2000 Kilometer breit und 100 Meter tief: Ein gewaltiger Fleck warmen Wassers vor der Westküste der USA sorgt für Unwetter, lässt Tiere sterben – und bringt tropische Wesen nach Norden. Doch woher kommt der Strudel? Hat Fukushima etwas damit zu tun?
Meereskundler staunen, sie haben sogar Schiffsexpeditionen umgeleitet, um das Phänomen vor der Westküste der USA zu erforschen. Dort tummelten sich neuerdings tropische Tiere wie der Zwerggrindwal, berichtet der Biologe Robert Pitman vom Southwest Fisheries Science Center in San Diego im Wissenschaftsblatt „Science“. Die Wale lebten üblicherweise 2500 Kilometer südlich.
(Bild: Der Klecks (rot) hat eine weite Reise hinter sich: Im Herbst 2013 erschien er vor der Küste Alaskas. Seit Frühjahr 2014 schwappt die Lache südwärts an der Westküste der USA entlang. Im März dieses Jahres teilte sich das Gebilde in zwei. Eine Warmwasserspur (gelb-orange) verbindet die Region mit den Tropen – der Weg für Lebewesen nach Norden ist frei)
Derzeit fühlen sie sich auch im Norden vor der Küste Kaliforniens wohl. „Es ist toll, neue Tiere zu sehen, die ich nicht kenne“, schwärmt Bill Peterson, Fischereiexperte vom Northwest Fisheries Science Center in Seattle.
Ursache der Tierwanderung sei eine rund 2000 Kilometer breite Lache warmen Wassers, berichtet der Wetterdienst der USA (NOAA). Im Innern des Flecks sei das Meer bis in 100 Meter Tiefe ein bis vier Grad wärmer als normalerweise.
Der Klecks hat eine weite Reise hinter sich. Im Herbst 2013 erschien er vor der Küste Alaskas. Seit Frühjahr 2014 schwappt die Lache südwärts an Westküste der USA entlang. Im März dieses Jahres teilte sich das Gebilde sogar. Eine Warmwasserspur verbindet die Region mit den Tropen – der Weg für Lebewesen nach Norden ist frei.
Wie der Fleck entstand
Der Fleck habe sogar das Wetter verändert, sagte der Klimatologe Nick Bond dem Magazin „Science“: Aus dem milden Strom verdunstet mehr Wasser als normalerweise vor der US-Westküste. Der Sommer 2014 sei deshalb ungewöhnlich schwül gewesen, berichtet Bond – auffällig viele starke Gewitter zogen auf. Im Juli entzündete ein Blitz eines der größten Buschfeuer in der Geschichte Kaliforniens.
Nun drohe auch noch dramatischer Fischschwund, warnt NOAA-Forscher Kris Holderied: Wie ein Deckel liege die leichtere Warmwasserpfütze auf nährstoffreicherem Kaltwasser, das normalerweise Meerestiere versorgt. Vor der Küste Oregons schwinden bereits die Krabben. Und an der Küste Kaliforniens sind Tausende Seevögel verhungert – vermutlich ebenfalls eine Folge des wunderlichen Fleckens im Pazifik, meint der Ozeanograf Frank Whitney.
Wie aber gelangte der Warmwasserklecks in nördliche Gefilde? Offenbar habe ein ungewöhnlich stabiles Hochdruckgebiet Winde blockiert, die normalerweise das Meer aufwühlen und das Wasser mischen und dabei kühlen, spekuliert „Science“. Bei besonderen Wetterlagen könnten sich solch ungewöhnliche Strömungsmuster entwickeln, bestätigt der Ozeanforscher Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel.
Würziger Duft
Die Kopplung von Meeresströmungen an die Luft sei vielfach dokumentiert, bestätigt sein Kollege Martin Visbeck vom selben Institut. „Aus Sicht der Wissenschaft ist das Phänomen nichts Neues“, sagt er. Im großen Stil sorgt die Klimaschaukel „Pazifische Dekaden-Oszillation“ – eine rätselhafte Verbindung von Meeres- und Luftströmungen – alle paar Jahre für den Aufzug warmen Wassers im Pazifik.
Große Wirbel prägen weltweit die Oberfläche der Ozeane – Seefahrer erkennen sie oft am würzigen Geruch und grüner Trübung, denn Seetang und Algen sammeln sich in den Strudeln. Nicht wenige werden Hunderte Kilometer breit, sie saugen auch Müll ein, sodass sich riesige Plastikstrudel bilden.
