Es war ein Schock für die Finanzwelt, als die US-Bank JP Morgan vor einer Woche einen Spekulationsverlust von zwei Milliarden Dollar eingestand. Doch nun kommt es offenbar noch schlimmer: Laut einem Pressebericht hat das Institut innerhalb weniger Tage mindestens eine weitere Milliarde verloren.
Der Schaden wird immer größer. Innerhalb einer Woche sei der Verlust aus den Kreditmarktwetten von JP Morgan Chase um mindestens 50 Prozent gestiegen, berichtet die „New York Times“ in ihrem Blog Dealbook. Hedgefonds und Spekulanten hätten die Notlage der Bank ausgenutzt und auf eine weitere Verschlechterung der Handelspositionen gewettet. Eine Sprecherin der Bank habe die Informationen nicht kommentiert.
JP-Morgan-Chef Jamie Dimon hatte bereits vor einer Woche Verluste von zwei Milliarden Dollar eingestanden und davor gewarnt, dass sich das Minus in den kommenden Monaten verdoppeln könnte. Doch die Geschwindigkeit, mit der sich die Verluste ausweiten, ist überraschend hoch.
JP Morgan hat das Problem, dass viele Teilnehmer an den Finanzmärkten nun wissen, in welche Papiere die Bank investiert hat. Sie können darauf setzen, dass sich der Wert dieser Papiere weiter verschlechtert – und dabei selbst Gewinne machen.
Analysten schätzen die potentiellen Verluste auf bis zu 5,9 Milliarden Dollar
Die größte US-Bank hatte in großem Stil in komplizierte Indexprodukte investiert, die die Wertentwicklung von Unternehmensanleihen nachbilden. Damit wollte sich die Bank nach eigenem Bekunden gegen Verluste aus den von ihr vergebenen Krediten absichern.
Einer dieser Indizes ist der Markit CDX NA IG Series 9. Er besteht aus sogenannten Credit Default Swaps, die den Besitzer gegen den Kreditausfall großer Unternehmen wie Kraft Foods oder Wal-Mart schützen sollen. Mit diesem Index und weiteren, ähnlichen Produkten wettete JP Morgan auf eine Verbesserung des Kreditmarktes.
Weil die Händler der Bank in so großem Stil in die Papiere investierten, konnten andere Marktteilnehmer sich schon vorher ein ungefähres Bild von den Handelspositionen machen. Nun, da JP Morgan die Verluste veröffentlicht hat, ist es für sie noch leichter, dagegen zu wetten. Der Index Markit CDX NA IG Series 9 etwa hat sich in den vergangenen Tagen deutlich zum Nachteil von JP Morgan entwickelt.
Analysten halten noch höhere Verluste für möglich. Das Investmenthaus Oppenheimer & Co. hat ausgerechnet, dass das Minus potentiell bis zu 5,9 Milliarden Dollar betragen könnte. Allerdings sei es eher unwahrscheinlich, dass es so schlimm komme. „Wir glauben, dass die Zahl unter fünf Milliarden liegen wird“, teilten die Analysten mit.
Verärgerte Anleger klagen gegen die Bank
Für JP Morgan droht auch von anderer Seite neuer Ärger: Mindestens zwei Anleger haben unabhängig voneinander Klagen eingereicht, weil die Aktien der US-Großbank nach der Verlustankündigung abgestürzt waren. Sie fühlen sich vom Management hinters Licht geführt und werfen Bankchef Dimon sowie Finanzchef Douglas Braunstein vor, die Risiken jener Finanzwetten schöngeredet zu haben.
Nach der Bekanntgabe des Fehlschlags vor einer Woche war die Aktie von Amerikas größtem Kreditinstitut um neun Prozent eingebrochen. Binnen zwei Handelstagen seien mehr als 18,8 Milliarden Dollar an Börsenwert verpufft, erklärten die Anwälte des Saratoga Advantage Trust in ihrer am Mittwoch bekanntgewordenen Klageschrift. Sie verlangen Wiedergutmachung und streben eine der gefürchteten Sammelklagen an, der sich weitere Geschädigte anschließen können.
Nach Angaben der Finanz-Nachrichtenagentur Bloomberg hat der Kalifornier James Baker ebenfalls Klage vor dem Bezirksgericht von Manhattan eingereicht. Auch er bezieht sich demnach auf Äußerungen von Bankchef Dimon, der noch im April mehrere Medienberichte über ungewöhnlich große und riskante Finanzwetten der Bank als „Sturm im Wasserglas“ abgetan hatte. Dimon verteidigte sich zwischenzeitlich, er habe es damals nicht besser gewusst.
Die US-Finanzaufsichtsbehörden sowie das FBI schauen sich bereits die verlustreichen Geschäfte von JP Morgan an – wobei noch vollkommen unklar ist, ob die Bank gegen Gesetze verstoßen hat. Laut „New York Times“ untersucht zudem die US-Notenbank Fed die Geschäfte der Großbank intensiv. Dabei werde vor allem geprüft, ob die Risiken für ein von der Fed beaufsichtigtes Institut angemessen und erlaubt waren.
Der Milliardenverlust hat überdies in Washington den Unterstützern der sogenannten „Volcker Rule“ Auftrieb gegeben, die das Spekulieren mit eigenem Geld bei den Banken unterbinden soll. JP-Morgan-Chef Dimon ist einer der größten Gegner der Regel.
Quellen: Reuters/dpa-AFX/Reuters/Der Spiegel vom 17.05.2012