Wir Deutschen beschäftigen uns gerne und immer intensiver mit unserer Gesundheit. Und obwohl die Menschen auf der Welt laut einer großangelegten amerikanischen Studie, die vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde, heute mehr als sechs Jahre länger leben als noch 1990, ist diese Entwicklung leider nicht nur positiv zu bewerten.
Umweltgifte, die falsche Ernährung, Stress und diese nach oben verschobene Alterspyramide bewirken, dass wir immer häufiger krank werden und der erhöhten Lebenserwartung wegen demnach immer länger krank sind.
Um entscheiden zu können, wie lebenswert unser verlängertes Leben ist, müssen wir nämlich zwischen allgemeiner Lebenserwartung und der sogenannten „gesunden Lebenserwartung“ unterscheiden. Die allgemeine Lebenserwartung wird nach der Anzahl der Jahre bis zu unserem Tod errechnet, aber die gesunde Lebenserwartung bezieht nur die Jahre ein, die wir gesund verbringen – ohne chronische Krankheiten oder Behinderungen.
Im Allgemeinen hat sich in den meisten Ländern die gesunde Lebenserwartung für Männer und Frauen zwischen 1990 und 2013 zum Positiven verändert, aber in Dutzenden von Ländern (wie Botswana, Belize oder Syrien) war die gesunde Lebenserwartung im Jahr 2013 nicht signifikant höher als im Jahr 1990. In einigen Ländern, darunter Südafrika, Paraguay, und Belarus, ist die gesunde Lebenserwartung sogar seit 1990 gesunken (Nur einer von 20 Menschen weltweit ist gesund).
Fakt ist, dass die gesunde Lebenserwartung nicht in gleichem Maße steigt wie die allgemeine, und die länderspezifischen Unterschiede sind schockierend. Während die Menschen südlich der Sahara oft nur knapp über 40 Jahre beschwerdefrei leben, sind es beim Spitzenreiter Japan rund 73 Jahre. Verständlicherweise sind die Gründe dafür sehr unterschiedlich und sowohl regionaler als auch sozio-ökonomischer Natur.
Während in Afrika in den letzten drei Jahrzehnten epidemische Krankheiten wie Aids oder Malaria die gesunde Lebenserwartung beeinflussten (AIDS, Opium, Diamanten und das Imperium), sind es bei uns oftmals Bedingungen und Krankheiten, die mit einem Überfluss einhergehen – zu viel Essen, zu viel Leistungsdruck, zu viel Sitzen, zu viel Information, zu viel Geschwindigkeit. Oder anders herum: wir essen zu wenig Gehaltvolles, wir langweilen uns zu wenig, wir bewegen uns nicht genug.
Die Pharmaindustrie frohlockt
Aber Innehalten ist unattraktiv, Langsamkeit nicht erwünscht. Alles sollen und wollen wir unter einen Hut bringen, und als Freund und Helfer verspricht uns die Pharmaindustrie eine Pille für jede Lebenslage. Burn-out bekämpfen wir schon im Kinderzimmer, und nur zu gerne gehen wir medikamentös auch gegen unseren Bluthochdruck sowie unseren erhöhten Cholesterinspiegel vor. Und um fit zu bleiben, greifen wir zu Prozac, Viagra, Kokain, Ritalin und anderen Drogen.
Die Pharmabranche hat leichtes Spiel mit uns, denn ihre Verkaufsinteressen gehen Hand in Hand mit unserem Wunsch nach ewiger Gesundheit sowie unserer Angst, älter und kränker zu werden. Außerdem hilft sie uns, unser schlechtes Gewissen zu beruhigen.
Denn wir wissen schließlich längst, dass in den Frühstücksflocken nur Zucker enthalten ist und in Tiefkühlkost kaum Vitamine stecken. Aber da der Wille schwach ist, lassen wir uns dann gerne den Bären mit den Nahrungsergänzungsmitteln aufbinden. Und haben wir wiedermal richtig über die Stränge geschlagen, dann hilft uns der Schlankmacher aus der Online-Apotheke.
Die sogenannte Gesundheitswirtschaft ist mit einem Anteil von über 11 % an der Bruttowertschöpfung der Gesamtwirtschaft eine der größten Teilbereiche der Volkswirtschaft. Das höhere Gesundheitsbewusstsein und eine zunehmend alternde Gesellschaft führen dazu, dass viele Patienten bereit sind, für Prävention und Gesundung viel Geld auszugeben, auch wenn das keineswegs immer sinnvoll ist (Warum Deine Großeltern keine Lebensmittelallergien hatten … Du aber schon).
Die umsatzstärksten Medikamente der Welt erwirtschaften jeweils zweistellige Milliardenbeträge im Jahr, allen voran ein Cholesterinsenker (Gesundheit: Cholesterin schadet? Alles erfunden!, obwohl deren Einnahme längst als fraglich gilt.
Unruhe im Pharmahandel
Machen wir uns nichts vor, bei dem großen Geschäft mit unserer Gesundheit hat die Pharmaindustrie vor allem ein Ziel vor Augen: den Profit. Denn die Branche ist in Aufruhr. Da viele Patente auslaufen, muss wieder verstärkt Geld in neue Forschung gesteckt werden, und Forschung ist teuer. Die Entwicklung einer neuen Arznei kann bis zu 15 Jahre dauern und weit über eine Milliarde Euro verschlingen.
