Sechs Jahre Vorbereitung, ein Monat Verhandlungsmarathon und kein Ergebnis. Die Unterhändler geben an, mehr Zeit für eine Entscheidung zu brauchen. Menschenrechtler bewerten das Scheitern unterschiedlich.
Das „schlimmstmögliche Ergebnis“ sei eingetreten, sagt Jean-Hugues Simon-Michel, Ver-handlungsführer Frankreichs. Denn am Freitag (27.07.2012) endeten die Verhandlungen über ein weltweites Waffenhandelsabkommen ohne Einigung.
Robert Lindner von Oxfam-Deutschland, der als Beobachter an den Verhandlungen teilgenommen hat, zeigt sich im Gespräch mit der DW weniger beunruhigt. „Wir wissen noch gar nicht, ob der ganze Prozess gescheitert ist. Vorerst ist nur die Konferenz gescheitert.“ 90 Staaten, darunter Deutschland, wollten weiter verhandeln und den Vertragstext in der UN-Generalversammlung einbringen. „Es gibt eine sehr breite Bewegung in der Zivilgesellschaft und auch von Staaten, die eine Regelung wollen.“
Dennoch ist auch für Lindner klar: „Die Konferenz war zwar eine Möglichkeit, aber sie wurde nicht genutzt. Es war nicht genügend Zeit.“ Ein derartiger Vertrag sei nämlich hoch komplex, da er den gesamten globalen Waffelhandel hätte regeln sollen.
Scheitern hat auch sein Gutes
Auf eine gewisse Weise begrüßt Andrew Feinstein, ein Journalist, der seit zwölf Jahren den internationalen Waffenhandel beobachtet, das Scheitern des Vertrags sogar. Es sei nämlich besser, gar keinen Vertrag zu haben, als einen derartig schwammigen Vertrag, wie er am Freitag verhandelt wurde. Mit einem solchen Vertrag würde man nur „einen legalen Rahmen für den Waffenhandel, wie er zurzeit Gang und Gäbe ist, schaffen.“
Es brauche stattdessen strenge und eindeutige Regeln, um den Waffelhandel effektiv zu kontrollieren. Dazu fehle es aber offensichtlich an Bereitschaft. „Der weiche Text und die Tatsache, dass noch nicht einmal darüber ein Konsens erzielt werden konnte, zeigt, wie tiefgehend der Mangel an politischem Willen ist.“
Verhandlungen unter erschwerten Bedingungen
Der politische Wille wurde gelähmt, da ein Vertrag nur einstimmig hätte verabschiedet werden können. Bei 193 beteiligten Parteien keine leichte Aufgabe. Vor allem, da dass Geschäft mit den Waffen 60 Milliarden Dollar (49,9 Milliarden Euro) schwer ist. Darüber hinaus hängen in den USA beispielsweise drei Millionen Jobs an der Rüstungsindustrie, in Deutschland sind es immerhin 80.000.
Ein zusätzliches Hindernis stellen die US-Wahlen im November dar. Die Waffenlobby der USA, allem voran die Nationale Schusswaffenvereinigung (NRA), haben massiven Druck aufgebaut. 51 US-Senatoren aus beiden Parteien drohten am Donnerstag (26.07.2012) in einem offenen Brief an Präsident Obama und Außenministerin Clinton, jedem Abkommen entgegenzutreten, das das konstitutionell verbürgte Recht, Waffen zu tragen, einschränke.
China und Indien, um zwei weitere Beispiele zu nennen, weigerten sich aus jeweils eigenen Gründen, dem Vertrag zuzustimmen. China war nur bereit, regionalen Organisationen wie der Europäischen Union oder der Westafrikanischen Wirtschafts-gemeinschaft einen Beitritt zum Abkommen zu gewähren, wenn die EU das Waffen-embargo gegen China aufheben würde.
Indien wiederum bestand auf einer Sonderregelung für Partner eines Verteidigungsbündnisses. Unabhängig von der Menschenrechtslage sollten Bündnispartner sich gegenseitig mit Waffen beliefern dürfen. Ein Bündnis wie das zwischen Russland und Syrien wäre unter solchen Bedingungen vom Vertrag unberührt geblieben. Lindner fasst zusammen: „Jeder will da seine Sonderregeln haben.“
Die üblichen Profiteure und Opfer
Vom Scheitern des Waffenhandelsabkommens profitieren die großen Rüstungskonzerne, einzelne Händler, aber auch Staaten und Parteien, wie Feinstein im Interview mit der DW bestätigt. In keinem anderen Bereich der Wirtschaft seien private und staatliche Interesse so eng miteinander verfilzt.
„Die offensichtlichen Opfer sind die Menschen, die sich am falschen Ende der Gewehre wiederfinden“, sagt Feinstein. Jährlich sterben allein durch die Folgen des illegalen Waffenhandels 750.000 Menschen. „Ein anderes Opfer ist die Demokratie in allen Ländern.“ Die wirtschaftlichen Interessen und die mit dem Waffenhandel verbundene Korruption untergrüben nicht nur jeden verbindlichen Vertragstext, sondern auch die Rechtsstaatlichkeit.
Das vergebliche Ringen um verbindliche Regeln
Seit 2006 bemüht sich die UN um ein Waffenhandelsabkommen. 2009 entschied die Generalversammlung, ein Waffenhandelsabkommen auf den Weg zu bringen, das den „höchstmöglichen internationalen Standards“ genügen würde. Zwei Argumentations-linien prallen seitdem aufeinander. Nationale Souveränität steht gegen Völkerrecht und Menschenrechte. Solange nationalstaatliche Eigeninteressen gegenüber Menschenrechten überwiegen, bleibt die Einigung auf ein Waffenhandelsabkommen fraglich.