In der Thüringer Polizei sind jahrelang heimlich Telefonate mitgeschnitten worden. Nach Recherchen von MDR THÜRINGEN wurden von 1999 bis Juli 2016 offenbar zehntausende von Gesprächen automatisch aufgezeichnet.
Dies geschah ohne Wissen und Zustimmung der Gesprächsteilnehmer. Die Staatsanwaltschaft Erfurt ermittelt, Gewerkschaft und Politiker fordern Aufklärung.
Eine Affäre um heimlich aufgezeichnete Telefongespräche bei der Thüringer Polizei sorgt für Empörung. Sowohl die Opposition im Thüringer Landtag als auch die Parteien der rot-rot-grünen Regierungskoalition forderten am Mittwoch nach Bekanntwerden der Affäre umfassende Aufklärung vom Innenministerium.
Die Linke sprach von einem „vergifteten Erbe“ der CDU, die SPD von einer „fragwürdigen Praxis“. Die CDU kritisierte den „gravierenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte“ der Abgehörten.
Aus vertraulichen Unterlagen, die MDR THÜRINGEN vorliegen, geht hervor, dass Telefonate von internen Diensttelefonen in den verschiedensten Bereichen der Polizeibehörden aufgezeichnet wurden. Betroffen sind die Landespolizeidirektion, das Landeskriminalamt, die sieben Landespolizeiinspektionen und alle Polizeiinspektionen. Außerdem sollen Gespräche von außerhalb in die Dienststellen mitgeschnitten worden sein, so unter anderem Anrufe von Staatsanwälten.
Nach MDR THÜRINGEN-Recherchen besteht darüber hinaus der Verdacht, dass auch Gespräche mit Rechtsanwälten, Justizbeamten, Sozialarbeitern, Journalisten oder anderen Personen mitgeschnitten wurden, die dienstlich interne Nummern der Thüringer Polizei anriefen.
Die Staatsanwaltschaft Erfurt ermittelt bereits seit dem Frühjahr dieses Jahres dazu. Nach Angaben von Sprecherin Anette Schmidtter Hell hatten zwei Thüringer Staatsanwälte Anzeige erstattet.
Konkret richtet sich das Verfahren gegen einen ehemaligen Verantwortlichen des Innenministeriums. Es werde wegen des Verdachts auf Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes ermittelt.
Staatsanwalt stellte Nachforschungen an
Aufgeflogen ist das Ganze durch einen Staatsanwalt im Frühjahr. Er hatte bei Nachforschungen festgestellt, dass dienstliche Telefonate, die er mit einer Ostthüringer Polizeidienststelle führte, mehrfach ohne sein Wissen und seine Zustimmung mitgeschnitten wurden. Er beschwerte sich bei der Thüringer Polizeiführung, die danach die Praxis Anfang Juli gestoppt haben soll.
Hintergrund der jahrelangen Abhöraktion ist ein Erlass des Thüringer Innenministeriums vom August 1999. Nach diesem wurde in allen Thüringer Polizeidienststellen eine automatisierte Mitschnittfunktion von bestimmten internen Nummern installiert.
Der mitgeschnittene Anruf wurde auf einem Voicestream, also einer elektronischen Aufzeichnung gespeichert. Bisher ist unklar, wer dann entschieden hat, welche der Aufzeichnungen weiter gespeichert oder gelöscht wurde.
Innenministerium hatte Praktiken dementiert
Auch ist bisher nicht geklärt, wo die Daten gespeichert wurden. In einem internen Papier heißt es, dass die nicht relevanten Gespräche nach 180 Tagen gelöscht wurden. Allerdings heißt es auch, dass über die nichtgelöschten Telefonate „Vermerke angefertigt und Verfahren zugeordnet“ wurden. Welche Verfahren das sind und wo sich die Akten befinden, bleibt vorerst ebenfalls unklar.
Anfang 2013 war bekannt geworden, dass die Telefonanlagen in der Thüringer Polizei eine Mitschnitt-Funktion haben. Diese ermöglicht es, Gespräche die über diese Apparate geführt werden, aufzuzeichnen und zu speichern. Gleichzeitig haben sie auch die Funktion, Gespräche in einem Raum abzuhören. Das Thüringer Innenministerium hatte damals erklärt, dass es keine Mitschnitte über diese Telefone gebe.
