Wissenschaftler staunen: Zwischen Australien und Neukaledonien erwarteten sie die Insel Sandy Island – doch das Eiland ist verschwunden. Die Scheininsel ist kein Einzelfall, Hunderte Trauminseln könnten in Wahrheit Phantome sein – auch wenn sie auf Landkarten verzeichnet sind.
Sandy Island, so schien es, hatte alles, was eine Trauminsel benötigt: Einsam lag sie in der tropischen Südsee zwischen Australien und Neukaledonien, ihr Name und ihre Größe deuteten auf weite Strände hin. Doch nun melden Forscher, dass die Insel verschwunden sei. Eine Expedition der University of Sydney fand dort, wo Karten Sandy Island verzeichnen, nur tiefes Wasser – weit und breit war keine Insel zu sehen.
Sandy Island wäre das nächste Opfer in einer Reihe von Eilanden, die in den vergangenen Jahren von den Karten getilgt werden mussten. Erst 2009 erwies sich Bermeja vor Mexiko als sogenannte Phantominsel. Wissenschaftler der Nationalen Autonomen Universität in Mexiko City hatten die Insel, die angeblich so groß sein sollte wie Föhr, nach Rohstoffen erkunden wollen – doch eine wochenlange Fahndung nach dem Eiland, mit Flugzeugen und Schiffen, blieb erfolglos.
Experten vermuten in den Weltmeeren noch viele Scheininseln. Wie viele Inseln der Phantasie entstammen, kann niemand sagen. Umstritten aber sind unter anderem zahlreiche Riffinseln im Südpazifik mit klangvollen Namen wie Ernest-Legouvé, Jupiter, Maria-Theresia, Wachusett oder Rangitiki. Manche Phantominseln wurden von ehr-geizigen Entdeckern erfunden, andere entsprangen Fehlern von Kartografen oder auch nur dem Einfluss alkoholischer Getränke. Die Meldung könnte Urlaubern eine Warnung sein: Ihre Trauminsel könnte sich bei Anreise in nichts auflösen.
„Das nährt Verschwörungstheorien“
Die australischen Wissenschaftler waren eigentlich mit ihrem Forschungsschiff durch den Pazifik gekreuzt, um den Meeresgrund zu kartieren. „Da erblickte unsere Kollegin Maria Seton diese seltsame Insel auf den Karten“, erzählt Steven Micklethwaite von der Uni-versität Sydney. Auch Google Maps und zahlreiche wissenschaftliche Studien ver-zeichnen Sandy Island. Google Earth hingegen hat keine Fotos von dem Eiland – es zeigt dafür einen mysteriösen schwarzen Fleck.
Die Forscher erkundeten das Gebiet genauer. „Unsere Navigationsinstrumente aber zeigten überall Wassertiefen von mehr als 1300 Meter“, berichtet Micklethwaite. „Wir sind verblüfft“, sagt Seton. Der Kapitän sei „sehr nervös“ gewesen, sagt Micklethwaite. Er habe gefürchtet, die Insel könnte kürzlich überflutet worden sein und das Schiff auflaufen. „Wir mussten alle auf die Brücke und Ausschau halten.“
Die Forscher wollen nun ergründen, wie Sandy Island auf die Karten kam. Eine Quelle der Atlanten sei der US-Geheimdienst CIA, sagt Micklethwaite. „Das nährt Ver-schwörungstheorien.“ Doch Phantominseln haben oftmals eine deutlich ältere Geschichte. 27.000 Scheineilande identifizierte ein arabischer Geograf bereits im 12. Jahrhundert – und da standen die großen Entdeckungsreisen noch bevor.
Scheininsel verbiegt Datumsgrenze
Noch in den achtziger Jahren schmückten die Scheineilande Byres und Morrell die Karten von Luftfahrtgesellschaften – glücklicherweise waren keine Flughäfen darauf vermerkt. Die Inseln waren der Eingebung des US-amerikanischen Kapitäns Benjamin Morrell entsprungen; ein Gemälde von 1832 zeigt ihn als berühmten Entdecker. In Wirklichkeit jedoch war er ein Aufschneider, der den Sponsoren seiner Reisen schöne „Entdeckungen“ schenkte.
