Bis zu 250.000 Menschen haben am Samstag in Berlin nach Angaben der Veranstalter an Protesten gegen die umstrittenen Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada teilgenommen. Laut Umfragen lehnt die überwältigende Mehrheit der Deutschen den undurchsichtigen Handelspakt TTIP ab.
Das war eine der größten Demonstrationen in Deutschland seit Jahren: 100.000 Teilnehmer waren angemeldet, doch es kamen deutlich mehr. Die Polizei zählte am Samstag 150.000 Demonstranten; die Veranstalter sprachen von 250.000. Der Protest unter dem Motto „Für einen gerechten Welthandel“ wurde er von Umwelt- und Verbraucherschützern, Sozialverbänden und Gewerkschaften organisiert.
Laut einer Umfrage des ZDF sind 88 Prozent der Deutschen davon überzeugt, dass die Wirtschaft der Bundesrepublik durch TTIP keinesfalls profitieren würde.
Die TTIP-Gegner, zu denen auch die Grünen und die Linke gehören, kritisieren, dass die Verhandlungen mit den USA intransparent und ohne eine öffentliche Diskussion stattfänden. Auch befürchten sie eine Aushöhlung europäischer Regeln und ein Sinken ökologischer und sozialer Standards. Die regierende Koalition aus SPD und CDU hingegen verteidigt die umstrittenen Abkommen.
Die USA und die EU verhandeln bislang im Geheimen über das TTIP-Abkommen, das eine Freihandelszone von Hawaii bis Litauen vorsieht. Obwohl der Pakt 53 Länder und zwei Drittel der Weltwirtschaft tangiert, kennen laut WikiLeaks nur Großkonzerne die Details. Diese Enthüllungsplattform hatte im August 100.000 Euro Belohnung für geheime Informationen über TTIP angeboten.
Kritiker bezeichnen das Vorhaben als „Wirtschafts-Nato“ und vermuten, dass nur die Großwirtschaft von dem transatlantischen Abkommen profitieren würde. Seit Beginn der Verhandlungen, die in diesem Jahr abgeschlossen werden sollen, haben in EU-Staaten Hunderte Protestaktionen stattgefunden.
TTIP-Gegner „fundamentalistisch, nationalistisch und hysterisch“?
Der berüchtigte B.Z.-Kolumnist Gunnar Schupelius schoss angesichts der heutigen StopTTIP-Demo wieder einmal aus allen Rohren. „An alle TTIP-Feinde: Gegen wen geht ihr auf die Straße?“, fragt er in einem Beitrag des Boulevard-Blattes. RT Deutsch-Gastautor Steffen Aumüller, der wie zehntausende andere Menschen heute in Berlin gegen TTIP demonstriert, hat sich die Mühe gemacht diese Frage zu beantworten und prüft Schupelius´ Pro-TTIP-Werbung auf Stichhaltigkeit.
Gunnar Schupelius, Chefkolumnist der Berliner Tageszeitung B.Z. aus dem Axel Springer-Verlag, kann die TTIP-Gegner nicht verstehen. In seinem Beitrag „An alle TTIP-Feinde: Gegen wen geht ihr auf die Straße?“ wird Freihandel geradezu glorifiziert. Nach Schupelius´ Vorstellungen kann es keinen Zweifel daran geben, dass Freihandel wachsenden Wohlstand ermöglicht, und damit Freiheit und Demokratie „verteidigt“ wird. Dem Anti-TTIP-Bündnis wirft er dagegen vor, „ihrem Aufruf nach fundamentalistisch, auch nationalistisch und etwas hysterisch“ zu sein.
