20 Jahre arbeitete er beim IWF, zum Abschied zieht der Ökonom Peter Doyle eine verheerende Bilanz über den Fonds. Dieser habe Warnungen vor der Euro-Krise unter Verschluss gehalten, Lagarde sei nicht die richtige Chefin. Er schäme sich, je für die Organisation gearbeitet zu haben.
Der Brief ist nur eineinhalb Seiten lang. Doch die wenigen Zeilen reichen Peter Doyle, um viel verbrannte Erde bei seinem bisherigen Arbeitgeber zu hinterlassen. In dem vom US-Sender CNN veröffentlichten Schreiben rechnet der Ökonom mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF – engl. IMF) ab. „Nach 20 Jahren Dienst schäme ich mich dafür, dass ich jemals mit dem Fonds zu tun hatte“, schreibt Doyle an den Vorsitzenden des Exekutivdirektoriums, Schakur Schaalan.
Doyle prangert vor allem zwei Dinge an: Der IWF habe angesichts der Euro-Krise versagt, und der Fonds werde weiter von Europäern dominiert. Die Besetzung des IWF-Chefpostens im vergangenen Jahrzehnt sei „katastrophal“ gewesen, schreibt Doyle. Sein Urteil über die amtierende IWF-Chef Christine Lagarde fällt wenig schmeichelhaft aus: „Auch die derzeitige Amtsinhaberin ist vorbelastet. Denn weder ihr Geschlecht noch ihre Integrität oder ihr Elan können darüber hinwegtäuschen, dass der Auswahlprozess zutiefst ungerecht ist.“
Doyle sei intern ein anerkannter Ökonom gewesen, zitiert CNN Fonds-Mitarbeiter, die namentlich nicht genannt werden möchten. Demnach war er beim IWF für Israel, Dänemark und Schweden zuständig. Doyle habe auch die Abteilung des IWF beraten, die für die Krisenländer Griechenland, Portugal und Irland verantwortlich ist.
In seinem Brief spricht der Ökonom dem IWF die Kompetenz ab, als Kontrollinstanz in der Krise aufzutreten. Der IWF habe es versäumt, Gefahren aufzuzeigen und davor zu warnen, schreibt Doyle. Dabei seien die Risiken von Experten des IWF durchaus erkannt worden, doch die Führung habe die Warnungen unterdrückt. Weil der Fonds nicht entschieden gehandelt habe, stehe nun der Euro am Abgrund, kritisiert Doyle.
Angesprochen auf das Schreiben erklärte ein Sprecher des IWF schmallippig, man sehe keine Anhaltspunkte, die Doyles Vorwürfe untermauern würden.
„Sie sollten aufpassen, dass Sie nicht noch mehr gute Leute verlieren“
Die Kritik des Ökonomen kommt für den IWF zu einem heiklen Zeitpunkt. Angesichts der verfahrenen Lage in den Krisenländern fordern viele Experten, dass der IWF und seine Partner von ihrem strikten Sparkurs abweichen und mehr auf Wachstumsimpulse setzen. Doyles Brief ist auf den 18. Juni datiert – an diesem Tag veröffentlichte der IWF auch seinen Jahresbericht, in dem er die EU-Länder zu grundlegenden Reformen auf-fordert, um die Krise an den Wurzeln zu packen.
Doyle prangert auch an, der IWF sei zu sehr von Europäern geprägt. Der IWF komme nicht seinem Auftrag nach, die globale Wirtschaft im Blick zu behalten. Damit spricht er ebenfalls ein Streitthema an. Denn Schwellenländer monieren bereits seit längerem die europäische Dominanz im IWF.
Der IWF sei von politischen Machtspielen und einem hierarchischen Stil geprägt, schreibt Doyle am Ende des Briefs. Das betreffe alle Ebenen. Doch das Exekutiv-direktorium wolle lieber einen nur beschränkt handlungsfähigen Fonds, als die Probleme anzugehen.
Der Brandbrief des Ökonomen erinnert an die Abrechnung eines JP-Morgan und Goldman-Sachs-Managers („Muppetgate“). Auch dieser hatte seinen Arbeitgeber öffentlich angeprangert.
Ob nur seine Unzufriedenheit mit den Verhältnissen bei seinem Arbeitgeber Doyles Abgang veranlasst hat, bleibt offen. Offenbar sieht der Ökonom auch seine Leistungen nicht genügend gewürdigt. Denn im letzten Satz seines Briefes erklärt er selbstbewusst: „Es gibt gute Leute hier. Aber einer davon zieht weiter. Sie sollten aufpassen, dass Sie nicht auch den Rest verlieren.“
Quellen: PRAVDA-TV/LiFeng/Der Spiegel vom 22.07.2012