Morrells Illusionen sorgten später sogar dafür, dass die Datumsgrenze verbogen wurde. Kartografen zogen die Markierungslinie Hunderte Kilometer nach Westen, damit Morrells Inseln in amerikanischer Zeitzone lagen. Nachdem Seefahrer sich beschwert hatten, verglichen Historiker die Aufzeichnungen Morrells mit denen seiner Begleiter – in denen die angeblichen Perlen der Südsee fehlten.
Ende des 18. Jahrhunderts gerieten die USA und Kanada wegen einer Scheininsel sogar in Streit: Die angeblich rohstoffreiche Île Philippaux wurde bei den Verhandlungen über die Grenzziehung schließlich den USA zugeschlagen. Eine Rohstoffinspektion aber offenbarte schließlich, dass es dort nicht nur keine Bodenschätze, sondern auch keine Insel gab.
Entsprang die Dämoneninsel dem Rumfass?
Eine ähnliche Enttäuschung erlebte bereits Christoph Columbus Mitte des 15. Jahr-hunderts. Seine Erkundungsreisen wagte er auch, weil er auf Anlaufpunkte im Atlantik vertraute. Westlich der Kanaren waren auf Karten zwei Inseln als riesige Rechtecke eingetragen, die angeblich im 8. Jahrhundert von spanischen Christen entdeckt worden waren.
Es muss kein Betrug im Spiel gewesen sein, mitunter waren es einfach Vögel, deretwegen Inseln auf Karten gelangten. „Ein unartikuliertes Getöse menschlicher Stimmen“ sei zu hören gewesen, glaubten französische Seefahrer, die Anfang des 16. Jahrhunderts im Nebel nahe Neufundland segelten. „Dämonen wetteiferten miteinander, zivilisierte Menschen zu quälen“, resümierten sie.
Vermutlich hätten kreischende Tölpel die Seefahrer vertrieben, meint Donald Johnson, ein Inselkundler aus den USA. Das Geschrei der in der Gegend häufigen Vögel könne im Nebel durchaus dämonisch klingen – besonders nach mehreren guten Schlücken Rum. Die „Dämoneninsel“ erwies sich jedenfalls als Schnapsidee, sie blieb aber bis ins 20. Jahr-hundert auf Karten verzeichnet.
„Wir haben die Welt verändert“
Immer wieder versuchten Mönche zu beweisen, dass Glaube nicht nur Berge versetzen, sondern auch welche erschaffen kann: Am Nordpol erhöbe sich die Insel Rupes Nigra, die ganz und gar magnetisch sei, behaupteten die Klosterbrüder. 300 Jahre schmückte die Phantominsel die Seekarten.
Deutlich länger überdauerte die Insel Brasil, westlich von Irland, die keltische Mönche im 6. Jahrhundert entdeckt haben wollten. Die Beständigkeit könnte dem Nebel zu ver-danken sein, der das Paradies angeblich umhüllte und sich an nur einem Tag in sieben Jahren hob, wie Mönche berichtet hatten. Erst 1865 wurde Brasil aus den Atlanten getilgt.
Selbst eher kritische Abenteurer wurden auf ihren Schiffsreisen erfinderisch: Der Leipziger Kaufmann Johann Otto Polter wurde für die Entdeckung der Insel Kantia in der Karibik, die er nach dem Philosophen der Aufklärung Immanuel Kant benannte, vom Kaiser ausgezeichnet. Dabei hatte Polter zwischen 1884 bis 1909 viermal vergeblich versucht, Kantia wiederzufinden.
Weitere Expeditionen zu Sandy Island seien hingegen nicht nötig, meinen die Forscher der Uni Sydney. Sie hätten die Region gründlich abgesucht – es gebe keine Spur von einer Insel. Die vergebliche Suche schürte bei den Wissenschaftlern eine Art umgekehrten Entdeckergeist: „Das waren wirklich glückliche Umstände“, freut sich Micklethwaite. „Immerhin“, ergänzt er verschmitzt, „können wir behaupten, wir hätten die Welt verändert“.
Quellen: GoogleEarth/SpiegelOnline vom 22.11.2012
Weiterer Artikel: