Die Masken gegenüber Griechenland fallen: Der Präsident des EU-Parlaments will eine Technokraten-Regierung, eine Vereinbarung mit den Gläubigern und dann Neuwahlen in Griechenland.
Seine Einmischungen in die inländische politische Szene in Griechenland fortsetzend posaunte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, „es muss eine Technokraten-Regierung eingesetzt werden“.
Nachdem Herr Schulz Griechenland erst mit dem Ausschluss aus der Europäischen Union drohte, führt er nun an, im Fall des Überwiegens des „Ja“ bei dem Referendum am 05 Juli 2015 müsse der „SYRIZA-Epoche“ ein Ende gesetzt werden.
Tsipras ist unberechenbar und manipuliert das Volk
Im Gespräch mit der deutschen Zeitung „Handelsblatt“ führte der Präsident des Europäischen Parlaments an, dass „die Notwendigkeit der Durchführung vorgezogener Neuwahlen zwingend wird, wenn das griechische Volk für das Reformprogramm und folglich für den Verbleib in der Eurozone stimmt und Tsipras in logischer Konsequenz zurücktritt„.
Damit die Kontinuität des Staates in der Periode bis zu den Wahlen sichergestellt wird, „muss eine Technokraten-Regierung eingesetzt werden, damit wir fortfahren können, zu verhandeln“, fügte er an und vertrat: „Wenn diese Übergangsregierung zu einer logischen Vereinbarung mit den Gläubigern gelangt, wird dies das Ende der SYRIZA-Epoche sein. Danach wird Griechenland wieder eine Chance haben.“
Der Präsident des Europäischen Parlaments bezichtigte die SYRIZA-Regierung der Verantwortungslosigkeit und vertrat, der griechische Premierminister Alexis Tsipras „ist unberechenbar und manipuliert das Volk in Griechenland„, zeigt einen „fast demagogischen Charakter“. „Was mein Vertrauen bezüglich des Willens der griechischen Regierung betrifft, zu verhandeln, ist es inzwischen an dem absoluten Nullpunkt angelangt“, führ Martin Schulz fort.
Schuldenschnitt für die Ukraine: Mit Nachdruck wird beim IWF über eine Umschuldung verhandelt, die Griechenland verweigert wird
Es geht doch, könnte man sagen. Schaltet der Internationale Währungsfonds (IWF) im Fall Griechenland in der Frage eines Schuldenschnitts auf stur, fordert er den im Fall der Ukraine. So wurde mit den Gläubigern am Sitz des IWF in Washington gerade vereinbart, in der kommenden Woche Verhandlungen ohne Vorbedingungen zu führen, denn der IWF drängt auf eine schnelle Einigung. Vitalij Lisovenko, der die ukrainische Verhandlungsdelegation anführte, hatte schon im Vorfeld gedroht, den Schuldendienst einzustellen, wenn das Treffen beim IWF scheitere.
Doch beim IWF ist man im Fall der Ukraine auch bei solchen Drohungen nachsichtig. Dabei soll es für private Geldgeber der Ukraine teuer werden, denn die sollen einen guten Teil ihrer Forderungen abschreiben. Sogar das im Frühjahr mit dem IWF vereinbarte Hilfsprogramm sieht das vor. Demnach erhält die Ukraine über die bisherigen Milliardenhilfen hinaus weiter 17,5 Milliarden US-Dollar vom IWF und dazu sollen weitere 7,5 Milliarden von anderen Geldgebern kommen. Eine Bedingung ist, dass Gläubiger ihrerseits auf etwa 15 Milliarden verzichten.
Ohnehin dürfte der IWF längst dem Land kein Geld mehr geben. Das haben frühere hochrangige IWF-Mitarbeiter immer wieder erklärt (lesen Sie hier mehr).
Griechenland? Die USA sind schon seit 44 Jahren insolvent
Es ist weder juristisch noch ökonomisch genau definiert, was ein Staatsbankrott eigentlich ist. Die USA haben die bisherigen Spielregeln 1971 überhaupt außer Kraft gesetzt. Nur eins ist fix: Am Ende zahlen die Bürger.
Anna Eisenmenger hat einen Staatsbankrott miterlebt, 1919 in Wien. Sie hat den Niedergang Österreichs nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg in ihrem Tagebuch dokumentiert: „Der Staat akzeptiert noch sein eigenes Geld für die spärliche Versorgung, die er uns zukommen lässt. Die privaten Händler weigern sich schon, ihre wertvollen Waren für Geld zu verkaufen, und verlangen nach etwas mit echtem Wert“, schrieb sie damals.
