Die Europäische Zentralbank unter Mario Draghi überschwemmt die Märkte mit Geld, um die Euro-Zone vor dem Zerfall zu bewahren. Der Erfolg der Operation ist ungewiss, aber ihr Hauptprofiteur steht bereits fest: Europas maroder Bankensektor.
Mario Draghi bekommt dieser Tage viel Lob, besonders von Vertretern der Finanzindustrie. An der Wall Street feiern sie den Zentralbankchef als „Retter Europas“. Großinvestor George Soros preist ihn als den Mann, der „die Kreditklemme beseitigt hat“. Und der Bundesverband deutscher Banken sieht den Geldpolitiker auf gutem Weg, „die Staatsschuldenkrise einzudämmen“.
Wer den Vorteil hat, singt gerne Hymnen. Eine Billion Euro hat Draghi an die Kreditinstitute der Euro-Zone ausgereicht, angeblich um die Währung zu stabilisieren. In Wahrheit dient die Geldkanonade mit der „Dicken Bertha“ nicht zuletzt dazu, dem maroden Finanzsektor des Kontinents den Weg zu neuen Gewinnen freizuschießen. Für ein Prozent können die Kreditinstitute das Geld bei der Zentralbank leihen, um es dann für vier oder fünf Prozent in spanische oder italienische Staatsanleihen zu stecken – leichter kann man sein Geld kaum verdienen. Und das schönste ist: die Gewinne sind garantiert, denn die Banken dürfen ihre frisch erworbenen Papiere gleich wieder als Sicherheiten bei der Zentralbank hinterlegen, die damit einen Großteil des Risikos trägt. So folgt Draghis wundersamer Geldkreislauf jenem Lieblingsmodell der Branche, wonach Gewinne privat kassiert und Verluste der Allgemeinheit aufgebürdet werden.
Das ist der eigentliche Grund für den Jubel des Kreditsektors. Europas Währungspolitik folgt nun erkennbar der vorherrschenden US-Doktrin, nach der sich der oberste Geldpolitiker nicht nur als Kämpfer gegen die Inflation, sondern vor allem als oberster Wirtschaftsförderer zu begreifen hat. Schwächelt die Konjunktur, senkt er die Zinsen, um das Wachstum zu befeuern. Treiben Spekulanten die Preise auf Immobilien- oder Aktienmärkten, lässt er sie gewähren, damit der Aufschwung nicht gefährdet wird. Und wenn die Blase platzt, rettet er die Banken, um das Finanzsystem vor dem Kollaps zu bewahren. Der moderne Währungshüter betreibt sein Geschäft nach der Logik des Investmentbankers, die Draghi aus seiner Zeit beim New Yorker Geldhaus Goldman Sachs bestens bekannt ist. Er bekämpft Schulden mit Schulden und beseitigt die Folgen einer Finanzblase, indem er die nächste aufpumpt.
„Asymmetrische Reaktion“ heißt das im Jargon der Ökonomen, die sich für die Finanzindustrie freilich als Ausdruck höchster Symmetrie entpuppt. Ihr Gewinn ist gesichert, auch wenn sich Aufschwung und Absturz immer rascher aneinander reihen. Asienkrise, Internetblase, Subprime-Crash: was Experten inzwischen als Blasenökonomie schmähen, war für Banken und Fonds stets eine sichere Wette. Im Boom strichen sie exorbitante Profite ein, die nach dem Crash von den Steuerzahlern abgesichert wurden. Richtig besehen ist die angeblich so pragmatische Krisenpolitik angelsächsischer Machart so vor allem eins: Subventionspolitik zugunsten der Finanzindustrie.
Entsprechend sind viele der Jubelgesänge auf Europas neue Zentralbankpolitik nichts anderes als schlecht getarnter Lobbyismus. Wenn US-Finanzminister Timothy Geithner neue Milliardenspritzen der Frankfurter Währungshüter anmahnt, so spricht er vor allem als Anwalt der Wall Street. Und die Chefvolkswirte angelsächsischer Investmentbanken, die in der Regel eine Zinssenkung nach der anderen verlangen, haben nicht zuletzt die Geschäftsinteressen ihrer Brötchengeber im Sinn. Die Finanzkommunikation werde von „den Forschungsabteilungen großer Finanzfirmen geprägt“, die nach „immer größeren Interventionen der Zentralbanken rufen“, klagte jüngst der Vizechef der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, der Dachorganisation der Währungsbehörden. Es ist eine Propaganda, deren Erfolge in der Tat beeindruckend sind. Kein Politiker würde es derzeit wagen, offen Staatshilfen für Banken zu fordern. Werden die Subventionen aber über die Zentralbank verteilt, gilt das als kluge Politik.
Dabei ist das Gegenteil von gut meist gut gemeint, wie auch Draghis Maßnahmen zeigen. Seine Geldspritze soll gesunden Banken im Süden Europas helfen. Tatsächlich kommt sie nicht zuletzt kranken Banken im Norden zugute: schwindsüchtigen Finanzkrisenopfern wie der Düsseldorfer IKB oder der Commerzbanktochter Eurohypo zum Beispiel, die besser längst abgewickelt worden wären. Nun hält Draghis Geldspritze sie künstlich am Leben, während in Brüssel Wettbewerbskommissar Joaquim Almunia ruft: „Wir wollen keine Zombie-Banken mehr“.
Der Widerspruch ist offensichtlich, und er wird noch dadurch vergrößert, dass der Ausstieg aus Draghis Liquiditätsprogramm völlig ungeklärt ist. In drei Jahren müssen die Institute ihre Kredite an die EZB zurückzahlen, doch was geschieht, wenn sie dazu nicht in der Lage sind? Schon gibt es Stimmen, die das Programm auf fünf Jahre verlängern wollen.
Natürlich muss eine Notenbank handeln, wenn ein wirtschaftlicher Einbruch droht. Das ist die Lehre aus der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre. Doch Zeit zu kaufen, ist nur dann eine erfolgversprechende Strategie, wenn die Zeit auch genutzt wird. Europas Regierungen müssen die Staatsschulden abbauen und ihre Banken sanieren. Gelingt das nicht, fällt der nächste Crash umso größer aus.
Sechs Monate nach seinem Amtsantritt ist Draghi zum gefeierten Helden der Finanzbranche aufgestiegen. Doch das ist ein flüchtiger Ruhm, wie der Währungshüter am Beispiel seines einstigen US-Kollegen Alan Greenspan studieren kann. Der langjährige Chef der US-Notenbank Fed wurde als „Magier der Märkte“ gefeiert, so lange er die Märkte mit niedrigen Zinsen bei Laune hielt. Als die von ihm erzeugte Geldschwemme in der Finanzkrise mündete, verspotteten ihn dieselben Banker, die ihn gerade noch bejubelt hatten, als „Mister Bubble“, den Herrn der Blasen. Draghi muss aufpassen, dass es ihm nicht ähnlich ergeht.
Quelle: Reuters/Der Spiegel vom 13.03.2012