„Wir stehen nicht am Abgrund“, beteuerte Spaniens konservativer Ministerpräsident Mariano Rajoy am Wochenende. Er will seine Landsleute, die Europäische Union und vor allem die Geldmärkte beruhigen. Denn die Bankenkrise – ausgelöst durch die vor drei Wochen teilverstaatlichte Bankia – droht das gesamte spanische System mit sich zu reißen und ist eine Gefahr für den Euro als solchen. Spaniens zehnjährige Staatsanleihen wurden am Freitag mit 6,6 Prozent Zins gehandelt und liegen damit nur noch wenige Zehntel unter dem Wert, der Griechenland, Portugal und Irland unter den Rettungsschirm zwang.
Fehler der Vergangenheit
Einst beim Stresstest hoch gelobt, bietet der spanische Finanzsektor ein desolates Bild. Das Problem sind toxische Aktivposten aus dem Immobiliengeschäft. Allein die Sanierung von Bankia – ein Zusammenschluss von sieben Sparkassen rund um die hauptstädtische Caja Madrid – kostet 23 Milliarden Euro. Die restliche Branche brauche je nach Quelle weitere 25 bis 65 Milliarden Euro. Hinzu kommt der Finanzbedarf Madrids und der Regionen von geschätzten 250 Milliarden Euro für dieses Jahr. Beim derzeitigen Risikozuschlag von deutlich über 500 Punkten ist dies nicht einmal mittelfristig finanzierbar.
Spaniens Wirtschaftsminister Luis de Guindos wirkt immer hilfloser. Mehr als drei Wochen sind seit der Bankia-Verstaatlichung ins Land gegangen, ohne dass der Mann, der bis zu deren Crash Lehman Brothers in Spanien und Portugal vertrat, ein schlüssiges Konzept für die Sanierung vorgelegt hätte. Eine direkte, staatliche Liquiditätsspritze mittels neuer Staatsanleihen scheitert am Einspruch Brüssels. Und der spanische Bankenrettungsfonds FROB hat so große Summen nicht.
Spanien wäre Stresstest für Rettungsschirm
Brüssel bereitet sich auf das Schlimmste vor und schaut dabei nach Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnt eine direkte Rettung der spanischen Banken mit europäischem Geld ab. Sie scheint in eine Richtung zu denken, die angesichts der Größe Spaniens lange als völlig unmöglich galt. Das Land soll als Ganzes unter den Rettungsschirm schlupfen.
Die Zeit drängt. Denn je nachdem, wie am 17. Juni die Wahlen in Griechenland ausgehen, droht der völlige Zusammenbruch nicht nur für Spanien, sondern auch für Italien, dessen zehnjährige Staatsanleihen mittlerweile mit 5,3 Prozent gehandelt werden.
Rajoy will Fiskalpolitik harmonisieren
„Die Zukunft des Euro wird in diesen Wochen in Italien und Spanien ausgetragen“, weiß auch De Guindos. Dennoch willMadrid nichts von einem Rettungsgesuch wissen, denn dies würde einen schweren Verlust an politischer Souveränität mit sich bringen. Rajoy setzt auf eine europäische Bankenunion, in der sich die Geldinstitute der EU gegenseitig absichern, sowie auf eine europäische Fiskalbehörde, die „die Fiskalpolitik der Mitgliedsstaaten harmonisiert und eine zentralisierte Kontrolle der Finanzen ermöglicht.“ Außerdem solle sie die europäischen Schulden verwalten. Letzteres wird von den EU-Behörden nur reserviert aufgenommen.
Rajoy scheint in der Schwäche Spaniens eine seltsam anmutende Stärke entdeckt zu haben. So warnte sein Finanzminister die internationalen Anleger – und damit indirekt Berlin – vor hohen Verlusten, falls Spanien abstürze.
Quelle: AP/derstandard.at vom 03.06.2012