Deshalb sind in keinem anderen Industriezweig die Unternehmen aktiver damit beschäftigt, Sparten abzustoßen, neue hinzuzukaufen oder kleinere Wettbewerber ganz zu übernehmen. So könnten die Firmen 2015 den Übernahmerekord aus dem vergangenen Jahr noch übertreffen:
2014 waren Zukäufe für mehr als 200 Milliarden Dollar verzeichnet worden, und in diesem Jahr sind es bereits über 180 Milliarden Dollar. Dabei geht allerdings wertvolles Wissen verloren, und am Ende kann es zu Lieferengpässen und Preiserhöhungen kommen.
Schon jetzt beklagen Krankenkassen immer wieder, dass patentgeschützte Arznei in Deutschland zu teuer sei. Laut einer Kassenstudie von 2014 finden in Deutschland innovative Medikamente zwar schneller als in anderen Ländern den Weg zum Patienten, aber das bezahle das Land deshalb mit hohen Arzneimittelausgaben und dementsprechend hohen Preisen.
Im europäischen Vergleich liegt Deutschland bei den Preisen im oberen Mittelfeld, außerdem noch mit dem folgenden Zusatz: Pharmahersteller in Deutschland können in den ersten zwölf Monaten nach der Zulassung eines neuen, innovativen Arzneimittels den Preis selbst bestimmen – zum Leitwesen der Patienten.
Besonders Generika-Hersteller sind begehrte Kaufobjekte, denn Generika kommen schnell auf den Markt, und da sie bei gleicher Qualität und Wirksamkeit viel billiger sind als ihre verwandten Originalprodukte, verdrängen sie in der Regel das Original bald aus den Apothekenregalen.
So erinnert sich wohl kaum einer mehr, welche Arzneimittel mit den Wirkstoffen Ibuprofen und Paracetamol, heute zum Beispiel von Ratiopharm (dieses Generika-Unternehmen gehört inzwischen dem israelischen Konzern Teva Pharmaceuticals), einstmals als Vorreiter vorausgegangen waren. Eines der wenigen Originalarzneien, die sich im Markt behaupten konnten, ist übrigens Aspirin.
“Die heutige Welt hat eine Bevölkerung von 6,8 Milliarden Menschen. Diese Zahl steuert auf 9 Milliarden zu. Wenn wir einen guten Job machen, was neue Impfstoffe, Gesundheitsfürsorge und Unterstützung bei Schwangerschaft und Fortpflanzungseingriffe [i.e. Abtreibung, d.Ü.] angeht, könnten wir diese Zahl um vielleicht 10 oder 15% reduzieren.“ Bill Gates
Das große Geschäft
Pharmaunternehmen sind viele Mittel recht, um den Verkauf ihrer Produkte anzukurbeln. Da beteiligen sie sich mitunter an klinischen Studien und manipulieren Forschungsergebnisse (Gekaufte Forschung: Wissenschaft im Dienst der Konzerne). Allein 2014 stoppte die Arzneibehörde BfArM den Vertrieb von insgesamt 80 Generika aufgrund der Verfälschung von Unterlagen durch zahlreiche große Pharmakonzerne weltweit.
Da beteiligen sich Ärzte ihrerseits am Apotheken-Onlinehandel, und während Apotheker bei rezeptpflichtigen Medikamenten verpflichtet sind, uns das billigste Generikum zu verkaufen, werden bei sogenannten OTC-Produkten die großen Gewinne gemacht.
Da werden Medikamente wie Dolormin für Frauen oder Tabletten speziell für Zahnschmerzen verkauft, deren Wirkstoffe die gleichen sind wie bei normalen Schmerzmitteln, die aber ein Vielfaches kosten können. Oder es wird Aspirin für Migräne angeboten, obwohl der Wirkstoff Acetylsalicylsäure bei Migräne keineswegs die beste Linderung erzielt.
Fazit: Das Medikament, das der Arzt uns verschreibt oder der Apotheker uns verkauft, ist nicht unbedingt das beste, sondern oft nur das am besten verkaufte oder für alle Beteiligten (uns natürlich ausgenommen) das lukrativste.
Gänzlich schützen können wir uns dagegen vielleicht nicht. Aber was wir unbedingt brauchen, ist ein gesundes Misstrauen gegen Medikamenten- und Arztgläubigkeit (Instinktbasierte Medizin: Wie Sie Ihre Krankheit … und Ihren Arzt überleben! (Videos)). Es ist an der Zeit, dass wir unsere Gesundheit noch ein Stück weiter selbst in die Hand nehmen, und das nicht nur, wenn es um Ernährung und Fitness geht.
Wir sollten uns weniger auf Ärzte, Pharmazeuten und Gesundheitsberichte verlassen, und vor allem unsere Medikation kritisch betrachten. Wer richtig recherchiert und informiert ist, stellt die besseren Fragen, kann seine Gesundheit besser schützen und wohlmöglich auch noch viel Geld sparen.
Literatur:
Gekaufte Forschung: Wissenschaft im Dienst der Konzerne von Christian Kreiß
Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität: Wie die Pharmaindustrie unser Gesundheitswesen korrumpiert von Peter C. Gøtzsche
Heilen verboten – töten erlaubt: Die organisierte Kriminalität im Gesundheitswesen von Kurt G Blüchel
Geplanter Verschleiß: Wie die Industrie uns zu immer mehr und immer schnellerem Konsum antreibt – und wie wir uns dagegen wehren können von Christian Kreiß
Quellen: PublicDomain/huffingtonpost.de vom 01.09.2015
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