Stille Erdbeben stehen noch nicht im Lehrbuch, doch sie können ganze Landstriche versetzen – ohne dass es jemand merkt. Dabei baut sich gefährliche Spannung auf, warnen Forscher.
Alle zwei Jahre bebt die Erde im Nordosten Neuseelands so gewaltig, dass Häuser kollabieren könnten. Doch nicht mal Kaffeetassen zittern, wenn sich im Untergrund auf einer Fläche so groß wie Hamburg und Berlin zusammen Abermillionen Tonnen Gestein verschieben – niemand spürt das geisterhafte Ruckeln.
Während stiller Erdbeben geschieht Spukhaftes: GPS-Sensoren verraten, dass ganze Landschaften verrutschen. Gegenden im Nordosten Neuseelands schieben sich dann binnen drei oder vier Wochen um mehrere Zentimeter nach Westen. Auch in Costa Rica, im Westen der USA, in Mexiko und Japan dokumentieren GPS-Geräte Wanderungen ganzer Landstriche.
Dabei kann sich so viel Gestein bewegen wie bei einem Starkbeben. Es verschiebt sich allerdings so langsam, dass keine Erschütterungswellen ausgelöst werden; die Felsplatten gleiten nahezu reibungslos übereinander oder aneinander vorbei – und zwar weitaus schneller als im Zuge der üblichen Erdplattenbewegungen.
Stille Erdbeben stehen noch nicht im Lehrbuch, Wissenschaftler kennen das Phänomen erst seit ein paar Jahren. Das lautlose Ruckeln galt als erfreulich, baut es doch Spannung im Boden ab ohne gefährlichen Ruck. Doch die Kriechbeben können neuen Studien zufolge bedrohlich werden: Sie übertragen Spannungen in die Nachbarschaft, wo dann Starkbeben zuschlagen können.
Spannung vor Tokio
Dem katastrophalen Tsunamibeben in Japan im März 2011, das den Super-GAU in Fukushima auslöste, seien mindestens neun Jahre lang stille Beben vorausgegangen, schreiben Geoforscher um Kazuki Koketsu von der University of Tokyo in „Nature Communications„. Das jahrelange Kriechen des Meeresbodens habe den Druck aufs Nachbargestein, das sich nicht mitbewegt hatte, stetig erhöht. Am 11. März 2011 hielt das Gestein der Spannung nicht mehr stand, es brach – das Beben schaukelte die verheerenden Tsunamis auf.
Mit Sorge verfolgen Forscher nun das Kriechen des Meeresbodens vor der Küste der Megastadt Tokio. Erdbebensensoren hatten in der Region stets nur erstaunliche Ruhe registriert.
Den Grund für die Ruhe offenbart die Analyse von GPS-Daten auf der östlich vor Tokio gelegenen Halbinsel Boso: Stille Erdbeben schieben den Landstrich unmerklich nach Westen, in manchen Monaten um mehrere Zentimeter – solch ein Versatz setzt so viel Energie frei wie ein Beben der Stärke 6,5.
Die Spannung im angrenzenden Gestein habe sich dadurch erhöht, warnt Shinzaburo Ozawa von der Geospatial Information Authority in Japan im Fachblatt „Geophysical Research Letters„. Der Zeitpunkt des nächsten starken Bebens nahe Tokio sei mithin näher herangerückt; die Erdbebenuhr wurde gewissermaßen vorgestellt.
Seekrank vom Erdbeben
Stille Beben können auch Tsunamis verstärken – das geschah offenbar 1947 in Neuseeland: 13 Meter hohe Wellen hatten den Nordosten Neuseelands verwüstet – die Gegend, wo heutzutage die stillen Beben registriert werden. Damals gab es dort einen Schlag der Stärke 7,1 am Meeresboden. Doch für 13-Meter-Wogen reicht die Wucht eines solchen Bebens nicht. Was war geschehen?
Rebecca Bell, Geologin am Imperial College in London hat Berichte von Zeitzeugen ausgewertet, sie stieß auf erstaunliche Aussagen: Das Beben wäre nicht als heftiges Wackeln spürbar gewesen, hatten Anwohner erzählt. Vielmehr rollte der Boden wie ein Schiff in stürmischer See. Sie seien regelrecht seekrank geworden, berichteten Betroffene.
Offenbar, folgerte Bell unlängst auf der Jahrestagung der Europäischen Geowissenschaftlichen Union EGU in Wien, habe sich der Boden bei dem Beben langsamer verschoben als üblich – wodurch sich die Tsunamis höher türmen konnten: Nachdem ein Ruck die Wellen losgetreten hatte, hob ein stilles Erdbeben wohl langsam den Meeresboden, sodass die Tsunamis gestaucht wurden – und sich stärker türmten.
