Umbau der russischen Landwirtschaft: Auf dem Weg zur Selbstversorgung.
In Moskau fand Mitte Oktober das VTB-Investitionsforum „Russia Calling!“ statt. Eines der meistdiskutierten Themen war die Wirtschaftskrise in Russland. Doch gibt es die überhaupt? Dazu gab es konträre Ansichten.
Russlands aktuelle Wirtschaftslage stand im Mittelpunkt des siebten VTB-Investitionsforums „Russia Calling!“ am Dienstag und Mittwoch in Moskau, wo Vertreter des Staates, Bank- und Firmenvorstände sowie internationale Investoren diskutierten.
In Russland seien die Voraussetzungen für eine Wirtschaftskrise nicht gegeben, sagte Andrej Kostin, Präsident der zweitgrößten russischen Staatsbank VTB. Eine Krise in Russland sehen nur die, „die noch zu jung sind, oder die, deren Gedächtnis zu kurz ist“, so seine Ansicht. Oleg Deripaska, Chef der Unternehmensgruppe Basic Element und einer der reichsten russischen Unternehmer, schätzt die Lage anders ein: „Die Krise ist da.“ Erkennbar sei dies unter anderem daran, dass russischen Unternehmen der Zugang zu Kapitalmärkten fehle.
Hoffen auf Wachstum
Russland werde kein Wirtschaftswachstum erzielen, solange sich im Land nicht wieder die konjunkturellen Voraussetzungen wie im Jahr 2007 einstellten, lautet Oleg Deripaskas Prognose. Die russische Notenbank-Chefin Elwira Nabiullina ist dagegen zuversichtlicher. Der gegenwärtige Kurs der russischen Zentralbank in der Geld- und Kreditpolitik könnte dazu führen, dass das Wirtschaftswachstum bereits Ende 2016 wieder einsetze. 2017 werde die russische Wirtschaft dann einen stabileren Wachstumskurs einschlagen.
Andrej Kostin fasste sogar einen niedrigeren Leitzins ins Auge. Bei einer geringen Inflation könne die Zentralbank den Zinssatz bis Mitte 2016 auf 8,5 Prozent herabsenken. Am Leitzins orientieren sich die russischen Banken bei der Kreditvergabe. Derzeit liegt er bei elf Prozent. Seit Jahresbeginn wurde er kontinuierlich gesenkt – die steigende Inflation, die Abwertung der Landeswährung und der anhaltend niedrige Ölpreis haben zu dieser Entscheidung geführt. Im Dezember vergangenen Jahres wurde der Leitzins wegen des gegenüber US-Dollar und Euro schwachen Rubels noch von 10,5 auf 17 Prozent angehoben. „Treten die Prognosen für das nächste Jahr ein, sinken auch die Zinsen zur Mitte kommenden Jahres weiter“, meinte Kostin.
Schwierige Reformen
Alexej Uljukaew, der russische Minister für Wirtschaftsentwicklung, ist überzeugt, dass Russlands Rückkehr auf den Wachstumspfad unter den aktuell schwierigen Bedingungen nicht ohne das Schlucken einer „bitteren Reformpille“ möglich sein werde. „Die Rezepte sind uns allen bekannt. Doch das Heilmittel wird immer wieder beiseitegelegt – wie bei einem Kranken, der seine bittere Medizin nicht einnehmen möchte“, mahnte Uljukaew.
Russlands Finanzminister Anton Siluanow empfahl eine Umstrukturierung des Staatshaushalts und insbesondere eine Reduzierung der Ausgaben. „Wir können über Zinssenkungen und Inflationsrückgang reden, doch sind dies im Endeffekt makroökonomische Wachstumsvoraussetzungen“, erklärt Siluanow. Für ein stabiles Wachstum müsse das Land vor allem Anreize für Privatinvestitionen schaffen.
Die Krise – eine Frage der Wahrnehmung?
Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum vom September waren 38 Prozent der russischen Staatsbürger der Ansicht, dass Russland sich momentan in einer Wirtschaftskrise befindet. Das sind zehn Prozent mehr als im März des Jahres. Die Mehrheit der Befragten schätzt, dass die Krise noch etwa zwei Jahre andauern wird.
Das Vorgehen der Regierung unter den gegebenen Umständen wurde als insgesamt durchschnittlich bewertet. Auf das Konsumverhalten hat sich die Krise der Umfrage nach nicht ausgewirkt: Die Befragten stellten keine Veränderungen bei der Quantität ihrer Einkäufe, auch nicht bei der Vielfalt des Angebots und der Produktqualität fest.
„Eine Krise ist eher die subjektive Einschätzung der Wirtschaftslage durch die Bevölkerung“, meint Georgij Waschtschenko, Senior Operations Manager für den russischen Kapitalmarkt bei der Investmentgesellschaft Freedom Finance. Auf die Frage, ob Russland in einer Krise stecke, hat Waschtschenko jedoch auch objektiv betrachtet eine klare Antwort: „Produktionsrückgang in der Industrie das vierte Quartal in Folge und eine Inflation jenseits der zwölf Prozent sind klare Anzeichen für eine Wirtschaft in der Rezession.“
Umbau der russischen Landwirtschaft: Auf dem Weg zur Selbstversorgung
Laut dem „Gesetz über den Privatbesitz von Gartengelände“ von 2003 hat jeder russische Bürger das Recht, kostenlos und steuerfrei ein Grundstück mit einer Größe zwischen 2,2 bis 6,8 ha als Privateigentum zu erhalten. Der Effekt 2015: Die meisten Nahrungsmittel werden privat angebaut und machen über 50 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Produktion aus.
Die Landwirtschaft Russlands besteht aus Millionen kleiner Familienbetriebe, die die meisten der Lebensmittel herstellen, die benötigt werden. Die Politik in Russland fördert den eigenen Anbau und die Möglichkeit, Land, das frei zur Verfügung gestellt wird, zu bewirtschaften.
Bereits 1999 erwirtschafteten 35 Millionen kleine Familienbetriebe 90 Prozent der Kartoffeln, 87 Prozent der Früchte, 77 Prozent des Gemüse, 59 Prozent des Getreides und 49 Prozent der Milch, die in Russland benötigt werden. Ergänzt mit anderen Zahlen zeigt das, dass bereits 1999 geschätzt 105 Millionen Menschen, das sind 71 Prozent der russischen Bevölkerung, das meiste ihrer Lebensmittel selbst anpflanzten.
Gesetz von 2003 erfolgreich: Jeder russische Bürger kann kostenlos ein Grundstück bekommen
Jedes Grundstück kann zum Anbau von Lebensmitteln, aber auch einfach als Ferien- oder Freizeitgelände genutzt werden, die Regierung hat eingewilligt, dieses Land nicht zu besteuern. Das Ergebnis ist phänomenal: Gesamt gesehen bauen russische Familien praktisch alle Lebensmittel, die sie brauchen, selbst an.
Der Zwang zur Selbstversorgung seit den Sanktionen der EU hat durchaus auch positive Folgen.
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Literatur:
Russland verstehen: Der Kampf um die Ukraine und die Arroganz des Westens von Gabriele Krone-Schmalz
Die Eroberung Europas durch die USA von Wolfgang Bittner
Krieg in der Ukraine von F. William Engdahl
Wir sind die Guten.: Ansichten eines Putinverstehers oder wie uns die Medien manipulierenvon Mathias Broeckers
Quellen: de.rbth.com/epochtimes.devom 22.10.2015
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