Tödliche Freundschaft: Was wir den Tieren schuldig sind und warum wir ohne sie nicht leben können

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Die Kulturgeschichte der Beziehung des Menschen zu seinen Nutztieren.

Ohne unsere Nutztiere gäbe es den modernen Menschen nicht! Denn der Homo sapiens hätte sich niemals zur weltbeherrschenden Gattung entwickelt, wenn unsere Vorfahren nicht eine besonders eiweißreiche Nahrung für sich entdeckt hätten: das Fleisch.

Buchautor Florian Schwinn zeichnet in seinem Buch „Tödliche Freundschaft“ die Kulturgeschichte der untrennbaren Beziehung des Menschen und seiner Nutztiere nach. Schwinn fordert, diese unauflösliche Verbindung von Mensch und Tier zu bewahren und zu erneuern.

Er liefert ein leidenschaftliches Plädoyer für einen respektvollen Umgang mit unseren Nutztieren und die Rechte der Tiere.

Es gibt viele gute Argumente, mit den Nutztieren, die wir essen und auf deren Produkte wir angewiesen sind, besser und anders umzugehen, als die industrialisierte Landwirtschaft das heute tut.

Die Parole veganer Aktivisten – „Nur die Freiheit ist artgerecht“ – zeugt laut Schwinn aber von jeder Menge Unwissenheit. Denn ohne die menschliche Obhut müssten die befreiten Nutztiere sterben. Und mit ihnen sehr viele Menschen.

Faktenreich erläutert Florian Schwinn, warum die globale Umstellung auf eine vegane Ernährung ein Irrweg wäre. Für eine flächendeckende menschliche Ernährung ohne Tiere fehlen weltweit die landwirtschaftlichen Nutzflächen. Sie wäre weder gesund noch naturnah, sondern auf Kunstdünger und Agrarchemie angewiesen.

Dieses lesenswerte Buch liefert nachvollziehbare Fakten und einen wertvollen Beitrag zur Versachlichung der häufig hoch emotional geführten Diskussion zum Verhältnis des Menschen zu seinen Nutztieren (Tierfutter: So macht die Industrie Ihre Vierbeiner krank).

Das Tier und seine Menschen

Der Mensch ist nichts ohne seine Tiere. Wenn wir keine Nutztiere hätten, würden wir wohl heute noch in kleinen Gruppen durch die Steppen und Wälder ziehen. Die Tiere sind unser Schlüssel zur Zivilisation, unser Eingang in die Kulturentwicklung, unsere Partner bei der größten Revolution der bisherigen Menschheitsgeschichte – der Revolution des Neolithikums, der Jungsteinzeit, in der wir von Jägern und Sammlern zu sesshaften Bauern wurden.

Was wären wir ohne den Hund? Wäre es uns überhaupt möglich gewesen, ohne den Helfer bei der Jagd genügend Nahrung herbeizuschaffen für wachsende Menschengruppen mit wachsenden Gehirnen? Zwanzig Prozent der Energie, die wir heutigen Menschen verbrauchen, benötigt das Gehirn, obwohl es bei Erwachsenen nur zwei Prozent der Körpermasse ausmacht.

Kleinkinder brauchen sogar bis zur Hälfte der Energie für das Gehirn. Schon früh in der Evolution des Menschen war es einer Mutter allein nicht mehr möglich, die für die Energiezufuhr ihres Neugeborenen nötige Menge an Nahrungsmitteln zu beschaffen.

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Ein afrikanisches Sprichwort sagt: Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen. Das ist eine sehr alte Erfahrung der Menschen. Sie mussten sich zusammenschließen, um ihre Kinder großzuziehen. Sie brauchten Hilfe. Und sie mussten lernen, sich neu zu organisieren, sozial und solidarisch. Sie mussten lernen, dass die Gemeinschaft mehr ist als die Summe ihrer Teile. Und der perfekte Lehrmeister dafür war der Wolf. Und der perfekte Helfer war der zahm gewordene Wolf.

Sowohl bei der Jagd als auch viel später in unserer Entwicklungsgeschichte – bei der Bewachung der zahmen Schafe, der Ziegen Schweine. Und was kam dann erst mit dem Rind in unsere Hand: ein Arbeiter, ein Transportmittel mit übermenschlicher Zugkraft, ein Verwerter von Futtermitteln, die für Menschen ungenießbar sind.

Mehr noch: Das Rind lieferte mit der Milch gleich noch ein zusätzliches, vielfältiges Nahrungsmittel, lieferte Dung als Brennstoff und als Dünger sowie am Ende seines Lebens auch Fleisch, das nicht mehr gejagt werden musste, und Leder, Kleidung und Horn. Mit der Zeit, die nicht mehr nur fürs Sammeln und Jagen genutzt werden musste, hatten unsere Vorfahren dann auch die Muße für die Entwicklung von Kult und Kultur, für die Kunst. Die Tiere allerdings haben die Nähe zum Menschen teuer bezahlt. Auch unsere ersten und treuesten Helfer, die Hunde.