Gewerkschaft und Politiker fordern Aufklärung
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) äußerte sich empört. Die Glaubwürdigkeit des Ministeriums habe extrem gelitten, sagte der Thüringer Landesvorsitzende Kai Christ. Bereits im Jahr 2013 habe es Gerüchte darüber gegeben, die das Ministerium aber dementiert habe (Zufälle gibt’s: Polizeigewerkschaft fordert Taser und wird von Taser-Hersteller gesponsert (Videos)).
Christ forderte von Innenminister Holger Poppenhäger und Staatssekretär Udo Götze „eine einhundertprozentige Aufklärung“, welche Telefonnummern und Apparate überwacht wurden und was mit den Aufzeichnungen geschehen ist. In der Polizei hätten die Meldungen über die Mitschnitt-Praktiken eine erhebliche Unruhe ausgelöst.
Und ich warne jeden davor, uns da geschönte Zahlen oder irgendwelche Wischi-Waschi-Informationen vorzulegen.
Der Thüringer GdP-Landesvorsitzende Kai Christ
Der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Landtag, Steffen Dittes, beklagte die Abhöraktion. Es sei massenhaft in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen worden. Dittes sagte MDR THÜRINGEN, es sei beruhigend, dass unter der rot-rot-grünen Landesregierung die Polizeiführung die Aufzeichnung gestoppt habe. Es sei nun Aufgabe des Innenministeriums, den Umfang von rechtswidrigen Gesprächsaufzeichnungen aufzuklären.
Der innenpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Wolfgang Fiedler, sprach von einem „gravierenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte“. Er forderte eine gründliche Aufklärung. Die CDU-Fraktion werde das Thema auf die Tagesordnung des nächsten Innenausschusses setzen.
Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Thüringer Landtag, Dirk Adams, nannte die Abhörpraxis „datenschutzrechtlich völlig inakzeptabel“. Die SPD-Fraktion forderte Aufklärung unter anderem darüber, wer von dieser Praxis gewusst habe.
Einstige Datenschutzbeauftragte wusste von Aufzeichnungspraxis
Thüringens derzeitiger Datenschutzbeauftragte Lutz Hasse äußerte sich zurückhaltend. MDR THÜRINGEN sagte er, sollten sich die Informationen bewahrheiten, habe es offenbar Datenschutz-Verstöße in Hülle und Fülle gegeben. Seine Amtsvorgängerin Silvia Liebaug musste sich bereits Ende der 1990er-Jahre mit dem Fall befassen.
Laut Tätigkeitsbericht hatte sie zusammen mit der Polizei die Dienstanweisung „Aufzeichnung von Telefongesprächsinhalten in der Thüringer Polizei“ erarbeitet. Die in Kraft getretene Fassung habe ihre „datenschutzrechtlichen Forderungen und Anregungen weitgehend berücksichtigt“, hieß es damals. Details werden in dem Tätigkeitsbericht für die Jahre 1998/99 nicht genannt (Polizeigewalt in Deutschland: Mit dem Gesicht im Dreck (Video)).
Mitschnitte nur mit richterlicher Genehmigung
Grundsätzlich dürfen Telefone von der Polizei nur abgehört werden, wenn ein Richter das anordnet. In Notfällen, wie bei einer schweren Straftat oder bei der Ortung von Vermissten, darf der Leiter einer Polizeibehörde das Anzapfen des Telefons anweisen. Er muss sich das aber im Nachgang von einem Richter bestätigen lassen.
Hintergrund dafür ist das Thüringer Polizeiaufgabengesetz. Zu diesem erstattet die Landesregierung jedes Jahr einen Bericht. In diesem wurde aber bisher das massenhafte Mittschneiden von internen und externen Gesprächen auf Polizeitelefonen nicht vermerkt.
Darüber hinaus werden, laut Gesetz, nur Notrufe über die Nummern 110 bei der Polizei offiziell aufgezeichnet.
Literatur:
Die Souveränitätslüge von Heiko Schrang
Gewalt ist eine Lösung: Morgens Polizist, abends Hooligan – mein geheimes Doppelleben von Stefan Schubert
Wenn das die Deutschen wüssten…: …dann hätten wir morgen eine (R)evolution! von Daniel Prinz
Polizisten außer Kontrolle? Zur Diskussion über die Notwendigkeit einer Überwachung der Polizei von Falko Drescher
Quellen: PublicDomain/mdr.de am 04.08.2016
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