„Bomben auf Iran sollen die Eurokrise vertuschen“

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Die neuesten Wikileaks-Enthüllungen über die US-Firma Stratfor sind harmlos. Doch sie bringen Licht in ein Schattenreich aus Möchtegern-Spionen und dubiosen Informanten. Und sie zeigen: Auch bei einem Privatgeheimdienst geht es zu wie in jedem anderen Büro.

Es sind finstere Tipps, wie sie sich für eine Schnüffelfirma gehören. „Gebe nichts zu. Streite alles ab und stelle Gegenbeschuldigungen auf“, schreibt ein gewisser Fred an seinen Kollegen Rob. Das sei „Freds Regel Nummer 2“, heißt es in dem E-Mail-Dialog, gehackt von den Servern des US-Sicherheitsunternehmens Stratfor. Fred und Rob sind Mitarbeiter der Firma, die wie ein Geheimdienst im Auftrag von Konzernen, Regierungen oder Militärs weltweit Informationen sammelt und gerne als „private CIA“ bezeichnet wird.

Sind hier Vertuscher am Werk? Raten Fred und Rob ihrem Kunden zu unlauteren Methoden? Der Kontext ist nicht ganz so spektakulär: Es geht um geklaute Tortellini in der Stratfor-Zentrale. „Jemand hat mein mitgebrachtes Mittagessen genommen“, hatte Rob zuvor geschrieben.

Die Sache mit den Nudeln findet sich in einer von mehr als fünf Millionen angeblichen internen Stratfor-Mails, die die Enthüllungsplattform Wikileaks am Montag begonnen hat zu veröffentlichen. Als „außergewöhnliche News“ hatte die Organisation sie angekündigt: „Die E-Mails zeigen das Informanten-Netz von Stratfor, die Honorarstruktur, Geldwäsche-Praktiken und psychologische Methoden“. Gründer Julian Assange sagte in London: „Sie zeigen das private Leben, die privaten Lügen der privaten Spione“.

Wer die ersten gut 200 Mails durchgeht, die am Montag hochgeladen wurden, findet allerdings vor allem einen ungeordneten Wust an Selbstverständlichkeiten, Mutmaßungen und Belanglosigkeiten. Wenn die Dokumente etwas über Stratfor aussagen, dann höchstens das: Die geheimnisvolle Firma kocht auch nur mit Wasser.

Beispiel Coca-Cola: Der US-Getränkeriese soll Stratfor im Juni 2009 beauftragt haben, im Vorfeld der Olympischen Spiele in Vancouver die Tierschutzorganisation Peta auszuspionieren. Die Fragen, die der Konzern hatte, sind harmlos: Wie viele Peta-Unterstützer gibt es in Kanada? Werden US-Tierschützer anreisen? Dafür braucht man keinen Geheimdienst.

Beispiel Euro-Krise: Ein Stratfor-Mitarbeiter zitierte 2011 einen israelischen Geheimdienstoffizier mit einer steilen These: Der Iran-Konflikt sei nichts als eine Ablenkung von der Eurokrise. „Die Kampagne ,Lasst uns Iran bombardieren‘ wurde von den EU-Anführern befohlen, um die öffentliche Aufmerksamkeit von den finanziellen Problemen zu Hause wegzulenken“, so der Informant. Eine Meinung, der die Stratfor-Mitarbeiter selbst nicht ganz trauen.

Beispiel Carl Bildt: In einer E-Mail mit den Titel „Inside – Schweden“ verfasste ein Stratfor-Mitarbeiter 2009 ein Porträt über den schwedischen Außenminister. Unter Berufung auf eine Quelle ist Bildt demnach ein Putin-Kritiker und will für sein Land eine stärkere Position in der EU. Vor allem aber sei der Schwede „offensichtlich sehr groß, hat ein fotografisches Gedächtnis und ist sehr schlau“. Ein Blick in die Zeitung hätte nicht weniger gebracht.

