Idyllischer als Irene Gardiner kann man kaum wohnen. Die 49-jährige Puppenspielerin lebt mit ihren beiden Teenager-Töchtern seit elf Jahren in einem 500 Jahre alten Fachwerkhäuschen in dem Weiler Newchapel mitten in Wales.
Doch trotz geregelter Existenz, pünktlicher Zahlung der Gemeindesteuer und Ver-wurzelung in der Dorfgemeinschaft ist das beschauliche Dasein der Familie bedroht: Gardiner kam als Hausbesetzerin zu ihrem Traumhaus, hat ihren Status nie mit dem Besitzer geklärt und sieht sich jetzt mit einem neuen Gesetz konfrontiert, das Hausbesetzungen – sogenanntes Squatting – zu einer Straftat gemacht hat.
Squatting hat auf der Insel eine lange Tradition. Nicht nur auf dem Land, sondern vor allem in den Ballungsgebieten Großbritanniens stehen hunderttausende Wohnungen und Häuser leer. Der Lobbygruppe Empty Homes zufolge beläuft sich ihre Zahl auf rund 700.000, wovon 280.000 länger als sechs Monate leerstehen. Dies machen sich besonders junge Leute zunutze, die auf dem normalen Wohnungsmarkt wenig Chancen haben – bisher ohne Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen, solange sie denn nichts kaputtmachten.
Bis zu einem Jahr Gefängnis
„Von meiner Bezirksverwaltung bekomme ich als alleinlebende junge Frau keine Hilfe“, berichtete die Londonerin Katy Kennedy der BBC. Weil die Lehrassistentin dringend aus der Wohnung ihres gewalttätigen Freundes ausziehen musste, folgte sie vor zehn Monaten der Einladung von Bekannten und zog in ein leerstehendes Haus ein – ohne Strom und Wasser. “ Das Gebäude war ziemlich heruntergekommen, es gehört einer ausländischen Firma.“
Wie früheren Regierungen lagen Hausbesitzer und Immobilienverwalter auch der Koalition unter Premier David Cameron in den Ohren mit ihrem Anliegen, das Squatting unter Strafe zu stellen. Während Margaret Thatcher und Tony Blair auf die existierende Zivilgesetzgebung verwiesen, zeigte sich das Tory-geführte Justizministerium nun zu-gänglich: Seit 1. September riskieren Hausbesetzer eine Strafzahlung von 5000 Pfund (rund 6300 Euro) oder bis zu ein Jahr Gefängnis.
Erste Verhaftungen
Bereits zu Wochenbeginn machte die Polizei im südenglischen Brighton ernst. Kaum war ein Ultimatum des Hausbesitzers an eine Gruppe junger Leute verstrichen, stürmten die Beamten das Haus. Drei Männer zwischen 22 und 29 Jahren wurden festgenommen.
Der bisherige Wohnraum-Staatssekretär und neue konservative Generalsekretär Grant Shapps spricht von einer Verlagerung der Beweislast: Anstatt wie bisher die Rechte von Hausbesetzern soll nun das Recht der Besitzers gestärkt werden. „Es sollte glasklar sein, dass Hausbesetzungen kriminell sind.“ Hingegen hält John Wotton vom Rechtsanwalts-verband Law Society das neue Gesetz für unnötig. „Uns stand schon bisher ein Strauß zivil- und strafrechtlicher Möglichkeiten zur Verfügung“ – etwa bei Sachbeschädigung.
Explodierende Immobilienpreise
Nicht sie sei kriminell, findet die Hilfslehrerin Kennedy: „Verbrecherisch handeln jene, die ihre Immobilien leerstehen lassen.“ Davon gibt es gerade in feinen Londoner Bezirken immer mehr. Die globale Finanzkrise hat die Immobilienpreise in Kensington, Chelsea und Regents Park hochschnellen lassen, weil reiche Ausländer nach sicheren Geldanlagen suchen. Häufig bleiben die teuren Gebäude dann monate- und jahrelang leer. Das Zentral-Londoner Zivilgericht konstatierte zuletzt einen Anstieg der einstweiligen Verfügungen gegen Hausbesetzer von 81 Prozent.
Irene Gardiner bereitet jetzt eine Klage gegen das neue Gesetz vor. Ihr Versuch, die seit zehn Jahren bestehende Wohnsituation zu legitimieren, schlug im vergangenen Jahr fehl. Kriminalisieren lassen will sich die Waliserin nicht: „Ich habe niemandem geschadet und der Regierung Tausende von Pfund an Wohngeld erspart.“
Quellen: dapd/APA/derStandard.at vom 05.09.2012
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„Anstatt wie bisher die Rechte von Hausbesetzern soll nun das Recht der Besitzers gestärkt werden.“
Meinem Rechtsverständnis nach ist der Hausbesetzer der unmittelbare Besitzer des Hauses. Demnach sollte es wohl eher lauten, dass die Rechte des Eigentümers gestärkt werden sollen.