Welches Essen Sie in Stimmung bringt! Ob Lebkuchen oder italienische Tomatensoße, Pilzgerichte oder Wurstwaren, Fruchtsäfte oder Cola, Hopfen oder Muskat: So manches, was wir essen und trinken, enthält psychotrope Stoffe, natürliche chemische Drogen, oder setzt sie in uns frei. Das Wissen darum ist seit jeher die Grundlage der Kochkunst – aber in größerem Rahmen erforscht wurde es noch nie. Mit diesem inspirierenden Ausflug in das kulinarische Reich der Sinne betreten die Autoren daher Neuland.
Kapitel:
Scharf auf Gewürze: Die Macht von Muskatnuss,
Pfefferkorn und Chilischote
Von Quarkjunkies und Krümelmonstern:
Exorphine
Drogen im Brot:
Das Mysterium des Abendlandes
Der Stoff, aus dem die Träume sind:
Amine, Alkaloide und Amphetamine
Lockruf des Waldes:
Von Göttern, Berserkern und Hippies
Bockbier vom Blocksberg:
Wenn nachts die Schatten wachsen
Die Betelnuss:
Suchtexperten sehen rot
Poseidons Zombies:
Nichts für schwache Nerven
Verführerische Früchtchen:
Gutbürgerliche Drogenküche
Mohn –die Mutter aller Drogen
Alkohol – der Vater des Rausches
Wenn die Rauschgoldengel kiffen:
Frohes Fest!
Nur für Gourmets:
Gartenfrisches Grünzeug
Vorwort
«Nach einem guten Essen kann man jedem verzeihen, sogar der eigenen Verwandtschaft», sinnierte schon der englische Spötter Oscar Wilde. Was aber macht ein gutes Essen aus? Die Vorfreude auf den Genuss, die Befriedigung beim Essen, die Genugtuung, beim Nachtisch angenehm gesättigt zu sein, und das entspannte Lebensgefühl nach einer Mahlzeit. Dieses Vergnügen verschafft uns die Kochkunst. Sie besteht nicht nur aus der Wahl der richtigen Gewürze. Wichtiger noch ist die korrekte Zubereitung. Sie ist das Ergebnis eines über Generationen weitergegebenen Erfahrungsschatzes, oftmals komplizierter Verfahren, die als kulturelle Leistung sich bis heute neben der Naturwissenschaft behaupten
konnten.
Die handwerkliche Küche hat trotz des raschen technischen Fortschritts ihre Verfahren bis zum heutigen Tag pflegen
können, einfach deshalb, weil hinter dem Genuss Geheimnisse liegen, die erst allmählich von den Naturwissenschaften erahnt
und aufgedeckt werden. Für den einen mögen ihre Ergebnisse Abgründe beschreiben, für den anderen sind sie ein Grund unbeschreiblicher Freude.
In diesem Buch wird zum ersten Mal der Versuch unternommen, das weitverstreute Wissen über die «Glücksbringer» in unserem Essen aus den vielen Fachgebieten wie Pharmazie, Lebensmittelchemie und Physiologie zusammenzutragen und daraus ein neues Bild von der Ernährung des Menschen zu zeichnen. Endlich erhält die berühmte «Physiologie des Geschmacks» eine fachliche Grundlage, eine Untermauerung, von der Brillat-Savarin nur träumen konnte. Fachsprachlich geht es um die Psychopharmakologie der Ernährung. Und dabei geht es nicht so sehr um Salz, roten Pfeffer und Bärlauch. Denn für das Glück des Genießers sorgen vor allem psychotrope Wirkstoffe, gemeinhin «Drogen» genannt. So findet man Amphetamine in Wurst und Glühwein, Antidepressiva im Safran, Stimmungsmacher wie b-Carboline im Ketchup. Und selbst der harmlos scheinende Salat hat’s in sich, gewisse Sesquiterpene nämlich. Sein getrockneter Saft wurde in den Apotheken einst als Opiumersatz gehandelt.
In diesem Buch möchten wir Sie mitnehmen auf eine Reise durch das faszinierende «Innenleben» unserer Speisen, Kräuter und Gewürze. Wir machen Sie mit deren Chemie, Wirkung und oft wechselvollen Geschichte bekannt und zeigen Ihnen, was Gerichten jenen kulinarischen Pfiff verleiht, der unsere Sinne betört, unseren Gaumen beglückt und uns die Welt in rosigem Licht erscheinen lässt.
Scharf auf Gewürze: Die Macht von Muskatnuss, Pfefferkorn und Chilischote
Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das seine Speisen würzt – und einen Koch auch mal fristlos vor die Tür setzt, wenn er es
wagt, ihm wiederholt schlabbrige Suppen und fade Soßen vorzusetzen. Obwohl Gewürze wie der Pfeffer in Europa viele Jahrhunderte lang erheblich teurer waren als Getreide, Gemüse und sogar Fleisch, wurden sie in heute schier unvorstellbaren Mengen konsumiert. Es heißt, der Pro-Kopf-Verbrauch von Pfeffer sei im Mittelalter zehn- bis hundertmal höher gewesen als heute – zumindest bei denen, die es sich leisten konnten. «Pfeffersack» werden auch heute noch Bürger geschimpft, die das richtige Näschen für lukrative Handelswaren bewiesen haben. Warum aber weckt gerade das, was ohne jeden Nährwert ist, kulinarische Begierde, wieso fuhren die Menschen ausgerechnet auf exotische Gewürze wie Zimt, Safran oder Muskat ab? Hätten es nicht auch Kerbel, Kümmel und Kamillenblüten getan? Offenkundig nicht.
