„Den Finanzmärkten droht der Kollaps“

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Hier eine Abstufung, dort eine Bankenkrise – die Finanzmärkte kommen nicht zur Ruhe. Die Abstufung von 28 spanischen Banken durch Moody’s kommt für Walter Wittmann wenig überraschend. Im Gespräch mit derStandard.at erklärt der streitbare Ökonom und Sachbuchautor, warum die sogenannte Eurokrise gar nicht existiert, sondern als Vertuschungsakt der Politiker herhalten muss, und welche Gefahren durch die Superblase auf die Euroländer zurollen.

derStandard.at: Moody’s hat Montagnacht 28 spanische Banken herabgestuft. Wie beurteilen Sie das Verhalten der Ratingagentur?

Wittmann: Es ist nicht überraschend, dass spanische Banken immer wieder herabgestuft werden, haben sie doch wegen ihrer faulen Hypothekarkredite Riesenprobleme. Ob die jetzige Bewertung übertrieben ist oder nicht, kann man noch nicht sagen. Ich habe allerdings festgestellt, dass die Börsen heute kaum mehr darauf reagierten und die Abstufung bereits eingepreist haben. Man weiß, dass nichts Schlimmeres mehr kommen kann, als man schon erwartet hat.

derStandard.at: Einzelne, vor allem regionale Institute wurden sogar um vier Stufen abgewertet. Übertrieben?

Wittmann: Nein. Moody’s war zuvor zu zurückhaltend und holt jetzt die Bewertungen nach. Das Einzige, was überrascht, ist, dass die an sich beste spanische Bank Santander, jetzt auch dran ist.

derStandard.at: Eine aktuelle Studie von Ernst & Young zeigt, dass 58 Prozent der Deutschen mit den Banken unzufrieden sind. Verschärfen Ratingagenturen diese Vertrauenskrise nicht noch mehr?

Wittmann: Die Aufgabe von Moody’s ist nicht, Vertrauen herzustellen. Die Banken sind in einer schwierigen Situation: Zum einen sind sie vollgestopft mit faulen Krediten und maroden Staatsanleihen, zum anderen haben die großen Institute in den USA und in Europa sehr viele Credit Default Swaps ausstehen. Kommen also erzwungene Staatsbankrotte, müssen sie teuer bezahlen, denn was sie dafür hinterlegt haben, liegt im Promille- und nicht im Prozentbereich. Das heißt, der Derivatemarkt ist auf dem Weg ins Desaster.

derStandard.at: Wie sieht dieses Desaster aus?

Wittmann: Es kann zum Kollaps des Finanzsystems kommen. Kollabieren einige der Großbanken, muss der Staat einspringen. Die Frage ist nur, ob die Zeit dafür reicht. Die Wirtschaftsblase ist zu einer Superblase geworden. Man kann sie nicht entschärfen. Sie wird platzen. Dann sind verheerende Auswirkungen in der Finanzindustrie, bei extrem hoch verschuldeten Ländern wie in der globalen Wirtschaft zu erwarten.

derStandard.at: Als fünftes Land flüchtet auch Zypern unter den Euro-Rettungsschirm. Kolportiert werden vier Milliarden Euro an Hilfsgeldern.

Wittmann: An sich sind die Gelder an Zypern ein kleines Nebengeschäft – vier Milliarden sind für den Euro-Rettungsschirm eine zu vernachlässigende Größe. Das ist so, als ob irgendwo in einem deutschen Bundesland eine Großstadt Pleite macht. Natürlich hinkt der Vergleich etwas, aber Zypern ist nicht relevant.

derStandard.at: In den letzten Tagen wird verstärkt über „Mehr Brüssel, weniger Berlin“ diskutiert. Wie bewerten Sie diesen Ansatz?

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Wittmann: Dafür bestehen wenige Chancen. Es werden sich in den einzelnen Staaten keine Mehrheiten finden, Länderkompetenzen auf europäische Ebene zu verlagern. Schon gar nicht, wenn eine Volksabstimmung, wie sie bereits im Raum steht, stattfindet. Außerdem will der Deutsche Bundestag seine Autorität und seine Befugnisse über Finanzen und Budget sowieso keinesfalls abgeben.

derStandard.at: Sollte es dennoch dazu kommen, bedeuten mehr Rechte für Brüssel nicht auch mehr Bürokratie?

Wittmann: Brüssel braucht ein Mehr an Rechten, wenn schnelles Handeln notwendig ist. Bürokratie ist ein schillernder Begriff, was heißt das schon? Die EU ist verpflichtet einzugreifen, wenn es Probleme gibt. Dass sie in den Euro-Rettungsschirm eingestiegen ist, hat die jetzige Situation präjudiziert. Und erst einmal damit angefangen, muss sie nun auch weitermachen. Im Übrigen verstößt das gegen den Vertrag von Maastricht, der besagt, dass kein Land für die Schulden eines anderen Landes einspringen darf. Um diesen Verstoß zu kaschieren, spricht man allgemein von einer Eurokrise. Doch der Euro befindet sich in keiner Krise, wir erleben eine Schuldenkrise.

derStandard.at: Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble insistiert auf einem europäischen Finanzminister. Macht das Sinn?

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Wittmann: Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich weiß auch nicht, wie das funktionieren sollte. Soll ein europäischer Finanzminister denn in die Finanzpolitik der einzelnen Länder eingreifen? Der Maastricht-Vertrag schreibt eine Schulden-Obergrenze von 60 Prozent des Bruttosozialprodukts und maximal drei Prozent für die jährlichen Defizite vor. Diese Regeln wurden nicht eingehalten, insofern erwarte ich mir von einem europäischen Finanzminister nichts. Ich verstehe nicht, weshalb sich Schäuble so stark für die Schaffung dieses Postens einsetzt – vielleicht, weil er selbst europäischer Finanzminister werden will.

Walter Wittmann ist emeritierter Wirtschaftsprofessor der Universität Fribourg und Sachbuchautor. Einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde er durch seine Prognosen zur wirtschaftlichen Entwicklung. Im Februar erschien sein Buch „Superkrise. Die Wirtschaftsblase platzt“.

Quellen: AP/Keystone/APA/derStandard.at vom 26.06.2012

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