Steadfast Noon ist ein kleines, ungewöhnliches NATO-Manöver: 2011 fand es zuletzt im niederländischen Volkel statt. Kampflugzeuge aus Deutschland, Italien, der Türkei und anderen NATO-Staaten kamen zu Besuch. Es gibt so gut wie keine Öffentlichkeitsarbeit.
Der wichtigste Teil der Luftwaffenübung findet am Boden statt, nicht in der Luft. Geübt wird nicht mit echten Waffen. Das hat seinen Grund: Steadfast Noon ist eine Atomwaffen-Übung. Trainiert wird das Be- und Entladen von Kampfflugzeugen mit Atomwaffen, der Betrieb nuklear bewaffneter Kampfflugzeuge am Boden.
Das sind Aufgaben im Rahmen der nuklearen Teilhabe. Bei solchen Übungen bleiben die echten Waffen in ihren unterirdischen Lagern. Man will keinen Unfall riskieren, bei dem radioaktives Material freigesetzt werden und die Umgebung verseuchen könnte. Denn die Atombomben in Europa sind nicht so sicher wie ursprünglich angenommen.
Schon vor mehr als 20 Jahren war diese Erkenntnis ein entscheidender Grund für den größten atomaren Abrüstungsschritt in Europa. Am 27. September 1991 kündigte US-Präsident George Bush Senior im Fernsehen den einseitigen Abzug von mehr als 2.400 Atomwaffen aus Europa an. Ein Ausschnitt seiner Rede war in der Tagesschau zu hören:
O-Ton George H.W.Bush
„Wir haben eine beispiellose Gelegenheit (sagte Präsident George Bush) die atomare Ausrüstung sowohl der Vereinigten Staaten als auch der Sowjetunion zu verändern. Ich habe angeordnet, dass die Vereinigten Staaten ihr gesamtes Arsenal an bodengestützten taktischen Atomwaffen vernichten. (…) Und wir werden natürlich eine zuverlässige Trägerkapazität in Europa beibehalten, denn sie ist wesentlich für die Sicherheit der NATO.“
Der Präsident erhielt viel Lob für seine einseitige Abrüstungsinitiative. Sein sowjetischer Kollege Michail Gorbatschow reagierte mit einem ebenso weitreichenden Abrüstungs-schritt.
Wenig Beachtung fand damals, dass George Bush zwei gute Gründe hatte, die meisten Atomwaffen aus Europa abzuziehen. Zum einen das Ende des Kalten Krieges und zum anderen die Erkenntnis, dass die Atomwaffen der USA selbst im Frieden zu einer Gefahr werden konnten.
Zwei Monate vor Bushs Initiative legte Ray Kidder, ein anerkannter Atomwaffen-spezialist, dem Kongress eine brisante Studie vor. Sie bestätigte, was zuvor seit mehreren Jahren in Geheimberichten an den Präsidenten enthalten war: Die meisten atomaren Waffen der USA, auch jene in Europa, stellten selbst in Friedenszeiten ein signifikantes Risiko für die Zivilbevölkerung dar.
Die Wissenschaftler wollten nicht ausschließen, dass bei Transportunfällen radioaktives, hochgiftiges Plutonium aus den Waffen austreten und die Umwelt weiträumig verseuchen könnte. Ihre Sorge galt insbesondere dem Lufttransport atomarer Waffen, also der damals in Europa üblichen Praxis.
Kidder schlug drei Schritte vor, um das Risiko so weit wie möglich zu begrenzen: Erstens sollten alle älteren Atomwaffen sofort außer Dienst gestellt werden. Zweitens sollten alle atomaren Kurzstreckenwaffen möglichst schnell aus Europa abgezogen und eingelagert oder zerlegt werden. Drittens sollte der Lufttransport atomarer Waffen im Frieden komplett eingestellt werden. Alle Operationen mit Atomwaffen in der Nähe von aktiven Start- und Landebahnen, der Einsatz atomarer Waffen an Bord von Flugzeugen, die betankt werden mussten oder auch nur die Triebwerke anlassen sollten – all das sollte im Frieden komplett verboten werden.
Mit Bushs Abrüstungsinitiative wurden Kidders Empfehlungen nur zwei Monate später weitgehend umgesetzt. Der Präsident erwähnte die Sicherheitsprobleme mit keinem Wort und sprach lediglich von Abrüstung. Auch das hatte einen guten Grund: Bush hatte entschieden, die amerikanischen Atombomben vom Typ B61 Modell 3 und 4 in Europa zu belassen. Den Lufttransport atomarer Waffen in Friedenszeiten konnte er deshalb auch nicht ganz verbieten.
