vom 25.04.2013
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