Der 11-Jahres-Rhythmus der Sonne hat Einfluss auch auf das regionale Klima – unter anderem in Mitteleuropa. Das hat ein internationales Forscherteam anhand historischer Daten herausgefunden. Demnach kamen ungewöhnlich kalte Winter in Mitteleuropa vor allem während Phasen geringer Sonnenaktivität vor. Zudem war die Anzahl der Sonnenflecken zu diesen Zeiten auf ein Minimum reduziert war. Der Schlüssel zu dieser Forschung ist Deutschlands größter Fluss: Der Rhein.
„Der Rhein ist als Forschungsobjekt ideal für unsere Arbeit“, schwärmt Frank Sirocko, Erstautor der Studie und Professor für Sedimentologie und Paläoklimatologie am Forschungszentrum Geocycles der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). „Wir nutzen die Eisbedeckung in der Vergangenheit als Proxy, also einen indirekten Hinweis auf die klimatischen Verhältnisse der jeweiligen Zeit. Es ist ein sehr simpler, aber zuverlässiger Hinweis: Entweder es gab Eis, oder es gab keins.“ Doch wie bekommt man diese Information? Die Antwort ist einfach: Seit dem 18. Jahrhundert nutzen Flussschiffer den Rhein als Transportweg. Die Verlade- und Anlegestellen entlang des Flusses führten jährlich Buch darüber, wann Eisbedeckung die Rheinschifffahrt behinderte oder sogar unmöglich machte.
Zugefrorener Rhein als Indiz
Die Wissenschaftler bestimmten anhand dieser und weiterer historischer Unterlagen die Anzahl der Jahre, in denen der Rhein vollständig zugefroren war und fanden heraus, dass zwischen 1780 und 1963 der Rhein 14 Mal an verschiedenen Stellen zufror. „Allein die schiere Größe des Rheins bedeutet, dass es für ein solches Ereignis extreme Kälte braucht, was die Eisbedeckung zu einem sehr guten Proxy macht“, so Sirocko. Das Team trug nun den Zeitpunkt dieser Kälteereignisse gegen den regelmäßigen 11-Jahres-Zyklus der Sonnenfleckenaktivität auf.
Die Forscher fanden heraus, dass 10 der 14 Kälteereignisse gleichzeitig mit einem geringen Vorkommen der Sonnenflecken auftraten. „Damit zeigen wir erstmals anhand robuster Daten, dass auffallend kalte Winter in Mitteleuropa während der letzten 230 Jahre auf eine gemeinsame Ursache zurückgeführt werden können“, so Sirocko. Thomas Crowley, Direktor der Scottish Alliance for Geoscience, Environment & Society, pflichtet seinem deutschen Kollegen bei: „Der Einfluss von Sonnenflecken auf die verschiedenen Ebenen des Klimasystems ist bei Weitem noch nicht verstanden und gibt immer wieder Anlass zu erhitzten Debatten. Die Studie wird helfen, diese Debatten nun statistisch fundierter zu führen.“
Weniger Strahlung im UV-Bereich
Wenn die Anzahl an Sonnenflecken gering ist, gibt die Sonne weniger Strahlung im Ultraviolett-Bereich ab. Weniger UV-Strahlung bedeutet eine geringere Aufwärmung der Erdatmosphäre und führt damit zu Veränderungen in den Zirkulationsmustern der untersten atmosphärischen Schichten, der Troposphäre und der Stratosphäre. Diese Veränderungen beeinflussen wiederum die sog. Nordatlantische Oszillation (NAO), ein Luftdruck-Phänomen über dem Nord-Atlantik, das das Wettergeschehen in Europa stark bestimmt. So kann eine Veränderung dieser atmosphärischen Strömungen gleichzeitig zu einer Abkühlung in Mitteleuropa, aber einer Erwärmung in anderen Teilen des Kontinents wie z.B. in Island führen.
„Dieses Beispiel zeigt“, so Stephan Pfahl von der ETH Zürich und einer der Co-Autoren der Studie, „dass die Aktivität von Sonnenflecken nicht zwingend den gesamten Globus gleich betrifft, sondern Auswirkungen wie extreme Kälte vielmehr sehr regional beschränkt sein können.“ In der Tat erklärten vorherige Studien die sehr kalten Winter 2010 und 2011 mit Veränderungen der NAO, die durch die jetzt vorgelegte Studie mit der geringen Aktivität der Sonnenflecken in Zusammenhang gebracht werden kann. Die Temperaturen in diesen Jahren waren derart gering, das in manchen Ländern neue Kälterekorde für den Monat November aufgestellt wurden. Skeptiker führen Beispiele wie dieses gern an, um gegen die Theorie des vom Menschen verursachten Klimawandels und eine Erwärmung des Planeten zu argumentieren.
(Scan einer historischer Postkarte: Gefrorener Rhein bei Mainz im Winter 1962/1963 mit der Mainzer Eisenbahnbrücke im Hintergrund)
Klimawandel findet trotzdem statt
Ein kurzzeitiges, regionales Abfallen der Temperaturen maskiert jedoch nur den Effekt einer Erwärmung. „Das Klima-System wird nicht nur durch einen einzigen Faktor gesteuert“, erläutert Sirocko. „In der Tat sind es mindestens fünf oder sechs verschiedene Faktoren. Der durch Kohlendioxid verursachte Treibhauseffekt ist sicherlich einer davon, mit Sicherheit die Sonnenaktivität aber ein weiterer.“ Die Autoren der Studie betonen, dass trotz der Aussicht auf extreme Winter in einem 11-Jahres-Rhythmus die Durchschnittstemperaturen in den Wintern der letzten drei Jahrzehnte kontinuierlich angestiegen sind. Dass der Rhein im Winter 1962/1963 das letzte Mal zufror, sei zumindest in Teilen dem Klimawandel geschuldet.
Es war allerdings nicht der Rhein, der Sirocko auf die Idee brachte, den Zusammenhang zwischen Kälteextremen und Sonnenflecken zu suchen. Es war vielmehr ein Schlittschuhrennen über 125 Kilometer gefrorener Flussläufe in den Niederlanden, an dem er vor 20 Jahren teilnahm. „Die Eisläufer konnten nur alle 10-11 Jahre zu diesem Rennen antreten, da nur dann die Flüsse ausreichend zugefroren waren“, erinnert er sich. „Ich dachte, hierfür müsste es doch einen Grund geben und gab das Thema als Semesterarbeit an meinen Diplomanden Heiko Brunck. Und tatsächlich: Es gibt diesen Grund.“
Quellen: NASA/scinexx.de/Johannes Gutenberg-Universität Mainz vom 27.08.2012