Krebsrisiko: Grundwasser im Nahen Osten strahlt radioaktiv

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Der Nahe Osten und Nordafrika leiden unter Wassermangel – dort werden jeden Tag Millionen Liter aus jahrtausendealten Grundwasserspeichern abgepumpt. Doch diese sind stark mit natürlicher Radioaktivität belastet. Experten befürchten, dass die Krebsgefahr für Millionen Menschen steigt.

In der Wüste des heutigen Jordaniens lebten einst wahre Meister der Wasserwirtschaft. Die Nabatäer meißelten binnen weniger Jahrzehnte die Felsenstadt Petra aus dem Sandstein. Zu ihren Bauwerken gehörten nicht nur die weltberühmten Grabfassaden, sondern auch ein ausgeklügeltes System aus Wasserleitungen und Zisternen, das die Existenz der Metropole in der trockenen Einöde erst möglich machte – vor mehr als 2000 Jahren.

Heute rumpeln Laster durch Jordanien, um die Bewohner des Landes mit Trinkwasser zu versorgen. Was in ihren Tanks schwappt, ist oft Tausende von Jahren alt: Wasser aus fossilen Grundwasserspeichern, die sich füllten, als die Region noch feuchter war. Im Nahen Osten und Nordafrika werden inzwischen täglich viele Millionen Kubikmeter Wasser aus den Aquiferen gepumpt.

Das nächste, umgerechnet fast eine Milliarde Euro teure Wasserbauprojekt wird derzeit in Jordanien vorangetrieben: Ab dem Frühjahr 2013 sollen im Süden des Landes rund 100 Millionen Kubikmeter pro Jahr aus dem Disi-Aquifer gefördert werden – zusätzlich zu den 60 Millionen Kubikmetern, die schon heute aus ihm entnommen werden. Über Pipelines wird das Wasser sodann in die 325 Kilometer entfernte Hauptstadt Amman gepumpt.

Doch Strahlenmediziner warnen vor einer unsichtbaren Gefahr: Messungen haben ergeben, dass das Wasser stark mit natürlicher Radioaktivität belastet ist. Wie Stichproben zeigen, überschreiten die Strahlenwerte bei weitem die Richtwerte der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Und das Gesundheitsrisiko betrifft nicht nur Jordanien, sondern nahezu alle Staaten im Nahen Osten und Nordafrika.

WHO-Richtwert bis zu 30fach überschritten

Bereits im Februar 2009 erschien eine Studie mit brisantem Inhalt, die bislang aber nur in der Fachwelt Beachtung gefunden hat. Ein Team um den Geochemiker Avner Vengosh von der Duke University in Durham (US-Bundesstaat North Carolina) hatte 37 Proben aus dem Disi-Aquifer auf Radioaktivität geprüft. Der im Fachblatt „Environmental Science & Technology“ veröffentlichte Befund: Das rund 30.000 Jahre alte Wasser strahlt bis zu als 30mal stärker, als es die WHO für unbedenklich hält.

Ursache sind natürliches Uran und Thorium, die in Sedimentgesteinen vorkommen können. Zu deren Zerfallsprodukten gehört Radium, das – einmal in den Körper gelangt – Knochenkrebs auslösen kann. Gefährlich sind insbesondere die Isotope Radium-226 und -228 mit Halbwertszeiten von 1600 und knapp sechs Jahren.

Auf Basis der Vengosh-Daten hat das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) nun errechnet, wie groß die Gesundheitsgefahr ist. Wer täglich zwei Liter Wasser aus dem Disi-Aquifer trinkt, erhält demnach eine jährliche Strahlenbelastung von 0,99 bis 1,53 Millisievert – 10- bis 15mal mehr, als von der WHO für unbedenklich erklärt. Selbst wenn man nur eine Jahresdosis von einem Millisievert und eine Lebenszeit von 70 Jahren annehme, werde das strahlende Trinkwasser die normale Zahl der Sterbefälle um vier Menschen pro 1000 Einwohner erhöhen, so das BfS.

