Johanna Wankas Initiative zur stärkeren Digitalisierung an den Schulen sei ein Skandal, urteilt der Neurowissenschaftler Manfred Spitzer. Diese Maßnahmen würden zu einer Verdummung der Schüler und zu einer „Bildungskatastrophe“ führen, warnt er.
„Das ist eine Verdummungsmaßname“. So lautet das vernichtende Urteil des renommierten Neurowissenschaftlers Manfred Spitzer zu der von Bundesbildungsministerin Johanna Wanka angekündigten Initiative zur digitalen Bildung an Schulen.
Wer fünf Milliarden Euro ausgeben wollen, müsse erst einmal beweisen, dass diese Investition tatsächlich eine Verbesserung mit sich bringe, sagte Spitzer im Deutschlandradio Kultur. Er verwies auf zahlreiche, bereits vorhandene wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema:
„Es gibt keinerlei Anhalt – außer dem Wunschdenken -, dass das eine Maßnahme ist, die uns weiter bringt. Ich schlage doch in der Medizin auch nicht eine Operationsmethode vor, bei der bislang alle gestorben sind.
Bevor nicht die neue Therapie nachweislich besser ist als das Alte, was wir schon haben, würden wir niemals fünf Milliarden für die neue Therapie ausgeben. Genau das schlägt Frau Wanka gerade vor.“
„Das Wichtigste am Unterricht ist ein guter Lehrer“
Dieser Vorschlag sei ein Skandal, kritisierte Spitzer, der zahlreiche Bücher über die Gefahren digitaler Mediennutzung verfasst hat, etwa den Bestseller „Digitale Demenz„.
Die Umsetzung von Wankas Ideen werde in eine „Bildungskatastrophe“ münden, warnt er:
„Der Lehrerverband hat vollkommen recht. Solange wir wissen: Das Wichtigste am Unterricht ist ein guter Lehrer – dann kann man mit fünf Milliarden noch ein paar Lehrerstellen schaffen. Und solange bei uns sogar der Unterricht ausfällt, weil kein Lehrer da ist, kann man fünf Milliarden sehr gut für Bildung anlegen.
Wenn man dafür Geräte kauft, dann sind die in drei Jahren veraltet oder kaputt. Und das Geld ist vertan. Und diejenigen, die es angewendet haben, sind auch noch dümmer geworden.“
„Menschen downloaden nicht“ – Lernen ist geistige Arbeit
Wo liegen die Gründe für diesen nach Spitzers Auffassung ablaufenden Verdummungsprozess durch digitale Medien? Lernen bedeute letztlich, dass man sein Gehirn benutzen müsse, machte der Hirnforscher aus neurowissenschaftlicher Sicht deutlich. Lernen bedeute eben vor allem geistige Arbeit:
„Menschen downloaden nicht, sondern sie beschäftigen sich mit etwas. Und je tiefer, je intensiver sie sich mit etwas beschäftigen, desto mehr bleibt hängen. Ein Computer hat einen Chip, der verarbeitet Informationen.
Unser Gehirn hat einfach nur Nervenzellen. Und die verarbeiten Informationen. Und dadurch, dass sie das tun, ändern sich die Verbindungen zwischen ihnen. Und das ist der Speicher. Wenn ich Informationsverarbeitung nicht im Gehirn, sondern im Computer betreibe, hat das Gehirn nichts gelernt.“
Laute Kritik der Lehrerverbände
Der Bund will für Computer und WLAN in allen 40.000 Schulen bis 2021 fünf Milliarden Euro bereitstellen. Geld, mit dem man besser die maroden Schulgebäude sanieren sollte, sagte der Präsident des Deutschen Lehrerverbands Kraus der „Passauer Neuen Presse“.
Viele Gebäude seien in einem so schlechten Zustand, dass eigentlich sofort etwas getan werden müsse: „Hier müsste etwas geschehen. Das wäre ein vernünftiges Investitionsprogramm und würde einen kräftigen Push für unseren Arbeitsmarkt bringen.“
„Häppchenwissen wird verstärkt“
Genauso sieht es auch die Vizechefin des Gewerkschaftsbunds, Hannack. „Wo in Klassenzimmern der Schimmel die Wände hochkriecht und Schulklos verstopft sind, reicht es nicht, Tablets und WLAN bereitzustellen“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur.
