Die Wellen waren bis zu 13 Metern hoch: Vor rund 1500 Jahren raste eine riesige Woge über den Genfer See. Jetzt glauben Forscher, die Ursache für die Katastrophe gefunden zu haben – und warnen, dass sie sich jederzeit wiederholen könnte.
(Foto: Genfer See: Im Jahr 563 soll ein Erdrutsch am östlichen Ende des Gewässers (auf der Karte rechts) eine Flutwelle ausgelöst haben, die Genf überschwemmte (am linken Ende des Sees)
Menschen leben schon seit vielen Generationen im Gebiet des heutigen Genf. Die Besiedlung des Ufers begann vor etwa 5000 Jahren, erstmals erwähnt wurde die Stadt 58 vor Christus durch Julius Cäsar. Um 400 wurde Genf Bischofssitz. Doch im Jahr 563 erlebte die Stadt eine ungeahnte Katastrophe, wie Forscher nun im Fachblatt „Nature Geoscience“ berichten: Ein Erdrutsch löste im Genfer See eine riesige Flutwelle aus – der Tsunami überschwemmte die Stadt.
„Unsere Studie zeigt, dass nicht nur Städte an Meeresküsten von zerstörerischen Tsunamis bedroht werden, sondern auch dicht besiedelte Seeufer“, schreiben Katrina Kremer und ihre Kollegen von der Universität Genf. Ein ähnliches Ereignis könne auch heute vorkommen.
Der sogenannte Tauredunum-Vorfall des Jahres 563 war aus Überlieferungen schon länger bekannt, seine Ursache aber weitgehend unklar. Der damals lebende französische Bischof Grégoire de Tours hatte den ebenso verwirrenden wie erschreckenden Vorfall beschrieben, bei dem ganze Viehherden getötet wurden. Allein durch den Steinschlag seien mehrere Dörfer komplett zerstört worden, heißt es in der Überlieferung.
Viele Menschen starben. Noch mehr Zerstörung richtete der nachfolgende Tsunami an: Er überschwemmte die bereits damals dicht bevölkerten Ufer des Genfer Sees und arbeitete sich in kurzer Zeit bis in die Stadt selbst vor. Dort zerstörte er eine Brücke sowie einige Mühlen und tötete in der Innenstadt mehrere Menschen.
„Starker Hinweis auf Erdrutsch“
Auf der Suche nach Spuren, die dieses verheerende Ereignis hinterlassen haben könnte, untersuchten Kremer und ihre Kollegen nun Seeboden an seiner tiefsten Stelle mit künstlich erzeugten seismischen Wellen. Dabei fanden sie eine ausgedehnte, linsen-förmige Ablagerung mit einer Länge von etwa zehn und einer Breite von fünf Kilometern.
Im Durchschnitt hat sie eine Stärke von fünf Metern, wobei die dickste Stelle im Südosten, in Richtung des Rhone-Deltas, liegt. Die Untersuchung von Bohrkernen aus dem betreffenden Gebiet zeigte dann: Der Aufbau der Ablagerung ist typisch für sogenannte Turbidite, Gesteinsformen, die durch die plötzliche Bewegung großer Schlammströme entstehen.
Die Forscher glauben daher, dass die Flutwelle auf einen riesigen Erdrutsch am östlichen Ende des Sees zurückging. Mit der Radiokarbonmethode, mit der das Alter organischer Bestandteile solcher Sedimente bestimmt werden kann, gelang es den Forschern auch, den Zeitpunkt der Ablagerung einzugrenzen: Sie muss sich zwischen 381 und 612 nach Christus gebildet haben.
„Das Ereignis von 563 ist innerhalb der von uns errechneten Zeitspanne das einzige bedeutende Naturereignis in historischen Aufzeichnungen“, schreiben die Forscher. „Deshalb gehen wir davon aus, dass unsere Datierung ein starker Hinweis darauf ist, dass die Ablagerungen mit dem Erdrutsch von 563 und dem Tsunami zusammenhängen.“
Mit einer Computersimulation rekonstruierten die Forscher dann die wahrscheinliche Abfolge der Ereignisse. Demnach stürzte das Gestein am Rhone-Ufer auf ein Gebiet mit sehr weichem Erdreich, das sofort nachgab und in den Fluss rutschte. Dabei entstand ein Schlammstrom, der sich auf den See zubewegte und dessen Wassermassen verschob. Nur 15 Minuten später erreichte dann eine Welle von 13 Metern Höhe die Stadt Lausanne, nach 70 Minuten war Genf erreicht.
Bei einem ähnlichen Erdrutsch würden auf dem relativ schmalen und flachen Genfer See auch heute rasch hohe Wellen entstehen, die verheerende Folgen für die Uferbesiedlung hätten. Genf sei besonders gefährdet, weil es nur wenige Meter oberhalb des Wasser-spiegels liege, schreiben Kremer und ihre Kollegen.
Zudem liege die Stadt an der Spitze des trichterförmigen Sees, wodurch sich hohe Wellen noch stärker auftürmten. „Das Tsunami-Risiko an Seen ist unterschätzt“, warnen die Forscher. Man müsse die Gefahren genauer untersuchen, um Katastrophen vermeiden zu können.
Quellen: AFP/dapd/SpiegelOnline vom 29.10.2012