Die Lebenqualität der Patienten ist derzeit in der ambulanten und stationären Pflege noch ein völlig unterbelichteter Aspekt. Das erklärte der Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, Dr. Gerhard Timm, in Berlin am heutigen Mittwoch zum Abschluss des ersten Kongresses der Medizinischen Dienste der Krankenkassen (MDK). Sie sei bislang kein Güte-Kriterium, um über die Pflegeleistung gegenüber älteren Menschen ein realistisches Urteil zu fällen. Die derzeit praktizierten Transparenzvereinbarungen seien ungeeignet, um das Wohlergehen zu messen.
Prof. Dr. Klaus Wingenfeldt bestätigte das. Nach Meinung des Wissenschaftlichen Geschäftsführers des Instituts für Pflegewissenschaft an der Universität Bielfeld kann Lebensqualität mit den bisherigen Methoden nur begrenzt abgebildet werden. Soziale Kontakte und die ganzheitliche Betrachtungsweise werden total ausgeblendet, sagte Dr. Peter Michell-Auli, Geschäftsführer des Kuratoriums Deutsche Altershilfe.
Mit einem Feuerwerk vernichtender Zitate brandmarkte der Präsident der Berliner Ärztekammer, Dr. Günther Jonitz, das Treiben der diversen im deutschen Pflegesystem miteinander verflochtenen Organisationen, Interessengruppen und Unternehmen. Vergessen sei alle Humanität, es gehe nur noch um Wirtschaftlichkeit. Es handelt sich um die “Industrialisierung” der Patientenversorgung, geißelte der Chirurg die schlimmen Miss-Stände. Die Eigendynamik des Gesundheitswesens führe in einen ausweglosen Konflikt zwischen Kostenoptimierung und Qualitätssicherung.
Ein Gipfelpunkt der heftigen Kontroversen war am Vortag die Forderung eines Bundestagsabgeordneten aus Nordrhein-Westfalen, den Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) als eine überflüssige Instanz im Pflegebereich auszugrenzen oder zu liqudieren. Er warf den Kongressteilnehmern vor, selbst nie gepflegt zu haben und nur an der Pflegeversicherung verdienen zu wollen.
Im vergangenen Jahr mussten sich 11.068 ambulante Pflegedienste und 11.490 stationäre Pflegeeinrichtungen Qualitätsprüfungen des MDK unterziehen lassen. Diese Begutachtungen sind außerordentlich umstritten, weil ihnen zahlreiche fundamentale Fehler und Mängel anhaften. Unter anderem begutachten die MDK zudem jedes Jahr fast 1,4 Millionen Versicherte, die einen Antrag auf Pflegeleistungen gestellt haben.
Quelle: ADN vom 29.03.2012