Menschengemachte Erdbeben – Die verheimlichten Ursachen der Katastrophen

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Die tödlichen Erdstöße in Spanien 2011 wurden Forschern zufolge künstlich ausgelöst. Es ist nicht der einzige Fall: Neue Daten zeigen, dass für viele Erdbebenkatastrophen Menschen verantwortlich sind – auch in Deutschland gibt es Fälle.

Ein wirklich willkommener Gast war der Geophysiker Christian Klose im australischen Newcastle offenbar nicht . Für seinen Vortrag an der örtlichen Universität wurde nicht geworben, die Rede war auf 45 Minuten begrenzt worden – und danach gab es kaum Diskussionen, berichtet Klose. Die Stimmung im Hörsaal war nicht gerade herzlich.

Die Zurückhaltung in der australischen Bergbaustadt erschien dem deutschen Wissenschaftler vom US-amerikanischen Forschungsinstitut „Think Geohazards“ sogar verständlich, schließlich hatte er Unerhörtes zu verkünden: Das verheerende Erdbeben (Foto oben) in Newcastle im Dezember 1989, bei dem 13 Menschen gestorben, 160 verletzt und Zehntausende Gebäude beschädigt worden waren, ist vom Bergbau verursacht worden, hat Klose herausgefunden.

Vertreter der Betreiberfirma der riesigen Kohlemine waren entsetzt, sie wiesen die Verantwortung zurück; das Beben habe natürliche Ursachen gehabt. Und auch die Geologiebehörde Australiens und örtliche Wissenschaftler reagierten zurückhaltend, sie pflegen traditionell enge Beziehungen mit dem Bergbau. Die Sorge um Wiedergutmachungen machte die Runde: Das Beben hatte Schäden von 3,5 Milliarden US-Dollar verursacht. „Die Kosten waren damit höher als die Einnahmen durch die Mine seit ihrer Eröffnung 1799“, sagt Klose.

Mehr als 200 künstliche Beben

Mittlerweile steht Klose längst nicht mehr allein mit seiner Theorie; das Beben von Newcastle gilt bei vielen Forschern als menschengemacht. Der Abbau von 500 Millionen Tonnen Kohle habe den Untergrund auf riskante Weise entlastet, so dass er in Bewegung geraten konnte, berechnete Klose. Weil immer mehr Auflast fehlte, geriet anscheinend eine kilometerlange Gesteinsnaht im Boden zunehmend unter Spannung.

Bis Dezember 1989 hatte sich der Druck um etwa 0,1 Atmosphären erhöht – ein gefährlicher Schwellenwert war erreicht, Erdbeben waren jederzeit möglich: Bereits dieser Anstieg des Drucks in der Erde um ein Zehntel des normalen Luftdrucks kann den Boden entlang unterirdischer Gesteinsnähte rucken lassen.

Auch an anderen Orten setzt der Mensch den Boden gefährlich unter Spannung, durch die Förderung von Erdgas etwa, mit Bohrungen nach Öl und Gas, mit Erdwärmeanlagen oder Stauseen. Weltweit habe es offenbar mindestens 200 starke Erdbeben gegeben, die durch menschliche Aktivitäten ausgelöst wurden, berichtet Klose jetzt im Fachblatt „Journal of Seismology“. „Die Studie deckt sich gut mit unseren Untersuchungen“, sagt der Geophysiker Frank Schilling vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

Die schwersten vom Menschen verursachten Beben sind Kloses Studie zufolge:

  • Zipingpu-Staudamm in China 2008: Bebenstärke 7,9; 80.000 Tote.
  • Gazli-Erdgasfeld in Usbekistan 1984: Bebenstärke 7,2; 85 Millionen Dollar Schaden (damaliger Wert). Dort gab es zwei weitere Starkbeben – doch das Ausmaß der Schäden wurde während der Sowjetdiktatur geheim gehalten.
  • Hebgen-Stausee in den USA 1959: Bebenstärke 7,1; Dutzende Tote im Yellowstone-Nationalpark, 74 Millionen Dollar Schaden (heutiger Wert).
  • Coalinga-Erdölfeld in den USA 1983: Bebenstärke 6,5; Dutzende Verletzte, zehn Millionen Dollar Schaden (damaliger Wert).
  • Koyna-Staudamm in Indien, 1962: Bebenstärke 6,3; 200 Tote, immenser Schaden (keine genauen Angaben).

