Es ist offensichtlich, daß verschiedene Prozesse innerhalb der strategischen Gesamtlage auf ihren jeweiligen Erschöpfungspunkt zusteuern. Das transatlantische Finanzsystem steht vor einer jederzeit möglichen totalen Desintegration. In den USA steuert die Schlacht um die Wiedereinführung des Glass-Steagall-Gesetzes auf die Entscheidung zu, während gleichzeitig eine Reihe das Weiße Haus betreffender Skandale die Möglichkeit eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Präsident Obama auf die Tagesordnung gesetzt haben. In Europa mehren sich die Zeichen eines baldigen Kollapses des Euro, und in Deutschland erweist sich das Karlsruher Bundesverfassungsgericht erneut als letzte Bastion von Demokratie und Grundgesetz. Eine positive Lösung ist möglich – aber sie muß auf einer anderen, höheren Ebene liegen, als es die gegenwärtige Politik vorgibt.
Der Versuch Präsident Obamas, die Untersuchung des Skandals um die „Fast and Furious“-Waffenschmuggelaffäre im Kongreß unter Berufung auf das sogenannte „Executive Privilege“ zu unterbinden, könnte sich als ebenso gravierender Fehler erweisen wie Präsident Nixons Verhalten während der Watergate-Affäre. Die amerikanischen Medien sprechen bereits von einem zweiten Watergate.
Justizminister Holder, dem jetzt eine juristische Verfolgung wegen der Mißachtung des Kongresses droht, weil er sich geweigert hat, belastendes Material zur Verfügung zu stellen, deutete an, daß sich diese Angelegenheit zu einer vollen Verfassungskrise ausweiten könnte. „Warum“, fragte der republikanische Senator Grassley, „beruft sich das Weiße Haus auf das ,Executive Privilege’, wenn Holder behauptet, er habe Obama nicht informiert?“ Mit diesem Maulkorb hat das Weiße Haus die direkte Verbindung zu sich selber hergestellt, was sich als der entscheidende Fehler erweisen könnte.
Jedenfalls liegen in der Obama-Administration die Nerven blank. Ein halbes Jahr vor der Wahl im November befinden sich Obamas Umfrageergebnisse im Keller, wichtige Unterstützer seiner Kampagne von 2008 haben sich angesichts der katastrophalen Wirtschaftslage, der zahlreichen Verfassungsbrüche und der Ermordungen von Menschen mit Hilfe von Drohnen von ihm abgewandt.
Es ist kein Geheimnis mehr, daß Obama der Präsident der Wall Street ist. In seinem Auftrag versucht Finanzminister Geithner, die Vertreter der Eurozone und vor allem Bundeskanzlerin Merkel unter Druck zu setzen, doch endlich die Geldschleusen noch weiter aufzudrehen, um das marode Bankensystem zu „retten“.
Ebenfalls in seinem Auftrag versucht der ehemalige Chef der Federal Reserve Paul Volcker, Kongreßabgeordnete, Senatoren, Ökonomen und vernünftige Banker (die gibt es!) unter Druck zu setzen, die Gesetzesinitiative der demokratischen Abgeordneten Marcy Kaptur HR 1489 für die Wiedereinführung des Glass-Steagall-Gesetzes nicht zu unterstützen und statt dessen weiteren „Rettungspaketen“ in Billionenhöhe – natürlich immer auf Kosten der Steuerzahler – zuzustimmen.
Verläßliche Quellen berichten, daß sich Volcker dabei in drohenden Tiraden gegen Lyndon LaRouche ergeht, den er für den Ideengeber der Trennbanken-Bewegung hält, für die sich inzwischen viele namhafte Persönlichkeiten, ebenso wie eine täglich weiter wachsende Zahl von Bürgermeistern, Stadträten, Kreisvorstehern, Gewerkschaften, Sparkassenverbänden und anderen Personen einsetzen, die mit den sozialen Auswirkungen der gegenwärtigen Politik zurechtkommen müssen. So fordert z.B. Thomas Hoenig, Vorstandsmitglied des FDIC, ebenso wie Harlan Ullman, Architekt der „Shock and Awe“-Militärdoktrin, oder Professor Luigi Zingales von der Wirtschaftsfakultät der Universität Chicago, aber auch Robert Reich, Joseph Stiglitz und viele andere Glass-Steagall als einzige Lösung.
Wie desperat die Wall Street und die City of London über den Zustand ihres hoffnungslos bankrotten Finanzsystems sind, bekommt dieser Tage auch Frau Merkel zu spüren, sie wird unter maximalen Druck gesetzt, doch endlich den Widerstand gegen eine direkte Kapitalisierung der Banken auf Kosten der deutschen Steuerzahler, sei es durch eine Bankenunion, Eurobonds oder andere Konstruktionen, aufzugeben. „Helikopter-Ben“ Bernanke beschuldigt Europa – d.h. die deutsche Regierung -, das Wirtschaftswachstum in den USA zu bremsen (und damit Obamas Wiederwahl zu gefährden). Obama sagte sogar ein Krisentreffen mit den Europäern am Rande des G20-Gipfels in Mexiko nach einer persönlichen Unterredung mit Frau Merkel ab.
Wie entnervt die Londoner City wirklich ist, wird deutlich in einer unsäglichen Karikatur des britischen Magazins The Statesman, in der Frau Merkel in Anlehnung an Schwarzeneggers „Terminator“ mit einem halben Robotergesicht abgebildet ist. In dem begleitenden Artikel wird sie als größere Bedrohung für die globale Ordnung als Ahmadinedschad, Netanjahu und Kim Jong-un bezeichnet, als der gefährlichste deutsche Führer seit Hitler. Margaret Thatcher läßt grüßen.
