Israels Regierung will eine iranische Atombombe notfalls mit einem Militärschlag verhindern. Das sei eine Täuschung der Öffentlichkeit, sagt der ehemalige Chef des Inlandsgeheimdiensts. Ein solcher Angriff könne Teherans Atomprogramm nicht aufhalten, sondern die Kriegsgefahr dramatisch erhöhen.
Eine Atombombe in den Händen Irans – dieses Szenario will Israel unter allen Umständen verhindern. Die israelische Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hält sich die Option eines Militärschlags gegen Irans Atomanlagen offen. Dabei wurde immer wieder betont, der späteste Zeitpunkt für einen Präventivangriff sei 2013. Danach könnten die iranischen Anlagen so tief unter die Erde verlegt worden sein, dass selbst bunkerbrechende Waffen ihnen nichts mehr anhaben könnten.
Ein ehemaliger israelischer Spitzenbeamter erhebt nun schwere Vorwürfe gegen seine Regierung. Juwal Diskin, früherer Leiter des israelischen Inlandsgeheimdiensts Schin Bet, sagte, die Bevölkerung werde hinsichtlich des Umgangs mit Iran in die Irre geführt. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Ehud Barak gaukelten „der israelischen Öffentlichkeit in der Iran-Frage ein Trugbild vor“, sagte Diskin während einer Ansprache in der Stadt Kfar Saba bei Tel Aviv.
Diskin leitete den Inlandsgeheimdienst zwischen 2005 und 2011. Nach seiner Ansicht ist die Regierung bereits jetzt nicht in der Lage, mit einem Militärangriff auf die iranischen Atomanlagen die Entwicklung einer Atombombe in dem Land dauerhaft aufzuhalten. Ebenso wenig könne Israel die Folgen eines Kriegs gegen Iran kontrollieren. In einem Kriegsszenario war davon die Rede gewesen, dass bei einer bewaffneten Auseinandersetzung in Israel mit höchstens dreihundert Toten zu rechnen sei.
„Sie tun so, als ob Iran eine Atombombe haben wird, falls Israel nicht dagegen vorgeht“, sagte der ehemalige Chef des Inlandsgeheimdiensts Schin Bet am Freitag über Netanjahu und Barak. Ein israelischer Angriff könne die Iraner jedoch nach Expertenmeinung gerade dazu anstacheln, die Bombe noch viel schneller zu entwickeln. „Das heißt, während die Iraner es heute lieber langsam und im Stillen tun, werden sie dann die Legitimation haben, es schnell und binnen eines kurzen Zeitraums zu machen.“
Vertraute von Netanjahu und Barak warfen ihm am Sonntag nach Rundfunkangaben vor, er sei nur enttäuscht, weil er nicht zum Chef des Auslandsgeheimdiensts Mossad ernannt worden sei. Außerdem verfolge er politische Ziele.
Diskin steht mit seiner Meinung allerdings nicht allein da. Erst vor wenigen Tagen hatte sich Benny Gantz, Generalstabschef der israelischen Armee, ähnlich geäußert. Er denke nicht, dass Iran eine Atombombe bauen werde, sagte er in einem Interview.
Auch der frühere Mossad-Chef Meïr Dagan warnte öffentlich vor einem Angriff auf Irans Atomanlagen. Man müsse daran denken, was am Tag danach geschehe. Solch ein Angriff bedeute für Israel eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes.
Das Regime in Teheran bestreitet, Atomwaffen bauen zu wollen. Das Land hat immer wieder erklärt, die Urananreicherung diene nur zivilen Zwecken. Davon sind Israel und viele andere Länder aber nicht überzeugt. Eine iranische Nuklearwaffe sieht Israel angesichts extrem feindlicher Töne aus Teheran als Bedrohung seiner Existenz. Die israelische Regierung ist äußerst skeptisch, dass Iran nur durch Sanktionen von seinen nuklearen Ambitionen abrücken wird.
Quellen: AFP/dpa/Der Spiegel vom 29.04.2012