Video:
Das hat mich dann doch etwas aus der Fassung gebracht, weshalb ich mir die Aussagen mal genauer angesehen habe. Hat Schupelius recht? Dieser schreibt:
„Liest man den Aufruf zur Demonstration (www.ttip-demo.de), so gewinnt man den Eindruck, das Freihandelsabkommen sei ein ganz gefährlicher Angriff auf unser Land. Der Rechtsstaat, die Umwelt und der Schutz der Menschen seien in Gefahr, heißt es da. „Internationale Konzerne“ würden gestärkt und „kleine und mittelständische Unternehmen“ geschwächt. Diese Behauptung ist nicht richtig. Denn gerade die mittelständischen Firmen, auf denen unsere starke deutsche Wirtschaft beruht, werden am meisten von TTIP profitieren. Warum? Weil TTIP die Standards und Regulierungen angleicht.“
Dass unsere Wirtschaft besonders profitieren würde, wurde bereits 2014 widerlegt. Auch, dass mittelständische Unternehmen profitieren würden ist so pauschal nicht richtig. Natürlich kann es sein, dass das ein oder andere Unternehmen mehr Aufträge bekommt, das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass die Gesamtwirtschaft wächst, geschweige denn insgesamt mehr Arbeitsplätze entstehen. Weil auch der US-Wirtschaft mehr Vorteile gewährt werden müssen, ist es wahrscheinlicher, dass finanziell schwächere Unternehmen von stärkeren Konzernen verdrängt werden. Marktmonopole können so ausgeweitet werden, die Chancen für kleinere Unternehmen verschlechtern sich eher.
An den Vorbereitungen der TTIP-Verhandlungen war maßgeblich die Bertelsmann-Stiftung beteiligt (Bertelsmann: Hitlers bester Lieferant – gegenwärtige Einflussnahme), nicht gerade ein Vertreter des kleinen oder mittelständischen Unternehmertums. Da auch eher große Unternehmen, Konzerne und die Finanzindustrie die Ressourcen haben, um über Lobbyorganisationen in Brüssel und Straßburg auf Gesetzgebungsverfahren Einfluss zu nehmen, halte ich es für unwahrscheinlich, dass hier mehr Vor- als Nachteile für kleine und mittelständische Unternehmen entstehen.
Richtig ist, dass Standards „angeglichen“ werden sollen. Das wäre auch kein Problem, wenn garantiert werden würde, dass jeweils der höhere Standard übernommen wird. Da dies in der Regel aber mehr Regulierung und höhere Kosten bedeutet, ist es auch hier unwahrscheinlich, dass für die Verbraucher vorteilhafte „Angleichungen“ stattfinden. Schließlich geht es den Initiatoren ja darum Regulierungen und „Hürden“ abzubauen.
Schupelius:
„Es gibt Einwände gegen Einzelheiten des TTIP-Vertrages, die berechtigt erscheinen. Vor welchen Gerichten Investoren klagen können und wie transparent die Verhandlungen sein dürfen. Solche Streitpunkte lassen sich klären.“
Theoretisch lässt sich das klären, bisher gab es in diese Richtung aber noch keine Signale seitens der USA. Weil die USA auch Schiedsgerichte mit China durchsetzen wollen, werden sie es sich nicht leisten können auf diese bei TTIP zu verzichten. Bei den CETA-Verhandlungen ist es der EU ebenfalls nicht gelungen die Schiedsgerichtsbarkeit aus den Verträgen zu streichen!
Schupelius:
„Die Demonstration am Samstag aber wirkt ihrem Aufruf nach fundamentalistisch, auch nationalistisch und etwas hysterisch. Der Freihandel wird bekämpft wie eine böse Macht. Mit stark antiamerikanischen Tönen werden völlig unbegründete Ängste geschürt.“
Jetzt fährt Schupelius die schweren Geschütze auf: „fundamentalistisch, auch nationalistisch und etwas hysterisch“,“stark antiamerikanisch“. Man könnte jetzt meinen Schupelius spricht von Pegida oder einer terroristischen Untergrundbewegung, aber nein, dieser Vorwurf gilt allen Ernstes Organisationen wie dem DGB, ver.di, der IG-Metall, BUND, dem WWF, der Gewerkschaft der Polizei(!) usw.
Diese Organisationen mit solchen Kampfbegriffen in Verbindung zu bringen ist so absurd wie abenteuerlich. Es entsteht der Eindruck, dass es Schupelius nicht um das Widerlegen von Argumenten geht, sondern darum, Menschen mit anderer Meinung zu diffamieren.
Schupelius:
„Dabei ist es eine Binsenweisheit, dass erst der Freihandel den Wohlstand ermöglicht.“
Eine Binsenweisheit? Wirklich? Dann schauen sie, Herr Schupelius, sich doch mal die Geschichte des „Freihandels“ an! Der Wohlstand mehrte sich überproportional bei dem wirtschaftlich jeweils stärkerem Land. Viele Verträge sind durch Ausübung von wirtschaftlichem Druck -um nicht Erpressung zu sagen- zustande gekommen. Ehemalige Kolonien wurden damit in der wirtschaftlichen und finanziellen Abhängigkeit westlicher Staaten gehalten. Eine Entwicklung hin zu einer eigenen, selbstständigen Wirtschaft, wurde damit weitestgehend verhindert.
