Mehrere Golfstaaten wollen den Kampf der oppositionellen Freien Syrischen Armee mit Millionenbeträgen finanzieren. Allein 100 Millionen Dollar (75 Mio. Euro) seien den Aufständischen für die kommenden drei Monate zugesagt worden, sagte Molham al-Drobi, Mitglied des Syrischen Nationalrats, der „New York Times“ am Rande des Kontaktgruppentreffens am Sonntag in Istanbul.
Dem Bericht zufolge soll das Geld als Sold für die Rebellen verwendet werden. Außerdem solle damit ein Anreiz für die Angehörigen der Regierungstruppen geschaffen werden, ebenfalls zu desertieren und sich den Aufständischen anzuschließen.
Nach Angaben der „New York Times“ stammt das Geld zum größten Teil aus Saudi-Arabien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Saudi-Arabien tritt für die Bewaffnung der syrischen Opposition ein, konnte sich bisher damit auf der internationalen Bühne aber nicht durchsetzen.
Es fließe bereits Geld an die Kämpfer, sagte Drobi – 500.000 Dollar allein in der vergangenen Woche auf „einem Weg, den ich jetzt nicht offenlegen kann“.
Die Kontaktgruppe der „Freunde Syriens“, der auch Österreich angehört, hat unterdessen den Syrischen Nationalrat (SNC) als Dachorganisation der Opposition anerkannt. Der Rat sei „ein legitimer Vertreter aller Syrer“, erklärten Vertreter von 83 Staaten und Organisationen am Sonntag in Istanbul. Zuvor habe es einen „konstruktiven Austausch“ mit Vertretern der Opposition gegen, teilte Staatssekretär Wolfgang Waldner (ÖVP) mit.
Der Syrische Nationalrat hatte sich von dem Treffen erhofft, als einziger Vertreter Syriens anerkannt zu werden und damit auf internationaler Bühne an die Stelle der syrischen Führung treten zu können. Die Kontaktgruppe setzte den Nationalrat allerdings in ihrer Erklärung nicht an die Stelle des Regimes als alleinigen Vertreter des Landes. Die „Freunde Syriens“ wünschen sich vorher eine Einigung der notorisch zerstrittenen syrischen Opposition: „Nur eine Opposition mit einer überzeugenden Vision für ein neues Syrien kann sich der bedrängten syrischen Öffentlichkeit als Alternative präsentieren“, sagte Waldner.
Scharf verurteilte die Kontaktgruppe die „massiven, systematischen und weit verbreiteten“ Menschenrechtsverletzungen. Diese sollen zur Verfolgung der Täter besser dokumentiert werden. „Bedauerlicherweise hat sich die humanitäre Situation verschlechtert. Die Lage ist alarmierend“, sagte der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu zum Abschluss des Treffens. Er mahnte die internationale Gemeinschaft, es dürfe nicht wie in Bosnien jahrelang zugeschaut werden. „Wir werden alles Mögliche unternehmen, um Massaker und Morde in Syrien zu verhindern“, sagte er. Konkretere Schritte zum Schutz von Zivilisten wurden nach dem Treffen, das länger dauerte als erwartet, nicht bekannt gemacht.
Mehrere Teilnehmer des Treffens hatten sich für härtere Sanktionen ausgesprochen. Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan verurteilte scharf, dass das Regime von Präsident Bashar al-Assad Morde und Massaker fortsetze, obwohl es dem Friedensplan des internationalen Sondergesandten Kofi Annan zugestimmt hat. Dennoch habe der Annan-Plan noch eine Chance verdient, sagte der deutsche Außenminister Guido Westerwelle am Rande des Treffens. „Wir werden die Sanktionsschraube weiter andrehen“, kündigte er an.
Assad hatte erklärt, er akzeptiere den Plan Annans, wolle ihn jedoch erst umsetzten, wenn die Opposition ihre Waffen abgibt. Der Plan sieht unter anderem einen Zugang für humanitäre Hilfe und ein Ende der Militäroperationen vor. Seit Beginn des Aufstands gegen Assad vor einem Jahr sind nach UN-Schätzungen mindestens 9.000 Menschen getötet worden. Allein am Sonntag wurden nach Angaben der oppositionellen Lokalen Koordinierungskomitees 68 Menschen getötet. In der Provinz Daraa sollen 35 Soldaten desertiert seien.