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Sie wurden geschlagen, gequält, gegessen, als Versuchstiere misshandelt, in den Krieg geschickt, krank gefüttert, krank gezüchtet und als Waffe oder als Schoßtier gebraucht und missbraucht. Sie sind Opfer unserer selbstsüchtigen, machiavellischen Intelligenz. Wie überhaupt alle Tiere, die wir zu Haus- und Nutztieren gemacht haben, die sich dazu machen ließen, sich in unsere Obhut begaben und sich dabei veränderten, dabei verändert wurden.

Generell gilt wohl aus Sicht der Tiere: Wenn man die Menschen zu Freunden hat, muss man sich um seine natürlichen Feinde keine Sorgen mehr machen. Sie von den Nutztieren fern zu halten, liegt im Interesse der Menschen. Die Kehrseite des Lebens in menschlicher Obhut ist aber ebenso deutlich: Wenn man die Menschen zu Freunden hat, braucht man auch keine anderen Feinde mehr.

Die Freundschaft endet zumeist frühzeitig mit dem Tod. Es sei denn, man hat es als Tier in menschlicher Obhut zu einer jüngeren Sonderform des Haustieres gebracht – man ist Heimtier geworden, eine Art Vergnügungstier, dessen Nutzen nur noch ein sozialer ist. Wobei auch in diesem Fall das Soziale nur für den Menschen gilt. Denn von artgerechter Haltung kann auch bei vielen Heimtieren nicht die Rede sein.

Immer schon bauten die Menschen ihre tierischen Begleiter in ihre Kulturentwicklung ein. Bis hin zur Verehrung. Vielleicht haben die Höhlenmalereien der Altsteinzeit kultische, religiöse Bedeutung. Dann wäre der Verehrung der Nutztiere die der Beutetiere vorausgegangen. Aus späteren Epochen ist der Kultstatus der Tiere belegt. Die alten Ägypter kannten den hundeköpfigen Gott Anubis und den heiligen Stier von Memphis. Die Kreter den stierköpfigen Minotaurus und den heiligen minoischen Stier.

Der Sanskrit-Name für die Kuh im Indischen bedeutet »die Unantastbare«. Und der Name des ganzen Landes Italien geht wohl auf das Wort vituli für die Söhne des Stiergottes und damit auf den Stierkult der vorrömischen Italiker zurück. Wie weit ist der Weg von den Stieren und Kühen und Kälbern der altsteinzeitlichen Maler der Höhlen von Chauvet und Lascaux zum heutigen Industrielandwirt? Wie viel Kultur ist auf diesem Weg mit und durch die Tiere entstanden und wie viel droht am Ende des Weges in sehr kurzer Zeit wieder vernichtet zu werden?

Die Industrialisierung der Landwirtschaft ist ein noch recht junges Phänomen. Die großen Umwälzungen in der gewerblichen Produktion und beim Abbau von Bodenschätzen, die im späten 18. Jahrhundert begannen und im 19. Jahrhundert zur sogenannten Industriellen Revolution wurden, ließen die Landwirtschaft lange Zeit außen vor.

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg folgte der Strukturbruch: der Einzug der Industrialisierung in die Land- und Forstwirtschaft. Man kann diesen Umbruch an einer Maschine festmachen: am dieselgetriebenen Traktor, der ab Ende der 1950er Jahre mit einem Zapfwellenantrieb ausgestattet war, an dem wiederum viele andere neue Maschinen betrieben werden konnten. Und als dann auch noch fast gleichzeitig die Mähdrescher aufkamen, war es mit der Pferdewirtschaft bald vorbei.

Die Industrialisierung der Landwirtschaft war blutig: Millionen von Pferden wurden geschlachtet. Damit wurden die bislang dem Futteranbau für die Arbeitstiere vorbehaltenen Flächen frei. Darauf musste nun nicht mehr Energie für die Tierarbeit und den Transport angebaut werden. Darauf konnte Futter für Nutztiere wachsen, die Milch und Fleisch lieferten. Es begann die neue Zeit der Großställe, zunächst in der Schweine- und Geflügelhaltung.

Und die Zeit der Zurichtung der Tiere auf die neuen Haltungsformen. Nicht die neue Industrie passte sich den Tieren an; die Tiere wurden der Industrie angepasst. Spezialisierte Betriebe verlangten spezialisierte Tiere. Legehennen für die Käfigbatterien. Schnell wachsende und weniger fette Schweine mit mehr Muskelfleisch. Der Deutschen Landrasse wurden ein paar Rippen mehr angezüchtet: macht je Rippenpaar zwei Koteletts mehr.

Es ist kaum fünfzig Jahre her, dass wir das Tier zum Produktionsmittel der Industrielandwirtschaft gemacht haben. Und der Prozess ist noch nicht beendet. Noch sind die alten Nutztierrassen nicht ausgestorben. Es gibt noch Schweine, die draußen gehalten werden können, es gibt noch Hühner, die Eier legen und Fleisch liefern, es gibt noch Rinder, die nicht nur Milch oder nur Fleisch bringen.