Eisenmengers Tagebuch wurde 1932 in Buchform veröffentlicht. Später (1975) zitierte der britische Autor Adam Fergusson ausführlich aus ihren Schilderungen. Sein Buch „Das Ende des Geldes“ wird heute wieder gelesen – nachdem der Megainvestor Warren Buffet es angeblich 2010 zur Lektüre empfohlen hat. Und warum auch nicht? Sind die westlichen Staaten nicht heute ähnlich katastrophal verschuldet wie damals Österreich und Deutschland? Drohen derartige Szenarien, wie Anna Eisenmenger sie erlebt hat, nicht auch heute? Zum Beispiel den Griechen?
Zuerst Revolution, dann Insolvenz
Ja und nein. Zuerst einmal muss man feststellen, dass es weder juristisch noch ökonomisch eine genaue Definition für einen „Staatsbankrott“ gibt. Das gilt heute genauso wie damals. Die brauchbarste Definition geht wahrscheinlich so: Bankrott bzw. insolvent ist ein Staat dann, wenn er seine Schulden nicht mehr bedienen kann – oder will.
Beides ist in der Geschichte schon hunderte Male vorgekommen. Der „politische Staatsbankrott“ ist zwar seltener – aber auch von einer eleganten Schlichtheit. Er findet dann statt, wenn eine neue Regierung die Schulden ihrer Vorgänger nicht mehr bedienen will und sie für „unrechtmäßig“ erklärt. Beste Beispiele: die berühmten Revolutionen.
So stand Frankreich schon vor der Revolution vor dem Bankrott. König Ludwig XVI. musste bereits zwei Drittel der Staatseinnahmen zur Bedienung der Schulden aufwenden. Nach der Machtübernahme sagten die Revolutionäre einfach „non“ und verweigerten weitere Rückzahlungen. Ähnlich war es 1917 in Russland. Dort waren es die Bolschewisten, und sie sagten „njet“ – aber das Prinzip war dasselbe.
Bei den „ökonomischen Staatsbankrotten“ gibt es wiederum zwei Wege: den offenen Staatsbankrott, wie Österreich ihn erstmals 1811 infolge der Napoleonischen Kriege erklärt hat – oder Deutschland 1923. In Beiden Fällen waren hohe Kriegsreparationszahlungen der Grund für die übermäßige Staatsverschuldung. Und in beiden Fällen ging der Bankrott mit einer Zerstörung der Währung durch eine Hyperinflation einher.
So war es auch nach dem Ersten Weltkrieg in Anna Eisenmengers Österreich. 1922 stand die jährliche Inflationsrate bei 1733 Prozent. Zwei Jahre später folgte eine Währungsreform – da hatten die einfachen Bürger schon alles verloren. Auf die offizielle Erklärung eines Staatsbankrotts wurde in diesem Fall verzichtet – ein verdeckter Bankrott also. Wahrscheinlich, weil der Umstand ohnehin für alle Welt sichtbar war.
Das harte Schicksal Neufundlands
Besonders bitter war der Staatsbankrott für Neufundland. Heute eine Region Kanadas, war Neufundland von 1907 bis 1934 als selbst verwaltete Kolonie innerhalb des britischen Empires ziemlich eigenständig. 1933 kam es aber zum Staatsbankrott bzw. Koloniebankrott. Ergebnis: Neufundland wurde die Selbstverwaltung entzogen, und London stellte es unter die Verwaltung einer Kronkommission. Ähnlich geht die Republik Österreich heute übrigens mit Pleitegemeinden um – nur dass die nicht in der Folge Kanada beitreten können – wie Neufundland 1947.
Alle bisher erwähnten Staatsbankrotte fanden in einer relativ simplen Welt statt, in der Gold (oder Silber) als Geld fungierten und die Schulden in eben diesen Metallen definiert waren. Konnte ein Staat seine Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen, wurden die Notenpressen angeworfen, die Währung zerstört und von vorne angefangen – mit dem Handicap einer in Trümmern liegenden Reputation, denn wer borgt einem Staat Geld, der sich gerade als zahlungsunfähig erklärt hat?
Die USA ändern die Spielregeln
Aber 1971 haben sich die Regeln geändert. Denn damals erklärte die größte Volkswirtschaft der Welt ihre Insolvenz – und nichts passierte. Das ist kein Scherz: Als US-Präsident Richard Nixon 1971 die Eintauschbarkeit des US-Dollars in physisches Gold „vorübergehend“ suspendierte, haben die Vereinigten Staaten de facto ihre Zahlungsunfähigkeit erklärt.