Daneben finden sich in den Mails zwar potenziell brisante Themen, deren Inhalt beruht jedoch oft nur auf Hörensagen oder dubiosen Quellen. Dass der Moskauer US-Botschafter Angst vor Putin habe, ist ebenso wenig belegt wie die These, Israel habe Irans Atomanlagen längst zerstört. Andere Mails offenbaren Selbstverständliches: Etwa, dass ein Krieg im Nahen Osten die Ölpreise steigen lassen und den Westen empfindlich treffen würde. Und dass der US-Chemieriese Dow Chemical Menschen beobachten lässt, die sich gegen das konzerneigene Unglücks-Werk Bhopal in Indien engagieren, ist für die Betroffenen unangenehm, aber für die Allgemeinheit nicht überraschend.

Die Reaktionen auf die Enthüllungen waren entsprechend höhnisch. „Wow“, twitterte das Fachmagazin „Wired“. „Was als nächstes kommt: (Stratfor-Chef) George Friedmans beliebtes Tapiocapudding-Rezept“. „Wikigähn“,kommentierte Jack Shafer von der Nachrichtenagentur Reuters. Max Fisher vom renommierten Magazin „The Atlantic“ schrieb: „Stratfor ist ein Witz. Und Wikileaks auch, weil es die Firma ernst nimmt“. In Deutschland twitterte Frank Rieger vom Chaos Computer Club: „Bisher hat der Stratfor-Leak ja eher Popcorn-Value als Großskandal-Charakter. Bin gespannt, was da noch kommt.“

Die Echtheit der Mails, die Wikileaks unter dem Titel „The Global Intelligence Files“ auf der Website gebündelt hat, wollte Stratfor nicht bestätigen. Man werde sich auch nicht zu den Inhalten äußern. Gründer und Firmenchef Friedman hatte im Januar öffentlich gemacht, dass Stratfor Ziel von Hackern gewesen sei und dass E-Mails gestohlen worden waren. Das Hacker-Kollektiv Anonymous hatte sich dazu bekannt. Dass die aktuellen Daten tatsächlich von Anonymous hochgeladen wurden, wollte wiederum Wikileaks nicht bestätigen.

Für die Organisation, deren Gründer Assange in London unter Hausarrest seine Abschiebung nach Schweden fürchten muss, sollen die „Global Intelligence Files“ eine Art Wiederbelebung werden. Wikileaks hatte weltweit Anerkennung für die Veröffentlichung militärischer und diplomatischer US-Dokumente bekommen, das geleakte Video von einer Hubschrauber-Besatzung, die im Irak auf Zivilisten schießt, hatte Entsetzen ausgelöst. Doch nachdem Kreditkartenfirmen Spenden fast unmöglich machten, nach internen Querelen und Pannen, war es um die Enthüller-Plattform zuletzt ziemlich still geworden.

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Durch die Zusammenarbeit mit 25 Zeitungen und Fernsehsendern aus aller Welt, darunter dem „Rolling Stone“ und dem deutschen NDR, ist nun aber wieder maximale Aufmerksamkeit garantiert. Und es kann ja gut sein, dass unter den nun nach und nach bekannt werdenden fünf Millionen E-Mails noch brisante Enthüllungen über die geheimnistuerische Firma stecken. Potenzial könnte unter anderem noch ein angeblich geplanter Hedgefonds von Stratfor gemeinsam mit Goldman Sachs haben. Assange versprach denn auch für die nächste Tage eine große Enthüllung.

Solche Ankündigungen sind allerdings spätestens seit der Sache mit der Bank of America ein bisschen heikel. Vor zwei Jahren hatte Assange damit gedroht, Wikileaks werde demnächst Interna einer US-Großbank veröffentlichen, „die ein oder zwei Banken in die Tiefe reißen“ könnten. Es passierte: nichts.

Quelle: handelsblatt.de vom 28.02.2012

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