Hochgerechnet auf die rund zwei Millionen Einwohner der jordanischen Hauptstadt Amman, die künftig mit dem Wasser aus dem Disi-Aquifer versorgt werden sollen, wären das etwa 8000 zusätzliche Todesfälle. Und die Berechnung gilt nur für die Radium-Aufnahme durch das Trinken des Wassers. Der Stoff kann vermutlich auch auf anderem Wege in den Körper gelangen – etwa, wenn er sich durch die Bewässerung von Feldern im Gemüse anreichert.

Risiko betrifft gesamten Nahen Osten und Nordafrika

Jordanien ist zudem nur ein kleiner Teil des Problems. Die geologischen Gegebenheiten, die das Nass aus dem Disi-Aquifer strahlen lassen, herrschen in weiten Teilen des Nahen Ostens und Nordafrikas. „Das Problem betrifft wahrscheinlich alle Sandstein-Aquifere in der Region“, sagt Vengosh – und damit betrifft es viele Millionen Menschen.

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So verläuft der Disi-Aquifer nur zu zehn Prozent auf jordanischem Gebiet, der Rest befindet sich in Saudi-Arabien und heißt dort Saq-Aquifer. Der staatliche französische Geologiedienst BRGM hat dort an 64 Stellen Proben genommen. Die Strahlung lag meist weit über den WHO-Richtwerten, heißt es in dem 144 Seiten starken Report von 2008. „Das Problem der radioaktiven Kontaminierung des Grundwassers ist komplex und wahrscheinlich weit verbreitet“, bilanzieren die französischen Geowissenschaftler. „Es muss so schnell wie möglich erforscht werden wegen seiner potentiell kritischen Konsequenzen.“

Das BRGM stieß dabei auf ein merkwürdiges Phänomen: Ausgerechnet dort, wo der Wasserpegel der Aquifere am schnellsten sinkt, scheint die Kontaminierung mit Radionukliden besonders stark. Die Gründe seien unklar – doch das Wasser aus der Tiefe drohe „für die Landwirtschaft und den menschlichen Verbrauch unbrauchbar zu werden“.

Allein Libyen fördert 18.500 Liter Grundwasser pro Sekunde

Ein besorgniserregender Befund, denn das fossile Grundwasser ist für die Landwirtschaft der Region mittlerweile überlebenswichtig. Die aus dem Saq-Aquifer gepumpte Wassermenge etwa hat sich laut BRGM von 1985 bis 2005 mehr als vervierfacht: Von gut zwei Milliarden auf über 8,7 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Inzwischen bezieht Saudi-Arabien rund die Hälfte seines Wassers aus Aquiferen.

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Auch Israel holt Wasser aus fossilen Speichern, um seine Felder in der Negev-Wüste zu bewässern. Ägypten fördert seit den achtziger Jahren fossiles Grundwasser in Oasen. Die weltweit größte Förderanlage betreibt Libyen: den „Great Man-Made River“. Jeden Tag werden dort rund 1,6 Millionen Kubikmeter Wasser aus dem Nubischen Sandstein-Aquifer gepumpt – mehr als 18.500 Liter pro Sekunde.

Im Endausbau soll das gigantische System aus Brunnen, Pipelines und Reservoiren sogar 6,5 Millionen Kubikmeter täglich aus der Wüste in die Küstenstädte Libyens leiten. Die benötigen es dringend: Ihre eigenen Grundwasserleiter sind inzwischen so stark aus-gebeutet, dass sie durch Zufluss von Meerwasser brackig werden – ein Problem, das auch andere Küstenstädte der Region plagt.

In Saudi-Arabien immerhin wird das fossile Grundwasser aufbereitet und von den strahlenden Partikeln befreit, sagt Christoph Schüth von der TU Darmstadt. Anderswo aber, insbesondere in ländlichen Gebieten Nordafrikas, sei die Situation „problematisch“. Die Qualität des Grundwassers aus dem Nubischen Sandstein sei vermutlich „nur sehr unvollkommen untersucht“, Aufbereitungstechnologien fehlten. Auch Schüth und seine Kollegen sehen „prinzipiell viele Sandstein-Aquifere betroffen“. Entsprechende Ergebnisse veröffentlichten sie 2011 im „International Journal of Water Resources and Arid Environments“.

