Nach einem Doppelveto gegen eine UN-Resolution zu Syrien stehen Russland und China im Zentrum internationaler Kritik. Westliche und arabische Staaten äußerten sich entsetzt über das Nein der beiden Länder zu dem Textentwurf, der die Gewalt in Syrien hätte verurteilen sollen. Die syrische Opposition erklärte, damit habe das Regime von Präsident Bashar al-Assad die „Lizenz zum Töten“. Auch die Münchner Sicherheitskonferenz stand am Wochenende ganz im Zeichen der Ereignisse.
Wenige Stunden vor der Abstimmung am Samstag hatte die syrische Armee in der Protesthochburg Homs ein Massaker mit mehreren hundert Toten angerichtet. Demonstranten stürmten daraufhin syrische Botschaften in Berlin, London, Athen, Kairo, Kuwait, Tripolis und Canberra. Auch in Wien gab es Proteste.
Auftritt Hillary Clinton: Noch vor einem Jahr hatte sie gemeinsam mit Sergej Lawrow im Atrium des Bayerischen Hofes lächelnd den neuen Start-Vertrag unterzeichnet. Diesmal trat sie allein ins Blitzlichtgewitter. Mit versteinerter Miene, sichtlich gezeichnet von mehreren „sehr heftigen“ Gesprächen mit dem russischen Außenminister.
Die US-Chefdiplomatin hatte bei der Sicherheitskonferenz in München versucht, Moskau entgegenzukommen und zu einer Zustimmung zur Sicherheitsratsresolution zu bewegen. Erst sah es eine Zeit lang gut aus, doch dann brachen die Gespräche im Laufe des Samstagnachmittags zusammen. Als Clinton ihre mehrfach verschobene Pressekonferenz begann, jagten die Agenturen die Eilt-Meldung über die Ticker, dass Russland ein Veto zum Resolutionsentwurf zu Syrien im UN-Sicherheitsrat einlegen wird.
„Wir werden dennoch abstimmen. Es ist an der Zeit, unsere Positionen zu deklarieren“ , sagte Clinton. Nach dem „Albtraum“ der jüngsten Massaker in Homs gebe es keine Ausreden mehr: „Was brauchen wir noch, um zu handeln? Wer diese Resolution blockiert, der muss schwere Verantwortung tragen.“ Washington habe von Anfang klargemacht, dass eine militärische Intervention wie in Libyen ausgeschlossen sei. Wenn dem Töten nicht Einhalt geboten werde, sei klar, dass das „Endspiel in Syrien“ ein Bürgerkrieg sei. „Wir müssen jetzt handeln. Wir müssen Assad eine klare Botschaft senden.“
Eine Gelegenheit dafür wäre ein Besuch Lawrows in Damaskus am kommenden Dienstag, den die Russen in München ankündigten. Der russische Außenminister ließ zudem wissen, dass er nicht bereit sei, ein Dokument freizugeben, das einseitige Maßnahmen gegen Assad, aber nichts in Bezug auf die Aufständischen vorsehe.
Ein Vertreter des katarischen Premierministers erklärte am Sonntag bei einer kaum optimistischen Diskussionsrunde zur „Zukunft des Nahen Ostens“ in München: „Die Russen haben uns ihre drei roten Linien im Zusammenhang mit Syrien mitgeteilt: keine militärische Intervention, kein Regimewechsel in Damaskus und keine Änderung der ökonomischen Gewichte in Syrien. Wir haben das berücksichtigt. Die Resolution kam dennoch nicht zustande. Jetzt hat Assad die Lizenz zum Töten. Punkt.“
Friedensnobelpreisträgerin Tawakkul Karman rief die internationale Gemeinschaft auf diesem Panel in einer emotionalen Rede zum Handeln auf: „Russland und China unterstützen das kriminelle Regime von Bashar al-Assad. Ich bitte Sie, die syrischen Botschafter aus Ihrem Land zu weisen und Ihre Botschafter zurückzuziehen. Der Krieg, den Assad führt, ist ein Krieg gegen die Menschlichkeit.“ US-Senator Joe Lieberman schlug andere Operationen vor: „Ich denke, wir sollten damit anfangen, die Freie Syrische Armee zu unterstützen. Das kann medizinische Unterstützung sein, Unterstützung in Bezug auf Informationen, Aufklärungsergebnisse, die wir sammeln, und schließlich können wir ihnen natürlich Waffen liefern und sie ausbilden.“
Bei der zweiten Causa prima – dem Atomstreit mit dem Iran – wurde in München versucht, die Kriegsfurcht der vergangenen Tage zu entkräften. Israels Vize-Außenminister Danny Ayalon erklärte, man müsse den jüngst erlassenen Sanktionen gegen den Iran Zeit geben, um zu wirken.
Teheran ließ am Sonntag wissen, die EU möge doch ihre Sanktionen überdenken. Denn ohne iranisches Öl werde es auf dem Rohölmarkt zu Turbulenzen kommen. Und Israels Außenminister Avigdor Lieberman reist zu einem kurzfristig angesetzten Termin in die USA. Er werde bei erstmals seit eineinhalb Jahren stattfindenden Gesprächen mit Clinton erklären, dass die bisherigen Sanktionen gegen den Iran nicht ausreichten, hieß es am Sonntag aus seinem Büro.
Quelle: Christoph Prantner aus München, DER STANDARD – Printausgabe vom 6.2.2012