Verfassungsgericht greift ein
Um so wichtiger ist die jüngste Entscheidung des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts: Die Bundesregierung habe unter Merkels Führung systematisch die Rechte des Bundestages verletzt, indem sie es unterlassen habe, denselben „umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ über wichtige Angelegenheiten bezüglich der Europäischen Union zu unterrichten, wie es Art. 23 des Grundgesetzes vorschreibt. Der Bundestag sei daher wiederholt um seine Mitwirkungsrechte gebracht und vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Das Gericht wertete gründlich den E-Mail-Verkehr, Pressekonferenzen, Aussagen von Frau Merkel vor Parlamentsausschüssen und andere Unterlagen aus und kommt zu dem Schluß, daß sie ihr Vorgehen mit Formulierungen wie „der endlichen Halbwertzeit von Informationen, die sich zu schnell verflüchtigen, um noch kommuniziert wahr zu sein“ systematisch verschleiert hat.
Das Gericht macht emphatisch den Punkt, politischer Zeitdruck sei auch in Zeiten der europäischen Staatsschuldenkrise kein Argument, die Demokratie auszuhebeln. Von jetzt ab ist die früheste mögliche, schriftliche Unterrichtung des Bundestages gefordert, also Schluß mit der Krisenpolitik à la Carl Schmitt! Das Gericht hat auch geurteilt, daß den Bundestagsabgeordneten bei der Verabschiedung des Vorläufergesetzes zum ESM, dem Gesetz zum vorläufigen Stützungsfonds EFSF, nicht alle erforderlichen Informationen rechtzeitig vorgelegen haben. Das ist ungeheuerlich: Steuergelder wurden verpraßt und die Demokratie begraben.
Von ebenso großer, ungeheurer Wichtigkeit ist die Tatsache, daß das Bundesverfassungsgericht den Bundespräsidenten Gauck gebeten hat, die Verträge für den Fiskalpakt und den ESM nach ihrer erwarteten Verabschiedung durch Bundestag und Bundesrat am 29. Juni nicht sofort zu unterzeichnen, sondern damit mindestens zwei Wochen zu warten, weil das Gericht so lange brauchen wird, um die erwartete Welle von Verfassungsbeschwerden gründlich zu untersuchen. Es gibt eine sehr große Wahrscheinlichkeit, daß Karlsruhe zu dem Schluß kommt, daß eine Volksabstimmung nach Art. 146 des Grundgesetzes notwendig ist, d.h. daß die Übertragung von souveränen Rechten an die EU so gravierend ist, daß die Bevölkerung einer neuen Verfassung zustimmen muß, die Europa faktisch als Bundesstaat etabliert.
Endspiel für die Demokratie
Damit gehen wir auch in Deutschland potentiell auf eine baldige Verfassungskrise zu. Wenn das Bundesverfassungsgericht und infolgedessen auch der Bundespräsident grundsätzliche Bedenken über die Verfassungsmäßigkeit des Vorgehens der Regierung haben, die Regierung aber in einer extremen Krisensituationen die Handlungsmaxime beansprucht, und der Bundestag gleichzeitig als Legislative handeln muß, dann haben wir unter der Bedingung der Desintegration des Weltfinanzsystems sehr bald eine Staats- und Verfassungskrise. Möglicherweise gleichzeitig mit einer ähnlichen Krise in den USA.
Die Zeit für kosmetische Trostpflaster, wie sie auf dem jüngsten Gipfel in Rom zwischen Merkel, Hollande, Monti und Rajoy beschlossen worden sind, ist vorbei. Ein bißchen Transaktionssteuer (d.h. die Kasinowirtschaft soll weitergehen), ein bißchen Wachstumsprogramm (Frau Merkel sprach in ihrer Regierungserklärung zum G20-Gipfel von „grünem Wachstum“ und „mehr Freihandel“ durch die Weiterführung der Doha-Runde, die seit vielen Jahren tot ist): dies alles ist nur Ausdruck der Realitätsverweigerung einer politischen Klasse, die nicht zur Kenntnis nehmen will, daß ihr System am Ende ist. Nach dem Motto, frei nach Erich Honecker: „Die grüne freie Marktwirtschaft in ihrem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf!“
Die Welt steht in den nächsten Wochen vor profunden Erschütterungen. In den USA versucht Obamas Wahlkampfberater Tony Blair, die USA für die Ziele des Britischen Empires auf der Basis der anglo-amerikanischen Sonderbeziehung für den endgültigen Showdown mit Rußland und China zu instrumentalisieren. Gleichzeitig versuchen patriotische Kräfte in einer vollen Mobilisierung, die USA vor der Selbstzerstörung zu bewahren. Das Vorgehen des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts ist geleitet von derselben Absicht.
Die einzige Chance besteht letztendlich sowohl für die USA als auch für Kontinentaleuropa darin, sich aus dem Griff des Empires, d.h. der City und der Wall Street zu befreien. Es muß Schluß sein mit der Kasinowirtschaft, deshalb brauchen wir die sofortige Umsetzung eines Trennbankensystems und den Aufbau der Realwirtschaft: ein Kreditsystem für ein neues Wirtschaftswunder in Südeuropa, dem Mittelmeerraum und Afrika! Das Endspiel ist angepfiffen, und wir müssen für die Menschheit gewinnen!