Die Auswirkungen dieser Art von Handel, sehen wir mittlerweile täglich in Form von Flüchtlingen sprichwörtlich an unsere Haustür klopfen. Angesichts dieser Umstände ist es geradezu zynisch zu behaupten, dass Freihandel Wohlstand bringt. Die Wahrheit ist, dass der Westen seinen Einflussbereich seit der Kolonialzeit unter anderem mit Freihandelsverträgen erhalten und ausgebaut hat. Dabei ging es immer darum anderen unsere Waren aufzudrücken, und gleichzeitig billig einkaufen und produzieren lassen zu können. Weil ein zu starkes Wachstum in diesen ehemaligen Kolonien und bei den neuen „Partnern“ steigende Preise und Lohnkosten zur Folge hätte, hatte der Westen bisher wenig Interesse an einem wirtschaftlichen Aufstieg dieser Länder. Entsprechend sind die Verträge auch gestaltet.
Schupelius:
„Eigentlich müsste die ganze Welt eine Freihandelszone werden, die scheitert an den vielen Diktaturen und unfreien Systemen.“
An diesem Satz stimmt eigentlich nichts. Er besteht nur aus Unterstellungen, z.B., dass jedes Land von mehr Freihandel profitiert. Aber kann man das so pauschal beurteilen? Nein! Freihandel ist der Erfahrung nach auch nicht gleichbedeutend mit fairem Handel, auch wenn das oft suggeriert wird. Und scheitert Freihandel an Diktaturen und unfreien Systemen? Nein, auch heute sind diese schon in solche Verträge eingebunden. Scheitert ein globales Handelssystem an diesen „unfreien Systemen“? Welche meint er überhaupt? Vielleicht die, die wir mit Waffen beliefern, oder die denen wir geholfen haben sich an die Macht zu putschen, damit sie unseren Interessen wohl gesonnen sind?
Und ist es nicht eher so, dass seitens des Westens auf der Ebene der Vereinten Nationen gar nicht ernsthaft versucht wurde eine gerechte, globale Wirtschaftsordnung zu etablieren? Oder warum waren die Hauptverantwortlichen für das Scheitern der Doha-Runde wieder die EU und vor allem die USA? Schupelius bestätigt meine Vermutung im Folgenden unfreiwillig:
„Die EU und damit auch unser Land kann sich auf Dauer nur im Verbund mit den USA im Welthandel behaupten. TTIP würde außerdem das westliche Bündnis stärken. Wir in Berlin wissen sehr genau, wie wichtig dieses Bündnis ist, um Freiheit und Demokratie zu verteidigen.“
Es geht also wirklich einfach um einen Machtkampf nach dem alten Freund-Feind-Schema. TTIP wird dabei als Mittel zum Zweck verstanden. Um den imperialistischen Ansatz der Ausweitung des eigenen Einflussbereichs mittels Knebelverträgen zu rechtfertigen, wird die eigene Ideologie oft als „westliche Werte“ bezeichnet und heroisiert. Weil wir die „freien“, „demokratischen“ Länder sind, müssen wir den Wirtschaftskrieg gewinnen, ja uns verteidigen. Ein präventiver Angriffskrieg quasi. Hier wird eine Bedrohung konstruiert. Der gute Westen muss sich gegen den unterentwickelten, bösen Rest der Welt behaupten.
Video:
https://www.youtube.com/watch?v=U5vRI4RQjtE
Damit kann ich dann auch Schupelius abschliessende Frage „Gegen wen geht ihr eigentlich auf die Straße?“ beantworten:
Ich gehe nicht speziell gegen jemanden auf die Straße. Ich gehe gegen die katastrophalen Folgen einer Wirtschaftsideologie auf die Straße, die wie eine Religion, längst empirisch widerlegte Dogmen predigt, und alles ausgrenzt, ja sogar bekämpft, was sich diesen Dogmen nicht unterwirft. Eine Wirtschaftsideologie namens Neoliberalismus, die uns bisher so segensreiche Wohltaten gebracht hat, wie den Abbau von sozialer Sicherheit, sinkende Reallöhne oder die wachsende Schere zwischen arm und reich.
