Der Skandal um Zinsmanipulationen erschüttert die britischen Banken. Den Top-Bankern geht es an den Kragen: Mit Marcus Agius, Chairman der Barclays Bank, ist heute Morgen ein Schwergewicht zurückgetreten.
Notenbanker sind normalerweise für ihre vornehme Zurückhaltung bekannt. Aber Mervyn King, der Chef der Bank of England, nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, seiner Wut über die Finanzbranche Ausdruck zu verleihen: „Ich denke, dass inzwischen jeder verstanden hat, dass mit den Banken etwas sehr schiefgegangen ist, und wir dringend einen echten Kulturwandel brauchen.“
Kings Unmut haben sich die Geldhäuser vor allem mit dem neuesten Skandal rund um die systematische Manipulation des weltweit wichtigsten Referenzzinssatzes am Kapitalmarkt zugezogen. Ein Skandal, der noch lange nicht ausgestanden ist. Analysten befürchten, dass sich die Branche am Ende mit milliardenschweren Schadensersatzforderungen konfrontiert sieht.
Rund um den Globus gehen die Regulierer dem Verdacht nach, dass ein Kartell internationaler Banken über Jahre hinweg den globalen Interbanken-Zinssatz Libor manipuliert haben soll. Der Libor beruht auf Berechnungen des britischen Bankenverbands BBA, der die Institute täglich befragt, zu welchem Zins sie sich untereinander Geld leihen. Der so fixierte Satz dient als Referenz für Finanzprodukte im Wert von mehr als 500 Billionen Dollar.
Die Regulierer werfen den Instituten vor, dass sie von 2005 bis 2009 absichtlich falsche Libor-Sätze gemeldet haben, um ihre Handelsgewinne in die Höhe zu treiben und die wahren Refinanzierungskosten zu verschleiern. In die Ermittlungen sind etwa 20 Banken verstrickt, neben Instituten wie der Schweizer UBS und der Royal Bank of Scotland auch die Deutsche Bank.
Der Skandal hat nun ein erstes Nachspiel. Die Regierung lässt einen der Chefs seiner Skandalbanken vor einem Ausschuss des Parlaments auftreten, wie in der Nacht bekannt wurde. Unter anderem soll Barclays-Chef Bob Diamond in der kommenden Woche vor dem Komitee Rede und Antwort stehen, wie mehrere Medien am Wochenende übereinstimmend berichteten. Themen sollen neben dem sogenannten Liborzinssatz etwa mögliche strafrechtliche Sanktionen sein, hieß es.
Heute Morgen wurde der Rücktritt des Aufsichtsratschefs der britischen Großbank Barclays, Marcus Agius, offiziell bekannt. Es tue ihm aufrichtig Leid, dass Kunden, Mitarbeiter und Aktionäre „im Stich gelassen“ worden seien, erklärte Agius am Montag in einer Stellungnahme, die auf der Internetseite der Bank veröffentlicht wurde. Barclays kündigte zudem eine interne Untersuchung der Vorfälle an. Ein neuer, verpflichtender Verhaltenskodex solle entwickelt werden.
Das FBI ermittelt
Nach Informationen des Senders Sky News gilt der Chef des Telekom-Riesen BT, Mike Rake, als wahrscheinlicher Nachfolger Agius‘. In der Konzernführung von Barclays bestehe die Absicht, die Vorgänge von unabhängiger Seite untersuchen zu lassen. Die Interbanken-Sätze sind für die internationalen Bankengeschäfte von großer Bedeutung.
Vor wenigen Tagen hatte sich die britische Großbank Barclays als erstes der betroffenen Institute mit den Aufsehern in den USA und Großbritannien auf einen Vergleich von knapp einer halben Milliarde Dollar geeinigt, um die Vorwürfe aus der Welt zu schaffen. Das scheint allerdings nicht gelungen.
Nach Informationen der Zeitung „Sunday Times“ ermittelt inzwischen auch das FBI gegen 14 ehemalige Barclays-Händler. Analysten befürchten, dass schon bald weiteren Banken hohe Strafen drohen, und warnen vor milliardenschweren Schäden für die gesamte Branche, vor allem durch Sammelklagen erboster Kunden und Investoren in den USA. „Angesichts der Langwierigkeit der Untersuchungen werfen die Manipulationsvorwürfe einen dauerhaften Schatten“, meinen die Experten von Morgan Stanley.
Auch die Analysten von JP Morgan fürchten, dass sich die finanziellen Folgen aus zivilrechtlichen Schadensersatzklagen „erst in vielen Jahren absehen lassen“ werden. Außerdem warnen die Experten vor einer neuen Regulierungsoffensive der Politiker als langfristige Wirkung des Skandals. In Großbritannien hat die Regierung bereits einen Untersuchungsausschuss zur Zinsaffäre angekündigt.
Verschärft wird der politische Druck auf die britischen Banken durch einen weiteren Skandal. Die vier größten Institute des Landes sollen über Jahre hinweg kleine und mittlere Unternehmen beim Verkauf von Produkten zur Absicherung von Zinsänderungsrisiken in die Irre geführt haben. Deshalb verpflichtete die Finanzaufsicht FSA Barclays, HSBC, Lloyds und RBS zur Zahlung von Schadensersatz. Wie hoch der ausfallen wird, ist noch nicht klar, Anwälte rechnen aber mit Hunderten von Millionen Pfund.
Diamond zum Rücktritt aufgerufen
Zahlreiche Politiker und Wirtschaftsexperten hatten in den vergangenen Tagen Untersuchungen des Falles gefordert. Auch war Diamond zum Rücktritt aufgerufen worden. Am Sonntag ermutigte der britische Wirtschaftsminister Vince Cable Aktionäre bei britischen Banken, die Vorstände stärker an die Kandare zu nehmen und „systematischen Missbrauch“ zu stoppen. Die Spitzen führender britischer Banken hätten sich als schwach erwiesen, schrieb Cable in einem Artikel für die Zeitung „Observer“. Niemand wolle die Verantwortung übernehmen.
Der Labour-Vorsitzende Ed Miliband rief die Regierung dazu auf, eine umfassende öffentliche Untersuchung des Verhaltens von Händlern und Banken allgemein ins Leben zu rufen – vergleichbar mit der Leveson-Untersuchung zum Fehlverhalten bei Medien und Presse. „Einzelne Pflaster werden diese Wunde nicht heilen“, erklärte Miliband.
In den seit Monaten laufenden Untersuchungen – unter anderem in den USA, Großbritannien und der Schweiz – geht es um den Vorwurf der Manipulationen des weltweit gültigen Interbanken-Zinssatzes Libor. Dieser täglich in London fixierte Satz dient als Referenz für Kredite von Privatleuten und Unternehmen, Derivate sowie andere Finanzprodukte im Gesamtvolumen von 360 Billionen Dollar. Er basiert auf den Daten mehrerer Großbanken, die diese täglich abliefern. Den Instituten wird nun vorgeworfen, dass sie von 2005 bis 2009 absichtlich falsche Angaben gemacht haben, um die eigenen Handelsgewinne in die Höhe zu treiben und die wahren Refinanzierungskosten zu verschleiern.
Quellen: dpa/Handelsblatt vom 02.07.2012