Die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch wirft der Industrie in einer Studie vor, Kinder mit gesundheitsschädlichen Produkten zu ködern.
Die freiwillige Selbstbeschränkung der Lebensmittelhersteller bei der Werbung für Kinder ist laut einer Studie von Foodwatch wirkungslos. Trotz der seit 2007 bestehenden Abmachung würden für Kinder noch immer zu 90 Prozent ungesunde und unausgewogene Produkte beworben, urteilt die Organisation von Verbraucheraktivisten. Sie hatte die Werbung für 281 Produkte untersuchen lassen.
Foodwatch bewertete die Produkte unter anderem nach Kriterien der Weltgesundheitsorganisation WHO. Diese Kriterien erfüllten demnach trotz der Selbstverpflichtung nur 29 der getesteten Produkte. 252 sollten dagegen nicht für Kinder vermarktet werden, empfehlen die Autoren.
Die Lebensmittelwirtschaft wies die Foodwatch-Studie als „effektheischend“ und „unseriös“ zurück. „Foodwatch verunglimpft sichere und qualitativ hochwertige Lebensmittel aufgrund von Nährwertprofilen, die eine reine Empfehlung und keine verpflichtende Vorgabe darstellen, erst vor wenigen Monaten veröffentlicht und zudem in einem intransparenten Verfahren bestimmt wurden“, kritisierte der Hauptgeschäftsführer des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde, Christoph Minhoff. Es würden wissenschaftlich nicht belegte Kausalzusammenhänge behauptet.
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und Bundesernährungsminister Christian Schmidt (CSU) müssten dafür sorgen, dass an Kinder gerichtetes Marketing nur noch für Lebensmittel erlaubt werde, die den WHO-Kriterien entsprechen, forderte der Experte für Kinderernährung bei Foodwatch, Oliver Huizinga. Rein freiwillige Maßnahmen reichten offenbar nicht aus. Nötig sei eine Regelung auf Basis von Richtlinien der WHO, die in diesem Jahr veröffentlicht wurden. Auch die Deutsche Adipositas Gesellschaft, die Deutsche Diabetes Gesellschaft und diabetesDE unterstützen diese Forderung.
Laut WHO sollten bestimmte Produkte überhaupt nicht für Kinder beworben werden. Dazu gehören Schokolade und Süßwaren, Energieriegel, süße Toppings und Desserts sowie Kuchen, süße Backwaren, und Backwarenmischungen, Fruchtsäfte, Energy-Drinks und Speiseeis. Auch sobald in Produkten mehr als 0,5 Prozent der Gesamtenergie in Form von Alkohol gespeichert ist, fallen sie unter das Werbeverbot der WHO.
Im Jahr 2007 hatten zahlreiche Lebensmittelhersteller in einer EU-Initiative zugesichert, Regeln für an Kinder gerichtetes Marketing einzuhalten. Dadurch sollen nur noch Lebensmittel, die bestimmte Nährwertanforderungen erfüllen, an Kinder unter zwölf Jahren beworben werden.
Der Geschäftsführer der Deutschen Diabetes Gesellschaft, Dietrich Garlichs, konstatierte, die meisten als Kinderlebensmittel bezeichneten Lebensmittel seien „schlichtweg Süßigkeiten“. Marketing für solche Produkte müsse per Gesetz eingedämmt werden. Anders lasse sich „die Welle der Fehlernährung und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen nicht stoppen“, sagte Garlichs.
Die Lebensmittelwirtschaft wies die Foodwatch-Studie als „effektheischend“ und „unseriös“ zurück. „Foodwatch verunglimpft sichere und qualitativ hochwertige Lebensmittel aufgrund von Nährwertprofilen, die eine reine Empfehlung und keine verpflichtende Vorgabe darstellen, erst vor wenigen Monaten veröffentlicht und zudem in einem intransparenten Verfahren bestimmt wurden“, kritisierte der Hauptgeschäftsführer des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde, Christoph Minhoff. Es würden wissenschaftlich nicht belegte Kausalzusammenhänge behauptet.
Die Einteilung von Lebensmitteln in gut und schlecht oder gesund und ungesund sei ernährungswissenschaftlich nicht begründbar.
Sage mir, was Du isst und ich sage Dir, wer Du bist – wer der Lebensmittelwirtschaft blind glaubt ist schlichtweg verrückt. Denn glauben heißt nicht wissen!
281 Kinderlebensmittel im Test…
foodwatch wollte überprüfen, ob diese Selbstverpflichtungserklärung dazu geführt hat, dass tatsächlich nur noch ausgewogene Lebensmittel an Kinder vermarktet werden. Dazu wurde das Marketing der EU Pledge-Unterzeichnerfirmen in Deutschland, unter anderem Kellogg’s, Ferrero, Danone, Nestlé und Coca-Cola, untersucht: Die Nährstoffzusammensetzung aller Produkte, die sich in Marketing oder Werbung direkt an Kinder richten, wurde mit den Anforderungen der Weltgesundheitsorganisation an ernährungsphysiologisch ausgewogene Lebensmittel abgeglichen.