Video: Tausende tote Seevögel an der Westküste
Mit etwa fünf Kilometern pro Tag kommen die Wirbel voran, sie transportieren gewaltige Mengen Wasser aus den Tropen nach Norden und zurück: Sie bewegen einer aktuellen Studie zufolge stets die 200fache Wassermenge, die der Amazonas ins Meer schwemmt.
Auch der Fleck vor Kalifornien dürfte wohl noch eine Weile Wetter und Tierwelt in Aufruhr versetzen. „Sehr warmes Wasser auf kühlem Wasser besitzt Stabilität, die Vermischung verringert sich“, erläutert Latif. „Auswirkungen auf das lokale Wetter und Ökosysteme sind denkbar.“
Die Grindwale jedenfalls scheinen sich wohlzufühlen in der Warmwasserlache. Eine wichtige Frage sei jedoch, ob das warme Wasser wenig Sauerstoff enthalte, gibt Latif zu bedenken: In diesem Fall könnte den Lebewesen die Puste ausgehen. „Fragen über Fragen“, sagt Latif.
Die Erforschung des Warmwasserflecks hat erst begonnen.
Oder hat Fukushima damit etwas zu tun?
Mehr als vier Jahre nach dem Atomunfall von Fukushima sind radioaktive Partikel der Katastrophe im Meer vor der nordamerikanischen Westküste gemessen worden. Wissenschaftler der Universität von Victoria haben in einer Wasserprobe vom 19. Februar, etwa 200 Kilometer westlich von Vancouver, die radioaktiven Isotope Cäsium 134 und 137 nachgewiesen. Beide entstehen durch Kernspaltungen in Atomkraftwerken und können wegen ihrer Halbwertzeit von zwei und 30 Jahren, so schreiben es die Wissenschaftler, eindeutig der Kernschmelze in den japanischen Atomkraftwerken zugeordnet werden.
Bereits in der Vergangenheit ist die Ausbreitung der Isotope im Pazifik gemessen worden. Anfang 2014 hatten Strömungen die Stoffe bis zum kanadischen Kontinentalschelf getrieben. Wenige Tage nach der Katastrophe am 11. März 2011 hatten sich radioaktive Partikel über die Atmosphäre bis nach Nordamerika ausgebreitet, auch in Europa wurden solche Stoffe in sehr geringer Dosis nachgewiesen.
Video: MSM Finally Admits Fukushima Radiation on West Coast
https://www.youtube.com/watch?v=kRXW7UwjWv0
Die nun gemessenen Konzentrationen sind angeblich weit unter den Werten, die als gesundheitsschädlich gelten. So liegt die Strahlendosis pro Liter für beide gemessene Stoffe bei einem Bruchteil des Wertes, der in der EU im Trinkwasser für unbedenklich gilt. Zwar sind rund 80 Prozent der in Fukushima ausgetretenen Radioaktivität über den Pazifik niedergegangen, der Ozean hat die Stoffe aber so weit verdünnt, dass von einer radioaktiven Welle oder Ähnlichem keine Rede sein kann. Das an den Messungen beteiligte Woods Hole Oceanographic Institution schreibt anschaulich: Wer täglich sechs Stunden in einem mit der doppelten Strahlendosis belasteten Meer schwimmt, hätte nach einem Jahr ein Tausendstel der Strahlendosis einer durchschnittlichen Röntgenuntersuchung beim Zahnarzt.
Diese Entwarnung in Nordamerika sollte jedoch nicht von einem oft unterschätzten Problem ablenken: Eine Röntgenuntersuchung ist eine einmalige Belastung, radioaktive Isotope dagegen reichern sich langfristig im Fettgewebe des menschlichen Körpers ab. Die Organisation „Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs“ rechnet mit langfristig erhöhten Krebsraten und möglicherweise Tausenden von Todesfällen (Immer mehr Japaner sterben nach Flucht aus Fukushima (Video)).
In Japan selbst fallen in den zerstörten Atomkraftwerken nach wie vor täglich 300 Tonnen radioaktiv verseuchtes Wasser an, wie der Chef des Betreibers Tepco, Naohiro Masuda, in einem Interview mit dem Fernsehsender NHK kürzlich einräumte.
Offen ließ er, ob dieses Wasser immer noch in den Pazifik gelangt – mittlerweile bereitet eine Filteranlage es zumindest teilweise auf. Eine Eiswand im Untergrund, die das Gelände abdichten sollte, steht aber noch immer nicht. Erst im Jahr 2020 sollen die Aufräumarbeiten in den Reaktoren beginnen.
Literatur:
Die Erde hat ein Leck: Und andere rätselhafte Phänomene unseres Planeten von Axel Bojanowski
Quellen: NOAA/SPAN vom 08.04.2015
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