Erstaunliche Entdeckung auf dem Mond: Gut zwei Dutzend schnurgerade Linien von bis zu 480 Kilometer Länge durchziehen den Untergrund des Erdtrabanten. Anscheinend handelt es sich um Magma-Kanäle. Sie könnten auch erklären, wo das Wasser auf einigen Nachbarplaneten hingeflossen ist.
(Bild: Schwerkraftkarte des Mondes: Mit Hilfe der zwei „Grail“-Sonden haben Forscher die Karte erstellt. Rot zeigt erhöhte Anziehungskraft, blau schwächere. Örtlich zeichnen sich feine Linien mit hoher Schwerkraft ab – Klüfte mit erstarrtem Magma)
Keine Forscher, keine Labore, keine Bohrer – die Erkundung des Mondes fällt schwer, weil niemand dort ist. Dennoch haben Wissenschaftler auf der Herbsttagung der Amerikanischen Geophysikalischen Union (AGU) in San Francisco nun detaillierte Einblicke in den Erdtrabanten veröffentlicht. Sie haben eine Möglichkeit gefunden, in den Mond zu blicken, ohne selbst vor Ort zu sein.
Zwei Sonden rasen mit knapp 6000 km/h um den Mond; sie ertasten quasi das Mond-innere. Mehrmals kam es fast zum Crash. Die Sonden auf ihrer niedrigen Umlaufbahn von mitunter nur wenigen Kilometern gerieten auf Kollisionskurs mit dem Mond. „Wir mussten schnell reagieren und ihren Kurs ändern“, berichtet Maria Zuber vom Massachusetts Institute of Technology in den USA, die Leiterin des Nasa-Projekts.
Die Anziehungskraft des Gesteins im Untergrund bestimmt die Bahn der Flugkörper. Verstärkt sich die Anziehung, beschleunigt sich zunächst die vorfliegende Sonde, später auch die zweite. Die Sonden der „Grail“-Mission der Nasa schicken Radiowellen auf den Mond, die den Abstand zum Boden messen.
Fünfmal pro Sekunde übermitteln die Sonden ihre Position zur Erde – auf 50 Millionstel Millimeter genau. Nun haben sie den Mond von allen Seiten umrundet, so dass die Wissenschaftler auf der AGU-Tagung und im Wissenschaftsmagazin „Science“ das Ergebnis präsentieren können: eine Karte der Anziehungskraft des Mondes.
Rätselhafte Frühzeit
Der Atlas enthüllt das Innere des Erdtrabanten, denn schweres Gestein oder Eisen im Untergrund verstärken die Anziehung, sie beschleunigen die Sonden. Zusammen mit Kenntnissen über die Form der Oberfläche und über die Drehung des Erdtrabanten ermitteln Wissenschaftler aus den Daten der Schwerkraft die Gestalt des Untergrunds.
Die erstaunlichste Entdeckung sind gut zwei Dutzend schnurgerade Linien von bis zu 480 Kilometer Länge mit großer Schwerkraft. Es stecke dort offenbar senkrecht schweres Magmagestein im Boden, meinen die Forscher. Solche sogenannten Dikes gibt es auch auf der Erde, sie entstehen wenn Magma durch Risse im gespaltenen Boden strömt und erstarrt.
Die unterirdischen Mondkanäle faszinieren die Forscher. Unterbrochen wird der Verlauf der Klüfte nur von Kratern, also den Einschlagspuren von Meteoriten, von denen der Mond übersät ist. Die Magmaklüfte müssen folglich schon vor den Meteoritenkratern im Boden gewesen sein. „Sie stammen also aus der Frühzeit des Mondes“, sagt Jeff Andrews-Hanna von der Colorado School of Mines, ein Mitarbeiter des „Grail“-Projekts.
Als der Mond aufriss
Wie aber entstanden die Magmaspalten? Warum spaltete sich der Mondboden auf großer Länge? Die Wissenschaftler glauben, es mit den Nachwehen der Geburt des Trabanten zu tun zu haben.
Der herrschenden Theorie zufolge entstand der Mond, nachdem ein Geisterplanet in die Erde gekracht ist. In der Frühzeit des Sonnensystems war noch viel Verkehr im All. Der Einschlag katapultierte einen riesigen Klumpen aus Magma und Gestein aus der Erde, der von der Anziehungskraft des Planeten eingefangen wurde – und seither als Mond um ihn kreist.
Der Mond ballte sich allmählich zu einem festen Gesteinsklumpen, wobei er aufgrund des zunehmenden Drucks im Innern allmählich wärmer wurde. Und jetzt geschah es, glauben die Forscher um Andrews-Hanna: Der wärmere Mond dehnte sich aus, wobei seine spröde Außenhülle riss. Magma füllte die senkrechten Kanäle. Theorien zur Mond-entstehung hatten solche Klüfte bereits postuliert – jetzt wurden sie tatsächlich beobachtet. „Doch sie reichen offenbar weit tiefer als gedacht“, sagt Andrews-Hanna.
Die Klüfte befördern eine erstaunliche Theorie: Die Forscher glauben, dass es ähnliche Klüfte auch auf anderen Himmelskörpern wie dem Mars geben könnte, auf denen einst Wasser floss. Strömte das Wasser in die Risse? Womöglich hätten die Klüfte ganze Meere verschluckt, meinen die Wissenschaftler. Es könnte also sein, folgern die Experten, dass im Inneren des Nachbarplaneten Mars ein Ozean schwappt.
Quellen: SpaceLibrary/Science/SpiegelOnline vom 06.12.2012
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