…und 90 Prozent fallen durch
Ergebnis: Von insgesamt 281 Produkten im Test erfüllen nur 29 die WHO-Kriterien. 90 Prozent (252) der Lebensmittel sollten nach Meinung der Gesundheitsexperten hingegen nicht an Kinder vermarktet werden. Das deutliche Ergebnis zeigt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Lebensmittelindustrie auch acht Jahre nach Unterzeichnung nicht zu einem verantwortungsvollen Lebensmittelmarketing für Kinder geführt hat. Mit der wohlklingenden Selbstverpflichtung inszeniert sich die Lebensmittelbranche zwar als Vorreiter im Kampf gegen Übergewicht und Fehlernährung –vermarktet aber gleichzeitig tonnenweise Süßigkeiten und Junkfood gezielt an Kinder. foodwatch kritisiert: Ein trauriges PR-Manöver, das nur von der eigenen Verantwortung ablenken soll. Die Lebensmittelwirtschaft ist nicht Teil der Lösung, sondern Kern des Problems.
Rein freiwillige Maßnahmen reichen nicht aus
Die medizinischen Fachgesellschaften und foodwatch forderten Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe sowie Bundesernährungsminister Christian Schmidt auf, an Kinder gerichtetes Marketing nur noch für Lebensmittel zu erlauben, die den WHO-Kriterien entsprechen. Rein freiwillige Maßnahmen der Lebensmittelindustrie reichen ganz offenbar nicht aus, wie das Studienergebnis deutlich zeigt.
Der „EU Pledge“ ist aus mehreren Gründen wirkungslos:
Die Nährwertgrenzen, wonach ein Produkt als ungesund gilt, sind zu lasch. Die WHO erlaubt beispielsweise einen Zuckergehalt bei Kinder-Frühstücksflocken von maximal 15 Prozent – im „EU Pledge“ sind bis zu 30 Prozent erlaubt. Auch fettig-salzige Chips sind gemäß der EU Pledge-Nährwertkriterien für das Kindermarketing zugelassen.
Zwar gibt es für klassische Werbung, beispielsweise im Fernsehen, Einschränkungen. Wichtige Marketingkanäle wie die Gestaltung der Verpackung (etwa mit Comic-Figuren oder Gewinnspielen) oder Aktionen direkt im Supermarkt sind aber ausgenommen – hier ist Kindermarketing für alle Produkte möglich.
Längst nicht alle Unternehmen haben die Selbstverpflichtung unterzeichnet. Zahlreiche Branchengrößen wie Dr. Oetker, Haribo, Bahlsen, Ehrmann oder Hipp fehlen ebenso wie der Lebensmitteleinzelhandel mit seinen Eigenmarken (Erschreckendes Testergebnis: Baby-Breie voller Zucker, Fett und Reinigungsmittel).
Die Altersgrenze ist mit 12 Jahren zu niedrig gewählt. Das Werbeverbot sollte für Kinder bis mindestens 16 Jahre gelten.
Konkrete Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation
Das WHO-Regionalbüro für Europa hatte Anfang 2015 konkrete Vorgaben definiert, wonach nur noch ernährungsphysiologisch ausgewogene Produkte an Kinder vermarktet werden sollten. Dabei spielen unter anderem die Anteile von Fett, Zucker und Salz, aber auch der Kaloriengehalt oder zugefügte Süßstoffe eine Rolle.
In Deutschland sind 15 Prozent der Kinder übergewichtig, sechs Prozent sogar adipös, also fettleibig – ihnen drohen Krankheiten wie Diabetes Typ 2, Gelenkprobleme, Bluthochdruck und Herz-Kreislauferkrankungen. Im Vergleich zu den 80er- und 90er-Jahren ist der Anteil übergewichtiger Kinder um 50 Prozent gestiegen. Der wichtigste Grund für das Übergewichtsproblem: Kinder ernähren sich falsch. Sie essen zu viele Süßigkeiten, fettige Snacks und trinken zu viele zuckerhaltige Getränke; Obst und Gemüse kommen dagegen zu kurz.
Literatur:
Opium fürs Volk: Natürliche Drogen in unserem Essen von Udo Pollmer
Vom Verzehr wird abgeraten: Wie uns die Industrie mit Gesundheitsnahrung krank macht
Eßt endlich normal! von Udo Pollmer
Die Essensfälscher: Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen (Allgemeines Sachbuch) von Thilo Bode
Quellen: PublicDomain/ZeitOnline/foodwatch vom 24.08.2015
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