Der berüchtigte KGB ist Geschichte. Doch wie früher setzt der heutige Auslandsgeheimdienst SWR auf Undercover-Agenten. Sie gelten als sehr erfolgreich – die nicht souveräne BRD ist ihr Premium-Ziel.
Jassenewo gleicht den meisten Vororten am Moskauer Stadtrand: Plattenbauten, Garagen, Einkaufszentren. Dahinter, auf der anderen Seite des Autobahnrings, beginnt der verschneite Winterwald. Aus ihm ragt in einiger Entfernung ein riesiges Hochhaus in den Himmel (Foto: Hauptquartier des russischen Auslandsgeheimdienstes in Jassenewo am Stadtrand von Moskau). Auf dem Dach sind auffällig viele Satellitenschüsseln montiert.
Zu dem Betonklotz im Stil der 70er-Jahre führt eine Straße, weit kommt man aber nicht. Erst warnt ein Schild: „Achtung, Sicherheitszone!“, dann hindert ein Checkpoint am Weitergehen. Hier beginnt das Reich des SWR, des Sluschba Wneschnei Raswedki, was übersetzt Dienst für Auslandsaufklärung bedeutet.
Angehörige dieses russischen Geheimdienstes nennen ihr Hauptquartier nur den „Wald“. Hier war einst auch der Arbeitsplatz von Sascha und Olja, zwei Nachwuchsagenten, deren Nachname nicht bekannt ist. Die beiden Geheimdienstler, die später heiraten sollten, wurden in dem hermetisch abgeriegelten Komplex auf eine heikle Auslandsmission vorbereitet. Das liegt schon eine Weile zurück. Damals, in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre, war die Sowjetunion eine Weltmacht, und der SWR firmierte noch als Erste Hauptverwaltung des KGB. Der entlegene Apparat in Jassenewo diente einem Ziel: die Vormachtstellung des Landes auszubauen.
Personal und Methoden haben sich kaum geändert
Sascha (Deckname „Pit“) und Olja („Tina“) müssen sich seit Januar vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit ver-antworten. Sie waren bereits vor der deutschen Wiedervereinigung vom KGB in die Bundesrepublik geschleust worden, wo sie unter den Aliasnamen Andreas und Heidrun Anschlag ein scheinbar normales Familienleben führten.
Bis zu ihrer Festnahme vor anderthalb Jahren lieferten sie geheime Nato- und EU-Dokumente an den SWR. Ihr Fall belegt: Im „Wald“ hat sich nicht viel geändert. Der SWR arbeitet vielfach mit demselben Personal wie der berüchtigte KGB – und auch mit den gleichen Methoden.
Sascha und Olja waren „Illegale“ – Absolventen eines speziellen Programms des sowjetischen Geheimdienstes. Es wurde in den 40er-Jahren während des finstersten Stalinismus entwickelt. Seitdem werden diese Elite-Agenten in recht großer Zahl mit falschen Namen und mit konstruierten Biografien in wichtigen Ländern platziert. Sie bekommen ungewöhnlich viel Zeit, sich in der neuen Heimat zu assimilieren und eine bürgerliche Fassade aufzubauen. An welche geheimdienstlich relevanten Informationen diese Illegalen herankommen werden, steht zu Beginn ihrer Mission nicht einmal fest.
Wenig strategisch, aber erfolgreich
Illegale sind quasi Staubsauger. Sie nehmen mit, was auf ihrem Weg liegt. Das können politische, wirtschaftliche, wissenschaftliche oder militärische Geheimnisse sein. Ihren Kollegen im „Wald“ berichten sie auch über einflussreiche Persönlichkeiten, die abge-schöpft oder angeworben werden könnten.
Dabei bleiben sie aber im Hintergrund: Illegale versuchen niemals, selbst Informanten anzuwerben – das Risiko einer Enttarnung wäre viel zu groß. Jedoch betreuen sie nicht selten Quellen, die ihnen von der Zentrale zugewiesen worden sind. Manche Illegale steuern sogar ganze Spionageringe.
Das Vorgehen scheint wenig strategisch, ist aber gleichwohl erfolgreich. Das zeigt nicht zuletzt das Ehepaar Anschlag, das mehr als zwei Jahrzehnte unentdeckt blieb. Welche Dimension das Illegalen-Programm hat, ist nicht genau bekannt. Aufhorchen lässt eine Passage aus dem jüngsten Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz: „In den vergangenen fünf Jahren sind in den Mitgliedsländern der EU und der Nato mindestens 15 Illegale enttarnt worden.“ Spezialisten der deutschen Spionageabwehr sind sich sicher, dass damit nur eine kleine Minderheit dieser Agenten enttarnt wurde.
Speerspitze der russischen Auslandsaufklärung
Illegale wie Sascha und Olja sind denn auch die Speerspitze der russischen Auslandsauf-klärung. Sie werden wie Wunderkinder verehrt, die ihr Leben dem Dienst am Vaterland widmen. Sie sprechen mehrere Sprachen fließend und kennen sich blendend in Geschichte und Alltag ihrer Zielländer aus.