Lehrerpräsident Kraus kritisiert außerdem, dass es keine unabhängigen Studien darüber gebe, dass digitalisierte Schulen auch zu besseren Schülerleistungen führten: „Wir brauchen keine Laptop-Klassen! Die Digitalisierung der Klassen würde die bei den Schülern ohnehin vorhandene Neigung zum Häppchenwissen noch verstärken.“
„Menschen downloaden nicht, sondern sie beschäftigen sich mit etwas. Und je tiefer, je intensiver sie sich mit etwas beschäftigen, desto mehr bleibt hängen. Ein Computer hat einen Chip, der verarbeitet Informationen. Unser Gehirn hat einfach nur Nervenzellen. Und die verarbeiten Informationen. Und dadurch, dass sie das tun, ändern sich die Verbindungen zwischen ihnen. Und das ist der Speicher. Wenn ich Informationsverarbeitung nicht im Gehirn, sondern im Computer betreibe, hat das Gehirn nichts gelernt.“
Martin Spitzer
Kraus: Lieber direkt miteinander sprechen als per Whatsapp
Kraus fände es wichtiger, wenn die Nutzung digitaler Medien außerhalb des Unterrichts an Schulen generell verboten werde, so wie es bereits in Bayern ist. Weniger Technik, mehr direkte Kommunikation: „Ich würde mir wünschen, dass unsere Schüler auch in den Pausen miteinander sprechen, miteinander spielen. Die vis-a-vis-Kommunikation ist immer besser, als auf dem Schulhof nebeneinanderzusitzen und sich gegenseitig Whatsapp-Nachrichten zu schicken.“
„Das Netz scheint mir meine Fähigkeit zur Konzentration und Kontemplation zu zerstören. Mein Geist erwartet nun, Informationen in genau der Weise aufzunehmen, wie sie durch das Netz geliefert werden: In Form eines rasch bewegten Stroms kleiner Teilchen […] Meine Freunde sagen dasselbe: Je mehr sie das Netz benutzen, desto mehr müssen sie kämpfen, um sich auf das Schreiben längerer Abschnitte zu konzentrieren.“
Internetexperte und Schriftsteller Nicholas Carr
Ärzte aus Südkorea, einem hochmodernen Industriestaat mit der wahrscheinlich höchsten Mediatisierung überhaupt, konstatierten bei ihren jungen Erwachsenen vor fünf Jahren nicht nur ähnliche Phänomene, wie sie der erwachsene Intellektuelle aus den USA schildert, sondern darüber hinaus auch Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen, emotionale Verflachung und Abstumpfung und Probleme beim Lesen von Texten.
Da die Betroffenen angaben, Computer und Internet sehr intensiv zu nutzen, stellten die Ärzte einen kausalen Zusammenhang her und nannten das Krankheitsbild «digitale Demenz».
Auf die Frage, welche Auswirkungen diese digitale Welt langfristig haben wird, hielten knapp die Hälfte von über 1000 Internetexperten einer amerikanischen Online-Befragung Ende Oktober 2011 die folgende pessimistische Aussage über die Zukunft des Internets und dessen Folgen für die geistigen Fähigkeiten der nächsten Generation für zutreffend:
„Im Jahre 2020 werden die Gehirne von Multitasking betreibenden Teenagern und jungen Erwachsenen [die verschiedene Tätigkeiten gleichzeitig erledigen, R.H.] anders ‹verdrahtet› sein als die Gehirne der Menschen über 35 Jahren, und dies wird insgesamt böse und traurige Auswirkungen haben. Sie können sich nichts mehr merken, verbringen die meiste Energie damit, kurze soziale Nachrichten auszutauschen, mit Unterhaltung und mit Ablenkung von einer wirklich tiefen Beschäftigung mit Menschen und Erkenntnissen. Die Fähigkeit zum grundlegenden Nachdenken haben sie nicht, die zur wirklichen Gemeinschaft von Angesicht zu Angesicht auch nicht. Sie hängen vielmehr in einer sehr ungesunden Weise vom Internet und mobilen Endgeräten ab, um überhaupt zu funktionieren. In der Summe führen die Veränderungen des Verhaltens und Denkens bei den jungen Leuten ganz allgemein zu negativen Auswirkungen.“
Schöne neue Computerwelt!
Literatur:
Generation Ego: Die Werte der Jugend im 21. Jahrhundert von Bernhard Heinzlmaier
Der verratene Himmel: Rückkehr nach Eden von Dieter Broers
Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen von Manfred Spitzer
Quellen: PublicDomain/deutschlandradiokultur.de/swr3.de/zeit-fragen.ch am 12.10.2016
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