Späte Reue: DDR-Zwangsarbeiter bauten Ikea-Möbel

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Es war ein schwerer Gang für Peter Betzel: Der Deutschland-Chef von Ikea musste einräumen, dass politische Gefangene in der DDR für das schwedische Unternehmen Möbel herstellten. Hinweise auf Zwangsarbeit in Ostdeutschland hatte Ikea schon vor mehr als 30 Jahren!

Das ist ein Bild, wie es Ikea gern von sich selbst zeichnet: Quietschend vor Glück reißt der kleine Robert das Steuer herum, die Fuhre schleudert. Ein Mann springt erschreckt zur Seite, ein junges Paar lächelt in der Ikea-Filiale in Berlin-Spandau. Im Foyer dort verleiht das schwedische Möbelhaus Bobbycars mit Kordeln dran. An Rennen durch den Parcours der Möbelausstellung hat man zwar nicht gedacht. Doch selbst die Mitarbeiter begegnen dem Radau mit Langmut. Der Kunde ist eben König.

Doch es gibt auch noch eine andere Geschichte, die man über das schwedische Möbelhaus erzählen kann. Erlebnisse wie die von Dieter Ott: 1986 war der damals 22-Jährige nach einem Ausreiseantrag für ein Jahr im Gefängnis Naumburg gelandet. Rund zwanzig Minuten entfernt produzierte ein Volkseigener Betrieb Möbelbeschläge für Ikea. Jeden Tag wurden die Häftlinge in einem vergitterten Bus zu einer fensterlosen Fabrikhalle gebracht und mussten dort, streng abgeschirmt von den regulär angestellten Arbeitern, ihr Tagwerk verrichten.

„Hätte ich gewusst, dass die Schrankscharniere, Türgriffe und Stuhlroller, die ich her-stellte, für Ikea bestimmt waren, hätte ich das wahrscheinlich toll gefunden“, erinnert sich Ott. „Ich wollte ja unbedingt in den Westen, eine Arbeit für eine Westfirma hätte mich begeistert. Aber das hat uns damals keiner gesagt.“

In den siebziger und achtziger Jahren betrieben die Außenhandelsbetriebe des DDR-Regimes ein lukratives Geschäft als verlängerte Werkbank von Westfirmen. Neben normalen Arbeitern wurden dafür politische Gefangene für die Produktion eingesetzt. Zwangsarbeit war an der Tagesordnung im Strafvollzug der DDR.

In der Regel mussten alle Gefangenen für Betriebe im In- und Ausland arbeiten. Manche hatten wie Ott einfach nur einen Ausreiseantrag gestellt oder aus Sicht der Staatsführung nicht in ausreichendem Maß für den Sozialismus gebrannt. Wie viele Menschen betroffen waren, ist nicht bekannt. Schätzungen gehen von bis zu 100.000 aus.

„Nicht genug unternommen“

Ikea nahm das Angebot der Ostfirmen gern an – und muss sich nun die Frage gefallen lassen, wie das zusammengeht: Ablehnung jeglicher Form von Zwangsarbeit auf der einen und die Geschäfte mit einer Diktatur, die Zwangsarbeiter einsetzt, auf der anderen Seite.

Es waren Opferverbände, die das Thema im vergangenen Jahr auf die Tagesordnung setzten. Sie forderten Entschädigungen für das erlittene Unrecht, unter anderem auch von Ikea. Erst nach einigem Zögern erklärten sich die Schweden bereit, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Sie beauftragten die Beratergesellschaft Ernst & Young, um zu klären, wie weit die Verstrickung reichte. Ob man vom Einsatz der Zwangsarbeiter wusste oder zumindest hätte wissen können. Oder ob die schlichte Profitgier den Gedanken an die Frage verwehte, wie man denn Möbel für so kleines Geld bauen könnte, ohne Menschen auszubeuten.

Die Antwort, welche die Berater am Freitag in Berlin vorstellten, fällt verheerend aus für ein Unternehmen, das sich gerne als ausgesprochen menschenfreundlich präsentiert. Sie fanden Hinweise, „dass politische Häftlinge und Strafgefangene in Teilen an der Produktion von Komponenten oder Möbelstücken, die vor 25 bis 30 Jahren an Ikea geliefert wurden, beteiligt waren“.

Und – viel schlimmer noch – die Einkäufer im Ikea-Konzern wussten dem Bericht zufolge spätestens seit 1981, dass in der DDR möglicherweise politische Gefangene als Arbeiter eingesetzt wurden. Man habe zwar Schritte unternommen, um sicherzustellen, „dass Gefangene nicht für die Herstellung eingesetzt wurden“, sagte Ikea-Deutschland-Chef Peter Betzel.

Es sei inzwischen aber klar, dass diese Maßnahmen nicht wirkungsvoll genug gewesen seien. „Es wurde offensichtlich nicht genug unternommen, um derartige Produktions-methoden zu verhindern.“ Ihm selbst bleibe nur, den Betroffenen sein tiefstes Bedauern über die Vorkommnisse von damals auszudrücken. Die Betroffenheit war Betzel dabei deutlich anzumerken.

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Opferverbände fordern wissenschaftliche Untersuchung

Die Reaktion der Opferverbände fiel angesichts der schweren Vorwürfe bemerkenswert milde aus, auch wenn manche die Studie als unwissenschaftlich kritisierten. Rainer Wagner, Vorsitzender der Union der Opferverbände Stalinistischer Gewaltherrschaft (UOKG) dankte Ikea sogar ausdrücklich für seine Bereitschaft, einer detaillierten Untersuchung zuzustimmen. „In der Gesamtschau war Ikea nur ein kleines Licht“, sagte Wagner SPIEGEL ONLINE. Die Arbeit für andere Westfirmen, etwa die Metallindustrie, sei außerdem viel härter gewesen.

Gleichwohl will es der UOKG-Vorsitzende nicht bei dem Gutachten und der förmlichen Entschuldigung bewenden lassen. Er rang den Schweden die Zusicherung ab, eine wissen-schaftliche Aufarbeitung des Themas Zwangsarbeit in der DDR zu unterstützen. In ein bis zwei Jahren sollen die ersten Ergebnisse vorliegen. „Dann können wir auch über die Entschädigung der Opfer sprechen“, fügte Wagner hinzu.

Ikea muss sich derweil noch andere unangenehme Fragen gefallen lassen. Zum Beispiel, wie man sicherstellen will, dass Lieferanten aus China heute nicht genauso Menschen ausbeuten wie einst die DDR.

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Quellen: Reuters/SpiegelOnline vom 16.11.2012

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