Es ist erstaunlich ruhig geworden um den am 18. Januar tot aufgefundenen argentinischen Staatsanwalt Alberto Nisman. Denn die neuen Ermittlungsergebnisse passen nicht ins Narrativ der bürgerlichen Presse.
Zuvor beherrschten Schlagzeilen die Titelseiten, die mehr oder weniger direkt die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner für seinen Tod verantwortlich machten, und die rechte Opposition sowie relevante Teile des Justizapparates riefen zu Solidaritätsmärschen à la „Je suis Nisman“ auf.
Denn Nisman, so unisono die Darstellung in den großen Presseportalen Argentiniens, allen voran das Medienkonglomerat Clarín, und völlig unkritisch von allen westlichen Nachrichtenagenturen übernommen, stand kurz vor seinem Tod davor, die gewählte Präsidentin Fernández wegen „Vertuschung eines Terroranschlags“ auf das jüdische Gemeindezentrum AMIA in Buenos Aires 1994 anzuklagen, umfassende Beweislast inklusive. Sein Tod, so etwa auch „Spiegel Online“, mache den Weg frei für einen milliardenschweren Öldeal zwischen Argentinien und Iran.
Doch was im weiteren Verlauf der Ermittlungen zutage gebracht wurde, scheint nicht mehr ins Narrativ der bürgerlichen Presse in- und außerhalb Argentiniens zu passen. Also legt man in gewohnter Manier den Mantel des Schweigens um nicht genehme Enthüllungen. Denn Nisman war im Übermaß korrupt und ließ sich laut Wikileaks-Enthüllungen die Ermittlungsausrichtung zu AMIA direkt von den USA diktieren, die alles daransetzten, alternative Ermittlungsspuren zu eliminieren, und nur einen Schuldigen sehen wollten: den Iran.
Zum einen kam im Zuge der Ermittlungen heraus, dass der „Aufklärungsheld“ Nisman regelmäßig hohe fünfstellige Beträge aus dem AMIA-Ermittlungsetat für Besuche in exklusiven Sex-Clubs und Auslandsreisen mit Edelprostituierten veruntreute sowie seinen Mitarbeitern überhöhte Gehälter zahlte, von denen er allerdings die Hälfte wieder in die eigenen Taschen fließen ließ. Auch zwang er seinen Mitarbeiter Diego Lagomarsino, Auslandskonten in den USA zu eröffnen, auf denen dann aus bisher unbekannten Quellen mehrere Hunderttausend US-Dollar eingezahlt wurden. Lagomarsino war auch derjenige, der Nisman die Pistole geliehen hatte, die neben seinem leblosen Körper gefunden wurde.
Wer hinter den Geldtransfers an ihn und andere Strohmänner von Nisman steht, darauf deuten die bereits 2013 im Rahmen von Wikileaks veröffentlichten Depeschen der US-Botschaft in Buenos Aires hin.
Von 2006 bis 2013 versandte die US-Botschaft aus Buenos Aires insgesamt 196 Depeschen und E-Mails in Bezug auf die AMIA-Ermittlungen und den leitenden Staatsanwalt Nisman. Die Telegramme zeichnen ein Bild des Einflusses der US-Botschaft auf die gesamten Ermittlungen, die bezeugen, dass Argentinien noch immer als der Hinterhof betrachtet wird, für den die USA den gesamten lateinamerikanischen Subkontinent halten.
Die von Wikileaks veröffentlichten Berichte belegen dutzende Besuche von Nisman in der US-Botschaft, bei denen er die Ausrichtung des Falles diskutierte, in sehr devoter Form sich regelmäßig bei US-Diplomaten entschuldigte für die wenigen Male, in denen er Ermittlungsmaßnahmen traf, die er zuvor nicht mit den USA abgesprochen hatte, und zeigte ihnen Ermittlungsberichte, die er erst nach Zustimmung der US-Botschaft der argentinischen Justiz präsentierte.
Beispielspielhaft eine E-Mail vom 27. Februar 2008, in der sich die diplomatische Vertretung der USA in Argentinien gegenüber Nisman verärgert zeigt über Ermittlungsansätze, die von der „iranischen Spur“ wegführen würden:
„Es sollte weder die syrische noch die lokale Spur weiterverfolgt werden. Dies könnte sonst den internationalen Fall gegen die angeklagten Iraner abschwächen.“
Diese Anweisungen, die direkt an Nisman ergingen, kamen von der Rechtsabteilung (oficina legal) der US-Botschaft. Laut Recherchen der argentinischen Tageszeitung „Pagina 12“, handelt es sich dabei lediglich um einen Fantasienamen, in Wirklichkeit stehe der US-amerikanische Inlandsgeheimdienst FBI dahinter.
Zuvor hatte Nisman Haftbefehl gegen den ehemaligen argentinischen Präsidenten Carlos Menem und mehrere damalige Regierungsbeamte wegen Verfälschung und Einflussnahme auf die AMIA-Untersuchungen erlassen.
Alberto Kanoore Edul, ein Argentinier mit syrischen Wurzeln, hatte in der Woche vor dem Attentat mehrmals mit Carlos Telleldín telefoniert. Telleldín, war der Autohändler, der den gestohlenen Lieferwagen Traffic organisiert hatte, welcher für den Bombenanschlag gegen das jüdische Kulturzentrum benutzt worden war. Als jedoch ein Durchsuchungsbefehl für das Haus von Edul erlassen wurde, intervenierte sein Vater, ein guter Freund des damaligen Präsidenten Menem, direkt im Regierungspalast Casa Rosada, was die Durchsuchung über mehrere Stunden verzögerte.