An der berühmten San-Andreas-Spalte in Kalifornien kommen Geologen der Ursache stiller Erdbeben auf die Spur. Bereits 1960 entdeckten Arbeiter südlich der Stadt San Juan Bautista, dass ein zwölf Jahre zuvor gebauter Abwasserkanal zerrissen war und beide Seiten um 30 Zentimeter versetzt lagen – ohne dass es gebebt hätte.
Schmierstoff im Boden
Die Erklärung: Während sich im Norden und Süden Kaliforniens gefährliche Spannungen aufbauen, gleiten die Erdplatten entlang eines 200 Kilometer langen Abschnitts ohne Beben aneinander vorbei.
Bohrungen förderten mögliche Ursachen für die stille Bewegung zutage: Zwischen Felsblöcken entdeckten Geologen die Minerale Saponit – das sogenannte Seifengestein – und Talk, ein extrem weiches Mineral. Es entstehe wahrscheinlich in der Tiefe aus anderen Mineralen, die sich unter hohem Druck mit Wasser mischen, glauben Forscher (In 100 Kilometer Tiefe: Forscher entdecken mysteriöse Gleitschicht der Erdplatten (Videos)).
In größerer Tiefe könnten auch Hitze und Druck dafür sorgen, dass Gestein sich wie Knetmasse bewegt. Oder wirkt Wasser als Schmiermittel für Erdplatten wie in Vulkanen, die heißer Dampf häufig wummern lässt?
Was genau geschieht, soll ein Projekt klären, das Anfang Juli genehmigt wurde: Der Meeresboden vor der Küste im Nordosten Neuseelands soll verkabelt werden wie ein Intensivpatient. In anderthalb Kilometer tiefen Bohrlöchern wollen Wissenschaftler Sensoren verankern, die stillen Erdbeben sozusagen den Puls fühlen. Das Meeresboden-EKG geht per Funk direkt ins Labor.
„Dann verstehen wir hoffentlich, wie sich stille Beben ausbreiten“, sagt Geologin Bell. „Und wo sie den Boden unter Spannung setzen.“
Starkes Erdbeben erschüttert Salomonen
Auf den Salomonen-Inseln hat die Erde gebebt: Die US-Erdbebenwarte spricht von einem Erdbeben der Stärke 7,0. Über Opfer ist noch nichts bekannt. Eine Tsunamiwarnung haben die Behörden nicht herausgegeben.
Die Salomonen-Inseln im Südpazifik sind am Samstag von einem schweren Erdbeben der Stärke 7,0 erschüttert worden. Wie die US-Erdbebenwarte mitteilte, lag das Zentrum des Bebens rund 78 Kilometer nordwestlich der Stadt Lata und mehr als 580 Kilometer von der Salomonen-Hauptstadt Honiara entfernt. Über mögliche Opfer oder Schäden war zunächst nichts bekannt.
Starke Erdbeben sind auf den Salomonen häufig. Die Region liegt auf dem sogenannten Pazifischen Feuerring, wo mehrere Kontinentalplatten aufeinander stoßen. Diese sind ständig in Bewegung und lösen immer wieder Erdbeben aus. Im Jahr 2013 war die Salomonen-Stadt Lata von einem Tsunami überrollt worden, nachdem die Erde mit der Stärke 8,0 gebebt hatte. Damals kamen mindestens zehn Menschen ums Leben, tausende Menschen verloren ihre Häuser.
Aktuelle Übersicht der letzten drei Tag nach der europäischen Erdbebenwarte EMSC ab 4.0 in der Magnitude:
Das Erdbeben im Südpazifik bei den Salomonen wurde von Seismologen korrigiert und auf 6.9 in 10 Kilometern Tiefe korrigiert. Auffällig sind ein 5.0 in nur 3 Kilometern Tiefe nördlich von Norwegen (Bohrungen?), ein 4.1 in Polen (1 Kilometer Tiefe), sowie am Montag ein 4.6 im Golf von Kalifornien in 10 Kilometern Tiefe.
Video:
Bereits zwei Tage zuvor bebte die Erde in der Karibik nahe Barbados, nördlich von Südamerika mit seltenen 6.5 in 10 Kilometern Tiefe.
Es wurden keine Schäden oder Verletzte gemeldet.
Literatur:
Die Erde hat ein Leck: Und andere rätselhafte Phänomene unseres Planeten von Axel Bojanowski
Im Fokus: Naturkatastrophen: Zerstörerische Gewalten und tickende Zeitbomben (Naturwissenschaften im Fokus) (German Edition) von Nadja Podbregar
Naturgewalten. Vulkane, Erdbeben, Wetterextreme von Robert Dinwiddie
Quellen: PublicDomain/SPON/EMSC/dpa vom 20.07.2015
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