Schuldenkrise: „EU arbeitet hart daran zu verschwinden“

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Der französische Diplomat François Heisbourg befürchtet, die EU könne das Schicksal der Sowjetunion erleiden. Eine wirtschaftliche und politische Implosion drohe, sagte er zu Christoph Prantner (derstandard.at).

STANDARD: Sie haben vor kurzem in „Le Monde“ vor der imminenten Gefahr gewarnt, die EU könnte wie die Sowjetunion ökonomisch implodieren. Inzwischen gab es ein paar weitere Gipfel zur Eurorettung, noch immer so skeptisch?

Heisbourg: Skeptisch ist nicht der richtige Begriff, ich habe Befürchtungen. Ich will, dass aus der EU ein Erfolg wird. Aber zuletzt war es nicht leicht, daran zu glauben. In einer tiefen ökonomischen und sozialen Krise muss das Timing der politischen Entscheidungen mit der Dringlichkeit von Notwendigkeiten korrespondieren. In der EU findet das nicht statt, das ist das größte Problem im europäischen Entscheidungsprozess seit Ausbruch der Krise. Hier liegt die Parallele zur Sowjetunion, in deren letzten Jahren gab es ein ähnliches Auseinanderklaffen.

STANDARD: Was dagegen tun?

Heisbourg: Es gibt zwei Wege für Europa: Einerseits die Verbundesstaatlichung und Schaffung einer Transferunion, also jenes Prinzips, das es in jeder Föderation mit Einheitswährung wie etwa den USA gibt – Stichwort: Alaska hilft Alabama. Solange Deutschland aber nicht akzeptiert, dass es diese Transferunion geben muss, bleibt das Risiko einer Explosion der Eurozone und der EU sehr hoch. Das zweite, schreckliche aber eben kohärente Szenario ist, dass der Euro auseinanderbricht und wir zu dem System der nationalen Währungen zurückkehren, das wir schon vor 15 Jahren hatten – mit allen Konsequenzen. Derzeit jedenfalls tun wir genau das, was in den ökonomischen Lehrbüchern als falsch gebrandmarkt wird: nämlich inmitten einer Krise Budgets sanieren. Das ist einfach verrückt! Wenn wir so weitermachen, wird aus Spanien ein zweites Griechenland werden.

STANDARD: Aber Berlin scheint doch verstanden zu haben, dass die Reise Richtung Transferunion geht?

Heisbourg: Ich hoffe, dass sie das zeitgerecht einsehen. Hätten wir schon vor drei Jahren Eurobonds beschlossen, hätten wir Griechenland mit einem Fingerschnippen retten können. Es wäre eine schnelle und kleine Operation gewesen. Wenn die Deutschen die Eurobonds nun irgendwann endlich akzeptieren, wird diese Aktion enorm viel Geld gekostet haben und möglicherweise zu spät kommen. Deswegen habe ich die Sowjet-Alarmglocke geläutet.

STANDARD: Hat diese Krise nicht auch etwas Positives, ist sie nicht ein Hardcore-Integrationspfad?

Heisbourg: Ja, wenn alles glattgeht schon. Aber das ist eine Möglichkeit, die ihre eigenen Probleme in sich trägt: Großbritannien ist aus diesem Prozess ausgeschieden. Das erzeugt ein großes politisch-strategisches Dilemma. Denn jene europäischen Länder, die signifikante militärische, diplomatische und politische Fähigkeiten haben, sind nur Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Wenn London draußen bleibt, mit wem wird Paris kooperieren, wenn Berlin nicht in Libyen intervenieren will? Durch die viel zu späte Bewegung in Richtung Föderation, haben wir das dauerhafte Ausscheren der Briten provoziert. Mit diesem Problem müssen wir umgehen, auch wenn wir in Europa jetzt endlich das Richtige tun.

STANDARD: Die schlimmste Konsequenz der Krise sei, sagen viele, dass sich die EU aus ihrer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) verabschiedet habe.

Heisbourg: Die Mitgliedstaaten haben bekommen, was sie wollten. Sie wollten eine völlig unbekannte Person als Verantwortliche dafür haben, das haben sie bekommen. Und Lady Ashton hat die niedrigsten Erwartungen noch erfolgreich unterboten. Dazu lehnt sie die auch noch Verantwortlichkeit für den Sicherheits- und Verteidigungsbereich ihres Amtes ab. Was aus der GASP wird, hängt heute völlig davon ab, wie die Eurokrise gelöst wird. Solange diese Krise andauert, wird hier nichts passieren. Europa arbeitet in der Tat sehr hart daran, zu verschwinden. Nehmen Sie den Krieg in Libyen, das war eine gute Gelegenheit Fähigkeiten zu zeigen. Einige haben gut mitgemacht, aber wo war der Rest der Nato und der EU? Frankreich wird Kapazitäten behalten, um weltweit militärisch zu operieren. Andere werden Fähigkeiten haben, bei Koalitionen mitzumachen. Aber das ist alles kein europäisches Projekt.

François Heisbourg (62) ist französischer Diplomat und Präsident des renommierten Thinktanks International Institute for Strategic Studies in London.

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Quelle: derstandard.at vom 18.04.2012

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