Wir können noch umkehren, zurück zu unserem Kulturhelfer Nutztier. Und die Rück-Besinnung hat auch schon begonnen. Es gibt Initiativen, die die alten Landrassen der Nutztiere erhalten. Einige Bauern setzen wieder auf die alten Rassen oder kreuzen sie in ihre Bestände ein. Es gibt wieder Schweinehalter, die ihre Tiere rauslassen auf die Weide, sogar in den Wald. Es gibt Geflügelzüchter, die zurückwollen zum Zwei-Nutzen-Huhn.

Für immer mehr Menschen allerdings endet die Besinnung mit einer kompletten Abkehr von allen tierischen Produkten. Sie halten die Domestikation von Tieren für den Sündenfall. Sie wollen, dass wir uns wieder von den Tieren trennen, dass wir die Nutztiere aussterben lassen. Das wäre dann auch eine Abkehr von unserer eigenen Kulturgeschichte. Die aber sollte man wenigstens kennen, bevor man sich von ihr abwendet. Wir sollten wissen, was wir den Tieren verdanken, wenn wir ihre gemeinsame Geschichte mit uns beenden wollen.

Und wir sollten wissen, wo wir noch heute auf die Nutzung, auf die Hilfe von Tieren angewiesen sind. Ohne Schafe zum Beispiel keine Deichpflege – Land unter in Norddeutschland und den Niederlanden. Ohne Bienen als Nutztiere kaum mehr Obst, keine Mandeln, weniger Gemüse und viel weniger Sonnenblumen- und Rapsöl. Nur zum Beispiel. Und ohne Rinder und die kleineren Wiederkäuer keine Welternährung, denn fast zwei Drittel der weltweit landwirtschaftlich nutzbaren Fläche ist Weideland, und das meiste davon kann auch nicht in Ackerland umgewandelt werden. Das heißt, um es klar und hart zu sagen: Vegan ist der Tod! Nicht, wenn einzelne Menschen vegan leben. Das können und sollen sie gerne tun. Das hilft zwar den Nutztieren nicht, ist aber eine achtbare Entscheidung.

  

Jeder Mensch kann für sich so entscheiden, solange es nicht jeder tut. Falls aber die Überzeugung, dass vegane Ernährung besser sei, zum »Ismus« wird, zur moralischen Verpflichtung, zur neuen Religion, dann wird es tödlich. Der Verzicht auf die Tiere bedeutet Tod: den Tod der Nutztiere selbst und das Aussterben ihrer Arten. Denn ohne uns sind sie nicht überlebensfähig. Und es bedeutet den Tod vieler Millionen Menschen, die ohne Nutztiere nicht ernährt werden können. Und den Tod unserer bisherigen Kultur.

Wenn wir allerdings weiter so umgehen mit den Tieren, wie wir das in der Industrielandwirtschaft begonnen haben, dann beerdigen wir unsere Kultur ebenfalls. Wir verlieren den Kontakt zu unseren Kulturhelfern, wir entfernen sie aus unserem Blickfeld; wir stecken sie weg in Fabrikställe, reduzieren sie auf Produktionsmittel und Produkt. Wir züchten sie industriegerecht. Dafür sind Lebewesen auf Dauer nicht geeignet.

Besser für uns und die Tiere wäre es, wir würden zu einer neuen Haltung ihnen gegenüber finden. Was sie für uns getan haben, verlangt Respekt. Was das für unseren Umgang mit den Tieren bedeutet, darüber lässt sich besser reden, wenn wir uns klar darüber geworden sind, was wir den Tieren verdanken.

Wenn wir uns unsere gemeinsame Kulturgeschichte mit den Tieren wieder in Erinnerung gerufen haben. Mit dieser Erinnerungsarbeit will dieses Buch beginnen.

Inhaltsverzeichnis als PDF.

Literatur:

Wenn Futter krank macht: Futtermittelallergien und -unverträglichkeiten bei Hunden von Martin Bucksch

Frankensteins Katze: Wie Biotechnologen die Tiere der Zukunft schaffen von Emily Anthes

Was Sie schon immer über Tierversuche wissen wollten: Ein Blick hinter die Kulissen von Corina Gericke

Quellen: PublicDomain/westendverlag.de am 26.01.2017

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One thought on “Tödliche Freundschaft: Was wir den Tieren schuldig sind und warum wir ohne sie nicht leben können

  1. „Niemand ist frei von Fehlern. Die letzte Abrechnungen mit dem Allmächtigen macht jeder für sich allein, in Gesamtheit jedes einzelne Volk, doch keiner, der da lebt auf Erden, kann behaupten GOTT zu lieben, der Seine Schöpfung misshandelt, zu Tode bringt und dann frisst!“
    (Zitat von A. H. 1937)

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