Ich bin kein Gegner von Handel. Ich bin Gegner von unfairem, ökologisch unsinnigem Handel, der einzig die Profitmaximierung als Ziel und Motivation kennt. Ich bin überzeugt, dass die globalen Herausforderungen der Zukunft (Klimawandel, Nahrungsmittelknappheit, Kollaps des Finanzsystems…) es erfordern, vom hohen Roß des westlichen Heilsbringers, welcher Demokratie und Menschenrechte zu verteidigen hat, abzusteigen und auf Augenhöhe mit allen Nationen zu verhandeln, statt Spannungen und Ungleichgewichte weiter zu verfestigen, indem Wirtschaftsblöcke geschaffen werden um Machtinteressen zu sichern.
So viel dazu, wer hier ein nationalistisches Denken hat. Wer stellt seine Wertegemeinschaft, seine Ideologie hier über die von anderen? Wer ist hier fundamentalistisch, wenn auf fundierte Argumente der Gegner, nur mit Diffamierungsversuchen, unbelegten Behauptungen und verkürzter Kritik geantwortet wird? Wer hat hier die moralisch und ethisch schwächeren Überzeugungen? Schupelius, oder die Demonstranten, die sich für eine ökologische, nachhaltige und faire Weltwirtschaft engagieren?
Literatur:
38 Argumente gegen TTIP, CETA, TiSA & Co.: Für einen zukunftsfähigen Welthandel von Harald Klimenta
Reich und Arm: Die wachsende Ungleichheit in unserer Gesellschaft von Joseph Stiglitz
Die Freihandelslüge: Warum TTIP nur den Konzernen nützt – und uns allen schadet von Thilo Bode
Ändere die Welt!: Warum wir die kannibalische Weltordnung stürzen müssen von Jean Ziegler
Quellen: rtdeutsch.com/de.sputniknews.com vom 11.10.2015
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Dazu habe ich heute mit dem Titel „Wirtschaftsminister Gabriel, Sie sind feige und ein Verräter“ publiziert: „Gestern fand in Berlin die größte Demonstration seit ich denken kann statt. Nach geplanten 100 tsd. kamen 180 tsd., dann wurde von der Polizei der Zugang wegen Überfüllung gedrosselt. Der Bahnhof und alle Zugangswege wurden gesperrt und die Route durch die Stadt geändert. Hätte man dem Protestzug freien Lauf gelassen, wären weit über 250.000 Beteiligte auf den Beinen gewesen. Darum möchte ich auf diesem Weg allen Mitdemonstranten für den störungsfreien Ablauf danken, auch dafür, dass es keine Ausschreitungen und Sachbeschädigungen fremden Eigentums gegeben hat. Ich nehme an, dass die Antifanten der Grünen gerade in Syrien oder der Türkei sind und dem Üschmüsch Düglisch (ERDOGAN) und dem IS huldigen. Sonst wäre es nicht so friedlich gewesen. Dank auch allen Polizisten und anderen Helfern von Blaulichtorganisationen, die mit Augenmaß zur Seite standen.
Warum aber mein Vorwurf an Sigmar Gabriel? Als er die Heerscharen von Menschen sah, kochte ihm das Wasser im Arsc., so dass er es vorzog nach RLP zu flüchten, um dort am SPD-Landesparteitag teilzunehmen. Was hätte dagegen gesprochen, wäre er als Redner und Verteiger der Geheimverträge zu TTIP aufgetreten und hätte seinen Positionen verteidigt und zu den Stellungnahmen sich zu äußern. Was Herr Gabriel begeht, ist ein Betrug und Verrat an den deutschen Verbrauchern und Kleinstunternehmen. Der „kleine“ Handel und Herstellungsbetrieb im Lebensmittel- und Handwerksbereich wird durch TTIP, sollte es kommen, zum Aufgeben gezwungen. Die Löhne werden noch tiefer gehen, die Ware wird teurer und zerstört so den bis jetzt noch einigermaßen funktionierenden Handelsmarkt. Soweit darf es in Europa nicht kommen. Ich hoffe nur, dass wir uns auf europäischer Ebene mit 20 Mio. Demonstranten gemeinsam auf den Weh nach Brüssel machen und den Sesselfurz… gehörig Dampf machen. Die sollen sich nie mehr getrauen, Gesetze oder Handelsverträge gegen den Verbraucher und Kleinstunternehmer abzuschließen.“