Experten halten Jordaniens Plan für Wunschdenken

Das jordanische Ministerium für Wasserwirtschaft (MWI) sieht kein Problem in der Strahlung. Nach eigenen Angaben hat es weit niedrigere Werte gemessen als die US-Experten. Zudem planen die MWI-Ingenieure eine Verdünnung mit Wasser aus unbelasteten Quellen – und wollen so die jährliche Strahlenbelastung auf 0,4 mSv verringern.

Doch selbst diese Dosis – die immer noch dem Vierfachen des WHO-Richtwerts entspräche – ist kaum zu erreichen. In einem internen Papier der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) heißt es, die Jordanier hätten die Radioaktivität ausgerechnet in jenem Teil des Disi-Aquifers gemessen, in dem die Radium-Aktivität besonders gering sei. Das meiste Wasser soll aber in einem weit stärker belasteten Bereich gewonnen werden.

Um die Belastung bis unter den WHO-Grenzwert zu senken, müssten zudem mindestens eine Milliarde Kubikmeter pro Jahr an unbelastetem Wasser herbeigeschafft werden, so die BGR. Unklar ist, woher eine solche Menge kommen sollte. Das MWI ließ eine entsprechende Frage unbeantwortet. Auch ob eine Wasseraufbereitung wie in Saudi-Arabien geplant ist, will das Ministerium nicht verraten: Man könne derzeit keine konkreten Angaben machen, sondern müsse erst mehr Analysen durchführen und Daten sammeln.

Erste Hinweise auf Erbgutschäden

Das verwundert angesichts der vertraglichen Verpflichtungen der Jordanier. Einer der größten Geldgeber des Disi-Projekts ist die Europäische Investitionsbank (EIB), die im Mai 2009 Darlehen von insgesamt 225 Millionen Dollar gewährt hat. In den Verträgen mit der EIB hat sich Amman verpflichtet, schon während der Bauphase regelmäßig das Wasser aus jedem Bohrloch auf Radioaktivität zu prüfen und Bericht zu erstatten. Sollte Jordanien diesen Pflichten nicht nachkommen, „kann die EIB das Darlehen im Extremfall widerrufen“, warnt eine Sprecherin der Bank.

Auf den vollständigen Bericht, den die Jordanier Ende September vorlegen sollten, wartete die EIB Anfang November noch immer. Immerhin liegen inzwischen Messwerte von etwa der Hälfte der Bohrlöcher vor. Sie zeigen, dass die durchschnittliche Jahresdosis an Radioaktivität „noch immer über der erlaubten Grenze liegt“, bestätigt die EIB.

Zu den möglichen Gesundheitsfolgen gibt es bereits erste Hinweise. 2010 hat die King Saud University zehn Männer untersucht, die Filter in unterirdischen Brunnen wechseln. In ihrem Blut fanden sich demnach elfmal mehr Chromosomenschäden als bei Kontroll-personen – und das nach nur drei bis sieben Jahren Arbeit, hieß es im Fachblatt „Radiation Protection Dosimetry“. Diese Veränderungen des Erbguts können zu Krebs führen und zu Krankheiten bei den Nachkommen.

Dennoch könnte die Nutzung des fossilen Wassers am Ende das kleinere Übel sein. Es ist zwar teils stark radioaktiv belastet, gilt ansonsten aber als ziemlich sauber und keimfrei. „Was geschähe denn, wenn die Leute stattdessen Wasser von geringerer biologischer Qualität zu sich nähmen?“, fragt Clemens Walther vom Institut für Radioökologie und Strahlenschutz der Universität Hannover. In diesem Fall rechnet Walther mit mehr Todesfällen als durch die Strahlung – etwa durch erhöhte Zahlen gefährlicher Durchfallerkrankungen bei Kindern.

Quellen: Corbis/SpiegelOnline vom 05.11.2012

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