Der Vorsitzende des Nationalrates, Burhan Ghalioun, betonte, seit dem Treffen der Kontaktgruppe in Tunesien habe das syrische Volk enorm gelitten. Viele Menschen seien getötet worden. Viele Regierungen hätten Angst vor einer Ausbreitung des Terrorismus in Syrien nach einem Sturz des Regimes. Dies sei falsch, erklärte er, „denn die Demokratie, für die wir kämpfen, ist der natürliche Feind des Terrors“.
Der katarische Ministerpräsident, Scheich Hamad bin Jasim al-Thani, erinnerte an den Vorschlag der Außenminister der Arabischen Liga, eine arabisch-internationale Friedenstruppe nach Syrien zu schicken. Für diese Idee gibt es jedoch bisher selbst in der Kontaktgruppe noch keinen Konsens.
Die syrische Opposition hatte die Kontaktgruppe vor dem Treffen aufgefordert, ihre Drohungen gegenüber dem Regime glaubwürdiger als bisher zu formulieren. In einer Erklärung, die der Syrische Nationalrat wenige Stunden vor dem Treffen veröffentlichte, hieß es: „Sie sollen ihnen zeigen, dass sie nicht ungestraft davonkommen.“
Das jüngste Treffen der internationalen Kontaktgruppe hat die schiitisch dominierte irakische Regierung dazu veranlasst, ihre bisher schärfsten Attacken gegen Saudi-Arabien und Katar zu richten, die sich für eine Bewaffnung der syrischen Opposition starkmachen. „Die Position dieser beiden Länder ist fragwürdig, weil sie, statt zu versuchen, den Brand zu löschen, dazu aufrufen, Waffen zu schicken“, erklärte der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki laut Bagdader Medienberichten zu dem Istanbuler Treffen. Zugleich betonte er, dass das syrische Regime nicht stürzen werde.
Der Irak lehne die Einmischungen bestimmter Länder in die inneren Angelegenheiten Syriens kategorisch ab, „und diese Länder wollen sich genauso in die inneren Angelegenheiten aller arabischen Länder einmischen“, erklärte Maliki in direkter Anspielung auf die Rolle Katars beim Sturz des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi. Der König von Saudi-Arabien und der Emir von Katar waren dem jüngsten Gipfeltreffen der Arabischen Liga in Bagdad ferngeblieben; beide Staaten hatten aber hochrangige Delegationen zu dem Treffen der Syrien-Kontaktgruppe nach Istanbul entsandt.
Ein Sturz Assads würde die Krise in der Region noch wesentlich verschärfen, so Maliki: „Das Feuer würde sich auf den Irak, den Libanon, Jordanien, Palästina und die ganze Region ausweiten, auch auf die Länder, die sich jetzt der Sprache der Stärke bedienen.“
Die Protestbewegung befürchtet, dass das Regime von Präsident Bashar al-Assad auf die Abspaltung eines Kleinstaates für die alawitische Minderheit hinarbeitet. In einer Erklärung der „Union der Koordinierungskomitees der Syrischen Revolution“ vom Montag heißt es: „Das syrische Regime, dessen Sturz bald bevorsteht, geht jetzt dazu über, seinen letzten Plan in die Tat umzusetzen und das Land aufzuteilen. Es arbeitet daran, in den Siedlungsgebieten der Alawiten einen Staat auf der Grundlage der Religionszugehörigkeit zu gründen.“
In der Stadt Homs habe der Sicherheitsapparat begonnen, Sunniten aus ihren Wohnvierteln zu vertreiben und alawitische Familien dort einzuquartieren. „Wir rufen alle ehrenhaften Alawiten dazu auf, sich diesem Spaltungsplan entgegenzustellen, denn sie sind unsere Partner und Brüder in diesem Land“, hieß es in der Erklärung.
Der Assad-Clan, der in Syrien seit 1970 den Ton angibt, und die gesamte Führungsclique gehören der alawitischen Minderheit an. Etwa elf Prozent der Syrer sind Alawiten. In den führenden Positionen von Polizei, Geheimdienst und Armee sind sie stark vertreten. Schätzungsweise 74 Prozent der Syrer sind sunnitische Muslime. Neben den Angehörigen der verschiedenen christlichen Konfessionen, die zusammen etwa zehn Prozent ausmachen, gibt es auch Drusen und Ismaeliten.