Eine weitere Katastrophe muss der Liste aber bereits hinzugefügt werden: Am Sonntag berichteten Forscher, dass wohl auch das Beben von Lorca in Südspanien 2011 menschengemacht war. Dort sei Ähnliches geschehen wie in Australien 1989: Auch in Spanien sei der Boden ausgebeutet und damit destabilisiert worden, berichten Seismologen um Pablo González von der University of Western Ontario in Kanada im Fachmagazin „Nature Geoscience“.

Während in Australien Kohle aus dem Untergrund geschaufelt wurde, wurde in Spanien Grundwasser gewonnen. Der Pegel war seit 1960 um mehr als 250 Meter gefallen. Dadurch wurde der Studie zufolge eine Naht im Boden so stark entlastet, dass sie schließlich ihren Halt verlor – und brach.

Neben den Berechnungen stützen sich die Forscher auf Radarbilder, die dokumentieren, wie sich der Boden bei dem Beben verformte: Die Karten zeigen, dass die gebrochenen Areale gerade dort lagen, wo der Boden durch die Wasserentnahme am meisten entlastet worden war – nun fehlte gewissermaßen der Stopper für ruckartige Bewegungen der Erde.

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Allerdings kämpfen Wissenschaftler, die menschengemachte Beben nachweisen wollen, mit einem entscheidenden Problem: „Einen letzten Beweis gibt es nicht“, räumt Klose ein. Nie kann vollkommen ausgeschlossen werden, dass ein Beben nicht doch natürlich war.

Und so gerät die Debatte meist zu einem Rückzugsgefecht der beschuldigten Behörden und Firmen. Als Sündenfall gilt das Beben am Koyna-Stausee in Indien im Dezember 1967, bei dem 200 Menschen starben. Erst Jahrzehnte später wurde anerkannt, dass vermutlich die Wassermassen des damals neuen Koyna-Stausees die Stöße verursacht hatten.

Streit gibt es aber beispielsweise noch bei folgenden Fällen:

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  • Das schwere Beben in Südchina (Foto oben) am 12. Mai 2008, bei dem 80.000 Menschen starben und Hunderttausende schwer verletzt wurden, sei von einem künstlichen Stausee verursacht worden, hatten Klose und andere Seismologen berechnet. Die Ingenieure hätten beim Bau ignoriert, dass in der Nähe eine spannungsgeladene Gesteinsnaht den Untergrund durchzieht. Die Wassermassen lasteten mit einem Gewicht von 320 Millionen Tonnen auf dem fragilen Untergrund. Die Spannung im Untergrund habe sich 25-mal so stark erhöht wie normalerweise, hat Klose berechnet. Chinesische Wissenschaftler haben Gegenstudien veröffentlicht, die Behörden bestreiten noch immer einen Zusammenhang zwischen Katastrophe und Stausee.
  • Im März 1989 löste der Einsturz einer Kalisalzmine ein Beben der Stärke 5,6 in Thüringen aus. In der betroffenen Ortschaft Völkershausen mussten zahlreiche Gebäude abgerissen werden. Die Sanierung unter Tage verschlang nach Angaben von Insidern rund 200 Millionen Euro. Es folgte ein politischer Streit: Beide deutschen Staaten gaben sich gegenseitig die Schuld: Die Bundesregierung machte kollabierte Stützpfeiler im Bergwerk auf östlicher Seite verantwortlich; Erich Honecker persönlich schob das Beben auf große Mengen Flüssigkeiten, die auf westlicher Seite zur Salzgewinnung in den Boden gepresst worden waren. Ende der neunziger Jahre wollten Geologen das Thema auf einer Fachtagung diskutieren – dann wurde es aber kurzfristig von der Agenda genommen.
  • Seit Jahren protestieren Anwohner in der Umgebung von Saarlouis im Saarland gegen leichte Erdbeben, die der Bergbau in der Region regelmäßig hervorruft. Der heftigste Schlag der jüngeren Vergangenheit ereignete sich Ende Februar 2008. Das Beben der Stärke 4 beschädigte zahlreiche Gebäude, Menschen liefen erschrocken ins Freie. Noch immer gibt es Streit um Entschädigungszahlungen.
  • Bis Dezember 2006 presste die Geopower Basel AG durch eine Bohrung Wasser fünf Kilometer tief in den felsigen Untergrund. Es sollte, von der Wärme der Erde erhitzt, wieder aufsteigen und Dampfturbinen antreiben. Doch dann gab es mehrfach einen kleinen Ruck im Boden – der Wasserdruck hatte den Untergrund derart unter Spannung gesetzt, dass er mit lautem Knall barst. Zwar gab es kaum Schäden, das Risiko weiterer Beben erschien aber groß. Die Firma Geopower wiegelte zunächst ab, dann aber musste das Projekt auf behördliche Anordnung hin gestoppt werden.
  • Das hatte Hamburg noch nicht erlebt: Am 20. Oktober 2004 um 8 Uhr 59 zitterten im Zentrum der Stadt Hochhäuser, Lampen schwangen hin und her, Putz bröckelte von den Wänden. Dabei gilt Norddeutschland als erdbebenfrei. In Niedersachsen, auf halbem Weg zwischen Hamburg und Bremen, hatte sich ein eher leichtes Beben der Stärke 4,5 ereignet – mitten in einem Gasfördergebiet. Die Ursache schien rasch gefunden: uralte Schwächezonen im Gestein in großer Tiefe seien aufgerissen, erklärten Geophysiker. Nach Auswertung der Erdbebenwellen mit neuesten Methoden kamen Seismologen dann allerdings zu einem weitaus heikleren Ergebnis: Demnach war die Gasförderung für die Beben verantwortlich – doch Firmen und Behörden widersprachen zunächst. Mittlerweile wurde aber immerhin die Überwachung der Region mit neuen Bebensensoren verbessert. In Frankreich und Italien hat es sogar mehrfach Starkbeben in Erdgasfördergebieten gegeben.

