Nordkorea will eine Langstreckenrakete starten, und die Welt ist empört. US-Außenministerin Hillary Clinton sprach von einer direkten Bedrohung für die Sicherheit in der Region. Die deutsche Bundesregierung warnte Nordkorea „explizit“ vor dem Raketenstart, der eine Provokation darstelle. Selbst Nordkoreas Schutzmacht China zeigte sich „beunruhigt“.
Und Nordkoreas Diktator Kim Jong Un denkt ans Wetter und die Wälder in seinem Land. Das zumindest ist die offizielle Linie von Nordkoreas Regierung: Der 100 Kilogramm schwere Satellit „Kwangmyongsong-3“ (zu Deutsch: „Glänzender Stern“) solle die meteorologischen Gegebenheiten und die Waldverteilung Nordkoreas untersuchen.
Pjöngjang gibt sich entschlossen, mit dem Start Ernst zu machen. Die dreistufige Trägerrakete des Typs „Unha-3“ sei bereits betankt worden, teilte die nordkoreanische Raumfahrtbehörde am Mittwoch mit. Nach bisherigen Angaben soll der Start zwischen Donnerstag und Montag erfolgen. Auf einem großen Bildschirm in der Kommandozentrale nahe der Hauptstadt Pjöngjang konnten Medienvertreter die Rakete an der Abschussrampe in der Nähe des Ortes Tongchang-ri an der Nordwestküste sehen.
Nordkoreas Geschichte über die Erforschung von Wetter und Geografie mögen manche westliche Experten allerdings nicht glauben. Die Zweifel entzünden sich unter anderem an der Flugbahn, die Nordkorea veröffentlicht hat. Demnach würde die Rakete nach dem Start fast genau in Richtung Süden fliegen. Ihre ausgebrannte erste Stufe soll etwa 120 Kilometer westlich von Südkorea ins Meer fallen, die zweite Stufe östlich von Luzon, der größten Insel der Philippinen.
Doch diese Flugbahn, die im Rahmen einer Standardwarnung an Fluggesellschaften herausgegeben wurde, passe nicht zum angeblichen Start eines Erdbeobachtungssatelliten, wie mehrere Experten bemerken.
Nach offiziellen Angaben soll der Satellit auf einem sonnensynchronen Orbit die Erde umkreisen: Er würde immer zur gleichen Ortszeit über einem bestimmten Gebiet auftauchen. Die Sonnenstrahlen treffen so vom Satelliten aus betrachtet immer im gleichen Winkel auf die Erde, so dass sich zu verschiedenen Zeiten aufgenommene Bilder besser vergleichen lassen.
Der in der Szene bekannte Amateur-Satellitenbeobachter Ted Molczan aber schreibt auf „Satobs.org“, dass der Satellit einen sonnensynchronen Orbit gar nicht erreichen könne – zumindest nicht, wenn die Rakete tatsächlich genau Richtung Süden starten würde. Stattdessen müsste sie entweder das mit Pjöngjang verfeindete Südkorea überfliegen oder aber Chinas dicht besiedelter Ostküste gefährlich nahe kommen, um danach Taiwan zu überqueren.
Molczan hält es für „die vernünftigste Annahme“, dass Nordkoreas Satelliten-Geschichte eine Lüge sei: „Ich bezweifle stark, dass Nordkorea seine Raketenstufen in die Zonen fallen lassen will, die ich abgeschätzt habe.“ Pjöngjang habe die Alibi-Geschichte vom Satellitenstart „mit der Inkompetenz seiner Propagandisten und der übersteigerten Legende verraten“.
Haben also die Kritiker Recht, die Nordkorea einen versteckten Waffentest vorwerfen? Es wäre nach 2006 und 2009 der dritte nordkoreanische Langstreckenraketen-Test. Und grundsätzlich würde eine Rakete, die einen 100 Kilogramm schweren Satelliten in den Orbit bringen kann, auch zur nuklear bestückten Interkontinentalrakete taugen. Fachleute glauben, dass die „Unha-3“ einen Sprengkopf bis in die US-Bundesstaaten Alaska oder Hawaii tragen könnte.
Brian Weeden, früher bei der US-Luftwaffe und inzwischen als technischer Berater bei der Secure World Foundation, hat ebenfalls Probleme mit der Satelliten-Geschichte. Gegenüber „Space.com“ betonte er die ungünstige Lage der Startbasis bei Tongchang-ri, die weit vom Äquator entfernt liege. Dennoch wollte er nicht so weit gehen wie Molczan. „Ted und ich sind hier leicht unterschiedlicher Meinung“, so Weeden. Zwar gebe es eine Lücke zwischen den Ankündigungen und den Fähigkeiten der Nordkoreaner. „Aber ich glaube, dass sie trotzdem versuchen, einen Satelliten in den Orbit zu bekommen.“
Ähnlich vorsichtig gibt sich David Wright von der Union of Concerned Scientists. Er hat nach eigenen Angaben ein Computermodell auf Basis des nordkoreanischen Raketentests von 2009 und der Daten der damals eingesetzten Rakete „Unha-2“ entwickelt. Der Vergleich mit der neuen „Unha-3“-Rakete habe ergeben, dass die ausgebrannten Raketenstufen beim jetzt geplanten Start tatsächlich in die von Pjöngjang angegebenen Gebiete fallen würden, wenn der Satellit wie geplant in eine 500 Kilometer hohe Umlaufbahn gebracht würde.
Die Flugbahn der Rakete würde auf zwei Arten vom typischen Test einer ballistischen Atomrakete abweichen, erklärt Wright: Der Flugkörper würde auf einer steileren Bahn fliegen, als für eine Waffe optimal wäre, und die Brenndauer der Raketenstufen wäre deutlich länger. Dennoch könnte Nordkorea aus dem Start Erkenntnisse gewinnen, die auch für eine Atomrakete nützlich wären, gibt Wright zu bedenken. Endgültige Klarheit werde erst die Auswertung der tatsächlichen Flugbahn bringen. „Aus ihr“, meint Wright, „sollte klar hervorgehen, ob wirklich ein Satellit gestartet wurde.“
Quelle: dapd/Der Spiegel vom 12.04.2012