Doch die USA wollten weder, dass Menem und die „Syrer“ um Edul angeklagt wurden, noch dass die sogenannte „lokale Spur“ weiterverfolgt wurde. Ihnen ging es ausschließlich um ein Ziel: die Anklage gegen den Iran.
Die ersten Ermittlungsergebnisse zum Attentat gegen AMIA richteten sich nämlich zunächst nicht gegen den Iran, sondern gegen die so genannten „Carapintadas“ (bemalte Gesichter), Mitglieder in der Armee und Polizei mit ausgeprägt antisemitischer Tendenz, die in die Militärdiktatur von 1976 bis 1983 verwickelt waren.
In diesem Zusammenhang endete ein erster Prozess zu dem AMIA-Attentat mit dem Freispruch für fünf ehemalige Polizei- und Geheimdienstbeamte der Provinz Buenos Aires, die wegen Beteiligung an den Vorbereitungen des Anschlags angeklagt waren. Einer von ihnen war beschuldigt wurden, 400.000 US-Dollar vom argentinischen Geheimdienst SIDE erhalten zu haben, um mit seiner Aussage den Verdacht auf den Iran zu lenken.
Dies wiederum soll auf Anweisung des Richters Juan José Galeano geschehen sein, der im weiteren Verlauf aufgrund von Unregelmäßigkeiten bei den Ermittlungen von dem Verfahren abgezogen und im August 2005 selbst unter Anklage gestellt wurde.
In diesem Zusammenhang wurden neben dem ehemaligen Richter Galeano auch Ermittlungsverfahren gegen den Leiter des argentinischen Geheimdienstes SIDE, Hugo Anzorreguy, den pensionierten Kommissar Jorge „El Fino“ Palacios und sogar den Vorsitzenden des Dachverbandes der jüdischen Gemeinden in Argentinien (DAIA), Rubén Beraja, eingeleitet.
Auch in diesem Fall intervenierte die US-Botschaft gegenüber Nisman und gab ihm zu verstehen, dass er diese „Ermittlungsrichtung“ nicht weiterverfolgen sollte, da, so die Argumentation in dem Botschaftstelegramm, „dies dem Iran Gegenargumente liefert“.
Ein weiteres Beispiel für die Einflussnahme der USA zeigt sich in einer Depesche vom Mai 2008. Aus dieser geht hervor, dass Nisman im Dezember 2007 den US-Diplomaten in Buenos Aires den Entwurf eines zweiseitigen internationalen Haftbefehls gegen die verdächtigten Iraner vorgelegt hatte, der diese aber nicht zufriedenstellte, weshalb sie in Folge diesem Entwurf ihre Zustimmung verweigerten. Zwei Monate später legte Nisman der US-Botschaft einen überarbeiteten, diesmal neun Seiten umfassenden Entwurf vor, den die US-Diplomaten dann wohlwollend akzeptierten.
Im Mai 2009 ruft Nisman in der US-Botschaft an, um ihnen im Voraus mitzuteilen, dass er den Haftbefehl gegen Samuel Salman El Rede als mutmaßlichen Koordinator des Attentats in die Wege leiten wird.
Bereits 2005, kurz nach seiner Einsetzung durch den Präsidenten Néstor Kirchner, kam es zu einem Vorfall, der geradezu sinnbildlich für die Ausrichtung der Ermittlungen von Nisman steht.
Nisman informierte zu Beginn des Jahres 2005 die Presse, dass er bereits über den Namen des Selbstmordattentäters, der sich vor der AMIA in die Luft sprengt hatte, verfüge und dessen in den USA lebende Brüder in Detroit diesbezüglich befragen werde. Bei dem Selbstmordattentäter handelte es sich laut dem Staatsanwalt um Ibrahim Hussein Berro, einen 21-jährigen Libanesen.
Nach seiner Rückkehr, verkündete Nisman, umgeben von US-Beamten, dass Abbas und Hassan Berro ihm gegenüber zugegeben hätten, dass es sich bei Ibrahim um den Selbstmordattentäter handeln würde.
Tatsächlich gaben die Aussagen der Brüder jedoch keine Grundlage für die Verlautbarungen von Nisman. Im Gegenteil. Laut ihren Aussagen starb ihr Bruder im Südlibanon. Die Berro-Brüder wiederholten diese Aussagen in zahlreichen argentinischen Medien und verneinten die von Nisman und den US-Beamten vorgebrachte Version.
Angesichts dieser Vorgeschichte und dem beinahe einhelligen Urteil über die keiner richterlichen Überprüfung standhaltenden Anklageschrift Nismans gegen die argentinische Präsidentin Cristina Fernández sprechen doch viele Indizien dafür, dass der leitende Staatsanwalt Ausflucht im Selbstmord gesucht und de facto auch gefunden hat.
Weitere Schusswaffe gefunden
Der Fund einer Schusswaffe wirft neue Fragen im Fall um den rätselhaften Tod des argentinischen Staatsanwalts Alberto Nisman auf. Die Entdeckung stütze ihre Behauptung, dass Nisman nicht Selbstmord begangen habe, sagte seine Ex-Frau Sandra Arroyo Salgado. Da es sich bei der gefundenen Pistole um Nismans eigene handelt, hätte sich ihr Ex-Mann die Waffe, die ihn tötete, nicht ausleihen brauchen, erklärte sie.
Nismans Mutter hatte die Waffe vor kurzem in einem Lagerraum gefunden und der Chefermittlerin Viviana Fein am Dienstag davon berichtet. Fein sagte, die Entdeckung sei unbedeutend, da es sich nicht um die Pistole handele, die Nisman getötet habe.
Quellen: informacionaldesnudo.com/amerika21.de vom 12.04.2015
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