Was sagten die Wissenschaftler über diese Waffen, die in Europa bleiben sollten? Auch die atomaren Bomben vom Typ B61 waren aus Sicht Kidders und seiner Kollegen nicht so sicher wie erforderlich. Die Wissenschaftler befürchteten, dass auch aus diesen Waffen bei einem ernsten Unfall hochgiftiges Plutonium austreten und größere Gebiete verseuchen könnte.
Diese Gefahr bestand, wenn eine solche Atomwaffe bei einem Flugzeugunfall beschädigt würde und über längere Zeit den hohen Temperaturen eines Treibstoffbrandes ausgesetzt wäre. Am wahrscheinlichsten war ein solcher Unfall an den Standorten dieser Waffen. Flugzeugunfälle sind bei Start und Landung am häufigsten. Das Pit, der plutoniumhaltige Kern der B61-Bomben, ist nicht feuerresistent. Hätte man dies nachträglich ändern wollen, so wäre es wegen der großen Zahl vorhandener Waffen sehr teuer geworden.
Zudem wären neue Atomwaffentests erforderlich geworden. Das angestrebte weltweite Verbot solcher Tests wäre auf Jahre torpediert worden. Die Bomben blieben also unverändert. Um die Risiken zu begrenzen, wurde die Nutzung der echten Waffen drastisch eingeschränkt und die Sicherheitsvorschriften für den Umgang mit diesen Waffen wurden deutlich verschärft.
Zurück zu der Atomwaffenübung Steadfast Noon. Die wesentliche Ursache dafür, dass dieses Manöver als Trockenübung ohne Atomwaffen durchgeführt wird, sind die damals entdeckten Sicherheitsrisiken und die schärferen Vorschriften, die daraus folgten. Die atomaren Bomben bleiben deshalb in ihren unterirdischen Lagern.
Und noch etwas: Das Manöver Steadfast Noon wird durchgeführt, weil die NATO sich bei ihrem Gipfel in Chicago im Mai nicht einigen konnte, auf die in Europa stationierten Atomwaffen in naher Zukunft zu verzichten. Die USA planen, die nuklearen Bomben vom Typ B61 in den kommenden Jahren umfassend zu modernisieren, um deren Lebensdauer um weitere 30 Jahre zu verlängern. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Kapitän zur See Christian Dienst, erklärt die Planung:
O-Ton Dienst:
„Das von den USA beabsichtigte „Lebensdauerverlängerungsprogramm“ („Life Extension Program“ – LEP) dient dazu, die Sicherheit und Zuverlässigkeit aller von diesem Programm erfassten Nuklearwaffen auch weiterhin auf höchstem Niveau sicherzustellen und damit die Glaubwürdigkeit der nuklearen Abschreckung zu gewährleisten.“
Diese Beschreibung ist entweder gutgläubig oder irreführend. Das Modernisierungs-programm für die Atombomben vom Typ B61 sieht nicht vor, diese Waffen jetzt mit einem feuerresistenten Pit auszustatten. Andere Ideen, mit denen die Sicherheit dieser Waffen ursprünglich verbessert werden sollte, wurden sogar aus Kostengründen wieder gestrichen. Die Modernisierung dient jetzt vor allem dem Zweck, die Waffen weitere 30 Jahre nutzen zu können, die Wartungskosten zu verringern und den militärischen Nutzwert dieser Waffen zu verbessern.
Auch die deutsche Luftwaffe bereitet sich offenbar darauf vor, noch viele Jahre an diesen Waffen festzuhalten. Bislang war geplant, die Tornadoflugzeuge in Büchel noch bis 2020 oder 2025 zu betreiben. Jetzt beginnt offenbar die Planung für die Zeit danach. Noch einmal der Sprecher des Verteidigungsministeriums Christian Dienst:
O-Ton Dienst:
„Also es ist so, dass das Waffensystem Tornado, das auch – ich betone: auch – die Rolle hat, als nuklearwaffenfähiges Trägersystem zu fungieren (…) nach jetziger Planung über das Jahr 2025 hinaus in der Bundeswehr in Nutzung zu halten sein wird.“
Die Luftwaffe baut also vor. Sie will den Tornado möglichst lange als nukleares Trägersystem behalten.
Ein Nachtrag: Auch 2012 findet eine Steadfast Noon-Übung statt.- In Kleine Brogel. Angekündigt war sie für den 15.-26. Oktober in Büchel in der Eifel, wurde aber nach Belgien verlegt.
Quellen: Otfried Nassauer für lebenshaus-alb.de vom 20.10.2012
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