Schwere Beben seien aber vor allem dann zu erwarten, wenn riesige Mengen Material im Untergrund bewegt würden, sagt Geophysiker Schilling. Bei kleinen Projekten, wie Geothermiebohrungen, seien besonders mit Erdbeben vorbelastete Gebiete gefährdet – das eingepresste Wasser könnte bereits bestehende Brüche rucken lassen.

Diese Ansicht bestätigt nun Kloses Analyse: Die Stärke künstlicher Erdbeben hängt seinen Berechnungen zufolge vor allem von der Größe der Masse ab, die durch Aktivitäten des Menschen im Boden verlagert wird – unabhängig von anderen geologischen Strukturen im Untergrund. Das Risiko an kleinen Gasfeldern wie in Deutschland oder an Erdwärmeanlangen scheint demnach deutlich begrenzt. Besondere Vorsicht sei aber geboten, wenn der Mensch mit Großprojekten in eigentlich erdbebenfreie Gebiete eingreife, meint Klose: Dort seien Gebäude nicht gesichert.

Die Erkenntnisse könnten den Plan in Verruf bringen, mit dem Forscher die Klimaerwärmung abschwächen möchten. Das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) soll in großen Mengen in den Boden gepumpt werden. Doch der Druck in einem CO2-Lager würde sich zwangsläufig erhöhen. Würden wie geplant an manchen Orten 30.000 Tonnen CO2 pro Jahr in den Boden gepresst, hätte sich nach 30 Jahren die gleiche Masse angereichert wie im berüchtigten Zipingpu-Stausee in Südchina 2008, mahnt Klose. Beben seien wahrscheinlich, berichten auch Forscher um Mark Zoback von der US-Geologiebehörde USGS.

Die Sorge gilt beispielsweise einem Erdwärme-Projekt bei Los Angeles in Kalifornien. Dem Salton-See wurden seit den achtziger Jahren 400 Millionen Tonnen Wasser entnommen, was dem Gewicht von etwa 60 Cheopspyramiden entspricht. Nun mutmaßen Wissenschaftler des USGS, dass die San-Andreas-Verwerfung in Bewegung geraten könnte: Die berühmte Erdbebennaht unterquert den Salton-See. Die Zahl der Beben hat sich mittlerweile verdoppelt. Reißt die Verwerfung demnächst mit einem schweren Schlag?

Die Australier indes gehen offenbar weiter gelassen mit dem Thema um. Zwar ist der Boden mittlerweile auch um Bergbauminen im Westen des Landes unruhig geworden; sogar ein Beben mit Stärke 5 gab es in der sonst ruhigen Region. Doch der Abbau der Bodenschätze geht unbeirrt weiter.

Quellen: Reuters/dpa/SpiegelOnline vom 26.10.2012

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