„Illegale waren immer Einzelware, jedes Jahr werden nur wenige vorbereitet“, sagt der russische Sicherheitsexperte Pawel Felgenhauer. „Die Vorbereitung von Illegalen ist sehr teuer und dauert mehrere Jahre“, ergänzt der Journalist Alexander Wassiljew, der in den 80er-Jahren in der „amerikanischen Abteilung“ des KGB tätig war und heute in Groß-britannien lebt.
Der Auslandsgeheimdienst SWR scheut keine Mühe. Um aus dem Russen Sascha einen in Lateinamerika aufgewachsenen Österreicher namens Andreas Anschlag zu machen, der in Deutschland nicht auffiel, wurde der Apparat rund um den Globus aktiv. Benötigt wurde eine stimmige Biografie – mit Geburtsurkunde aus Argentinien sowie Abiturzeugnis, Arbeitsbescheinigungen und Führerschein aus Mexiko.
Innerhalb des SWR koordiniert die „Hauptabteilung S“ mit weniger als 500 Mit-arbeitern, wer als Illegaler taugt, wie die Agenten ausgebildet und wo sie eingesetzt werden. Die Abteilung ist gegenüber anderen Bereichen rigoros abgeschirmt. Zum „Dienst im Dienst“ gehört auch die „Abteilung 12“, die „besondere Vorgänge in den Zielländern“ steuert – hier sitzen Führungsoffiziere wie ein gewisser „Leonid“, der zuletzt den Einsatz der Anschlags in Deutschland steuerte.
BRD ist „Premiumziel“ für die Russen
Für die russische Auslandsspionage „ist Deutschland ein Premiumziel“, betont ein deutscher Spitzenbeamter. In Europa interessiere sich der SWR natürlich auch für Städte mit multinationalen Organisationen – Brüssel, Genf, Straßburg und Wien. Doch mit der Mentalität der Deutschen seien die Russen bestens vertraut. Zu DDR-Zeiten unterhielt der KGB im Ost-Berliner Stadtteil Karlshorst eine große Dependance.
Heute setzt Moskau die russische Botschaft in Berlin und das Generalkonsulat in Bonn mit einer kaum fassbaren Selbstverständlichkeit für nachrichtendienstliche Zwecke ein. In der BRD genießen rund 400 Russen diplomatische Immunität, gut jeder dritte davon ist nach Erkenntnissen deutscher Sicherheitsbehörden in Wirklichkeit ein Agent. Für Angehörige der russischen Dienste seien in den Vertretungen „eine große Anzahl von Stellen reserviert“, heißt es im Verfassungsschutzbericht.
Im Fall von Sascha und Olja haben nachweislich SWR-Mitarbeiter im Bonner General-konsulat eine wichtige Rolle gespielt. Sie leerten tote Briefkästen – beispielsweise Erdlöcher an entlegenen Stellen – und sorgten dafür, dass das Verratsmaterial sicher nach Jassenewo gelangte. Tote Briefkästen gehören zu den klassischen Techniken des Nachrichtengeschäfts, ebenso wie der Agentenfunk auf Kurzwelle.
Geld spielt offenbar keine Rolle
„Das sind die alten Methoden, die man uns in den 80er-Jahren noch beigebracht hat“, sagt Ex-KGB-Mann Wassiljew. Die „Steinzeitmethoden“ seien gar nicht so schlecht, meint der russische Enthüllungsjournalist Andrei Soldatow. Es sei viel riskanter, Informationen über das Internet zu schicken. Die Überwachungsmöglichkeiten dort sind fast unbegrenzt, und die Spuren bleiben lange im Netz. Mitarbeiter deutscher Sicherheitsbehörden ge-raten ins Schwärmen, wenn sie schildern, wie der SWR vorgeht. Das traditionelle Handwerk werde mit modernsten Verschlüsselungs- und Kommunikationstechniken verbunden. „Die Kombination ist unschlagbar.“
Einen Eindruck von den Möglichkeiten des SWR lieferte die Festnahme von Sascha und Olja. Als die GSG 9 im Oktober 2011 das Einfamilienhaus des Agentenpärchens im hessischen Marburg stürmte, saß die Ehefrau gerade am Kurzwellenempfänger. Im Futteral einer Laptoptasche entdeckte man später eine Antenne, die scheinbar mit einer externen Festplatte verbunden war. Tatsächlich handelte es sich um eine Spezialan-fertigung, mit der die Anschlags Nachrichten über russische Satelliten in den „Wald“ senden konnten.
Aus deutscher Sicht ist das Illegalen-Programm Luxus. Doch für die Russen spielt Geld offenbar keine Rolle. „Niemand hat je versucht, die Effektivität der Illegalen wirt-schaftlich zu bewerten“, sagt Journalist Soldatow. „Illegale sind das Erbe der sowjetischen Vergangenheit. Bei der politischen Aufklärung hätte man längst auf sie verzichten können“, ist der frühere KGB-Agent Wassiljew überzeugt, der kein ver-nünftiges Kosten-Nutzen-Verhältnis erkennen kann. Solche Kritik prallt am SWR ab.
Renaissance der Geheimdienste unter Putin
Das Selbstbewusstsein der russischen Geheimdienste dürfte gegenüber den KGB-Zeiten noch gewachsen sein. Immerhin beschäftigt der SWR heute gut 13.000 Mitarbeiter, etwa 1000 mehr als vor 20 Jahren. Zudem leistet sich Russland mit der GRU (Hauptver-waltung Aufklärung), der einstigen Spionageorganisation der Roten Armee, einen starken militärischen Auslandsnachrichtendienst mit rund 12.000 Mitarbeitern.
Bleibt der allmächtige Inlandsdienst FSB (Föderaler Sicherheitsdienst) mit Sitz an der Lubjanka im Moskauer Zentrum, der allein etwa 350.000 Mitarbeiter beschäftigt. Auf 10.000 Einwohner kommen in Russland heute 28 hauptamtliche Geheimdienst-angehörige – in der Endphase der Sowjetunion waren es 17 Hauptamtliche.
Russlands erster Präsident Boris Jelzin wollte die Dienste schwächen, weil er deren Macht fürchten musste. Er zerschlug 1991 den KGB und strich seinen Nachfolgern die Mittel. Das traf auch den SWR hart, der Niederlassungen in Afrika und Südostasien schließen musste. Unter seinem Nachfolger Wladimir Putin erlebten die Dienste dann eine Renaissance. Schließlich war Putin selbst KGB-Offizier, von 1975 bis 1990 – fünf Jahre davon in der DDR.
Welche Rolle der SWR in der russischen Politik spielt, kann man an seinem Spitzen-personal ablesen. Der erste SWR-Chef Jewegeni Primakow stieg später zum Minister-präsidenten auf. Der aktuelle Amtsinhaber Michail Fradkow wiederum war bereits Premier, bevor er nach Jassenewo ging – das ist beinahe so, als ob Angela Merkel (Stasi IM Erika) nach ihrer Kanzlerschaft an die Spitze des Bundesnachrichtendienstes rücken würde.
Als der SWR im Dezember 2010 seinen 90. Geburtstag zelebrierte, ließ es sich der damalige Präsident Dmitri Medwedjew nicht nehmen, die Festrede zu halten. Als seine Geburtsstunde sieht der SWR die Gründung der Auslandsabteilung beim KGB-Vorgänger Tscheka 1920 an. In einer Ehrenhalle wird den „Helden der Aufklärung“ gehuldigt. Darunter: der deutsche Weltkriegsspion Richard Sorge und der britische Doppelagent Kim Philby.
Anlässlich des runden Jubiläums sagte SWR-Chef Fradkow der Zeitung „Rossijskaja Gaseta“, dass die Qualität der Arbeit des Geheimdienstes jetzt „nicht an den einzelnen glänzenden Operationen“ gemessen wird, sondern „an der Stabilität der alltäglichen, mühsamen und planmäßigen Arbeit“.
Überläufer werden zum Problem
Tatsächlich lief es zuletzt nicht immer rund für den SWR. 2010 flog in den USA ein Ring Illegaler auf. Zehn Agenten, darunter die attraktive Anna Chapman („Spionin 90-60-90“), wurden gegen vier wegen Spionage angeklagte Russen ausgetauscht. Für das Scheitern der Kundschafter machten die Russen Alexander Potejew verantwortlich. Er hatte in der „Hauptabteilung S“ gearbeitet, der für das Illegalen-Programm zuständig ist. Er ließ sich von einem US-Dienst anwerben, floh in die USA und wurde in Russland in Abwesenheit zu 25 Jahren Haft verurteilt.
Überläufer sind zum Problem geworden. Für Ex-KGB-Agent Alexander Wassiljew spiegelt sich darin die Krise des russischen Staatssystems, in dem Korruption und Habgier den Patriotismus untergraben. „Welcher Agent kann sicher sein, dass ihn nicht jemand in der Zentrale für eine größere Geldsumme an die Spionageabwehr des Gegners verkauft?“
Doch die Verantwortlichen im „Wald“ lassen sich dadurch nicht beirren. Sascha und Olja, die jetzt in Stuttgart vor Gericht stehen, war kurz vor ihrer Enttarnung noch ein neuer Job angeboten worden. Die Ehepartner sollten in die Jassenewoer Zentrale zurück-kehren, als Dozenten für die Ausbildung der nächsten Generationen Agenten.
Quellen: PRAVDA-TV/WeltOnline vom 10.02.2013
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„Schließlich war Putin selbst KGB-Offizier, von 1975 bis 1990 – fünf Jahre davon in der DDR.“
…Putin ist nie KGB-Offizier gewesen! Während seiner Studentenzeit ist er vom KGB abgelehnt worden.
Er ist GRU-Offizier gewesen und später FSB-Chef unter President Jelzin.