Man kann das natürlich auch als genialen Schachzug verstehen. Kein Dollar-Halter in der Welt wagte es zu protestieren – mit Ausnahme der Ölstaaten, die den Preis des „schwarzen Goldes“ in die Höhe trieben. Denn ein Zusammenbruch des US-Dollars hätte schlicht die gesamte Weltwirtschaft mitgerissen. Keine andere Währung war damals stark und groß genug, um die Rolle des Dollars zu übernehmen. Man machte einfach weiter wie bisher – und tat so, als wäre der Dollar „so gut wie Gold“. Heute ist er zumindest durch Öl „gedeckt“, weil Henry Kissinger die Saudis (und mit ihnen die Opec) infolge der Ölkrisen dazu überredete, Öl nur noch in Dollar zu handeln.
Weil sie die Weltwährung drucken und sich in ihrer eigenen Währung verschulden, konnten die USA inzwischen einen Schuldenberg von 18 Billionen Dollar aufbauen. Technisch ist eine offizielle Insolvenz Amerikas heute trotzdem unmöglich, kann die US-Notenbank Federal Reserve doch so viele Dollars drucken, wie ihr lieb ist. Bis heute werden diese Dollars von den übrigen Staaten (allen voran China) willig aufgesogen, um die Weltwirtschaft am Laufen zu halten. Denn die Alternative wäre heute wohl genauso dramatisch wie 1971. Wenn nicht sogar dramatischer.
Die Insolvenzen kleinerer Länder sehen derweil weiterhin ähnlich aus wie früher. Bestes Beispiel: Argentinien 2002. Jahrelang war der Peso an den Dollar gebunden, aber 2002 war die Diskrepanz zwischen der bereits inflationierten argentinischen Währung und dem Dollar zu groß: Das Land schlitterte in die Zahlungsunfähigkeit – und es sah ähnlich aus wie 1919 in Wien, nur dass die Hyperinflation nicht gar so arg ausfiel.
Griechenlands zwei Optionen
Bleibt Griechenland. Ein ganz großes Fragezeichen. Denn die heute hoch verschuldete westliche Welt hat zwei Blöcke mit extrem unterschiedlichen Voraussetzungen. Die USA scheinen sich bereits dafür entschieden zu haben, so lange Dollars zu drucken, bis die Erfolgsgeschichte einmal endet – dazu haben sie auch kaum ernsthafte Alternativen.
Aber diese Option haben die Staaten in der Eurozone nicht – eben weil sie in der Eurozone sind. Der Ausweg über die Inflationierung und ultimative Zerstörung der Währung steht Griechenland nicht mehr offen. Selbst dann nicht, wenn man die Drachme einführt, denn die Schulden des Landes lauten ja auf Euro und Dollar. Bleiben zwei Bankrottvarianten: offiziell die Zahlungsunfähigkeit zu erklären – und zu schauen, was dann passiert. Oder die Schulden für „unrechtmäßig“ zu erklären und ihre Existenz einfach zu leugnen. Nicht umsonst gibt es längst eine von Premier Alexis Tsipras eingesetzte Kommission zur Überprüfung der „Rechtmäßigkeit“ der griechischen Schulden an die Troika.
Dazu kommen dummerweise noch etliche Erfindungen der Neuzeit, wie die berüchtigten Credit Default Swaps. Die sind zwar in erster Linie ein Spekulationsinstrument, sollte es aber zu einem offiziellen Staatsbankrott kommen, würden diese „Versicherungen“ ausgelöst – was zu einer brandgefährlichen Kettenreaktion in den Märkten führen würde.
Aber diese Gefahren sind für die Griechen und andere vom Staatsbankrott bedrohte Menschen zweitrangig – denn egal ob 1919 oder 2015: Es sind immer die Bürger, die am Ende die Zeche bezahlen.
Literatur:
Die Plünderung der Welt: Wie die Finanz-Eliten unsere Enteignung planen von Michael Maier
Der Crash ist die Lösung: Warum der finale Kollaps kommt und wie Sie Ihr Vermögen retten von Matthias Weik und Marc Friedrich
Weltmacht IWF: Chronik eines Raubzugs von Ernst Wolff
Quellen: diepresse.com/griechenland-blog.gr/heise.de vom 02.07.2015
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