Die übliche Antwort «Weil gutgewürztes Essen besser schmeckt» hilft uns nicht wirklich weiter. Denn das teuerste aller
Gewürze ist geschmacklich zugleich das lausigste: der Safran. Er riecht ein wenig nach Jodoform und schmeckt leicht bitter. Zwar färbt Safran alle Speisen hübsch sattgelb, doch mit Gelbtönen jeglicher Schattierung geizt die Natur sowieso nicht. Daher gab es schon immer erheblich billigere natürliche Lebensmittelfarben, wie die Gelbwurz (Curcuma ssp.) oder die Blüten der Färberdistel (Carthamus tinctorius).
Safran macht fröhlich Geblüt
Bedenkt man seinen wenig aufregenden Geschmack, so ist der Aufwand, den man zur Gewinnung von Safran treibt, geradezu
irrational hoch: Den Rohstoff liefern die Narben einer Krokusart (Crocus sativus), die mit ihren hellvioletten Blüten unserer
giftigen Herbstzeitlose ähnelt. Sie werden im Herbst einzeln per Hand aus den Kelchen geknipst. Ihr dürftiges Aroma entwickelt sich erst bei der Trocknung. Für die «billigste» Handelsqualität lässt man das Pflanzenmaterial einfach in der Sonne dörren. Um Spitzenqualitäten zu erzeugen, breitet man es auf Sieben aus, unter denen ein schwaches Feuer schwelt, oder auf Metallplatten, die von glühender Holzkohle erwärmt werden. Dabei verlieren die Narben etwa 80 Prozent ihres Frischgewichts, sodass man für ein Kilo Safran die Narben aus etwa 150 000 Blüten pflücken muss.
Safran ist seit Urzeiten in Gebrauch. Die Inder exportieren ihn seit über 5000 Jahren. 4000 Jahre alte kretische Keramik
und Fresken im Palast von Knossos zeigen Safranrupfer bei der Arbeit. Das Wort selbst ist dem Arabischen bzw. Persischen
entlehnt, von «za’faran» bzw. «safra» = gelb. In Persien gehörten safrangefärbte Kleider zur typischen Tracht der Könige. Griechische Dichter kleideten ihre Heldinnen in safrangefärbte Kleider, ein guter Grund für die gebildeten Luxushetären Athens, die goldgelbe Farbe auch zu ihrem eigenen Markenzeichen zu erheben.
Im bekanntesten Kochbuch der Antike, den Excerpta, wird unter den Gewürzen, die den vollkommenen Koch auszeichnen,
der Safran an erster Stelle genannt, gefolgt vom Pfeffer. Warum fanden alle Völker, die dieses merkwürdigen Produktes habhaft
wurden, einen solchen Gefallen daran?
Denn so langweilig Safran auch schmeckt, so giftig ist er. Um durch Safran zu Tode zu kommen, genügt nach Louis Lewin
(1850–1929), einem der bedeutendsten Toxikologen und Mitbegründer der Toxikologie, manchmal schon die «längere Einatmung seiner flüchtigen Bestandteile». Er fährt fort: «Nach älteren Berichten sollen schwere Erkrankungen, selbst der Tod, durch zufälliges Schlafen auf oder bei frischem Safran herbeigeführt worden sein.» Besonders Empfindliche wurden bereits beim Pflücken ohnmächtig. Andere Autoren beschreiben, dass bei Vergiftungen auch «heitere» Delirien und Rauschzustände auftreten.
Arzneikundige vergangener Jahrhunderte verglichen den Safran ausdrücklich mit Opium, nennen ihn gar «Opium für
Kinder». Nicht umsonst streckte man damit 2000 Jahre lang Laudanum oder setzte ihn dem Theriak zu, einem opiumhaltigen
Universalheilmittel (siehe S. 130). Der deutsche Arzt und Botaniker Adam Lonitzer (1528–1586), der unter dem Namen Lonicerus berühmte Kräuterbücher verfasste, rühmte den Safran, er mache «ein fröhlich und gut Geblüt». Andere bescheinigten dem Krokusgewächs eine schmerzstillende und krampflösende Wirkung. Safran wurde wie der Hopfen in der Volksmedizin als Beruhigungsmittel, bei Krämpfen und Asthma verabreicht sowie als Mittel gegen die Melancholie.
Der alte Spruch «Safran macht den Kuchen geel» deutet daher wohl weniger an, dass man mit dem teuren Gewürz einen höheren Gehalt an Eidottern vortäuschen konnte, sondern dass man damit süßem Gebäck ein bisschen mehr Sonntags-Dröhnung verleihen konnte.
Das färbende Gewürz ist ein wichtiger Bestandteil von Likören wie Chartreuse und diversen Magenbittern. Seine krampflösende und antidepressive Wirkung ist experimentell gesichert. Sie ist vergleichbar dem Medikament Imipramin, das gegen Depressionen verordnet wird. Doch auch mit modernster Analytik wollte es bisher nicht gelingen, die verantwortlichen Stoffe im Safran zu identifizieren. Dies mag daran liegen, dass die beiden typischen Inhaltsstoffe Picocrocin, auch Safranbitter genannt, und das daraus gebildete Safranal sehr reaktionsfreudige Substanzen sind. Beide gehören der chemischen Klasse der Aldehyde an. Aldehyde verbinden sich bereitwillig mit den in fast allen Nahrungsmitteln vorkommenden Aminen zu neuen Stoffen. So manches Mal kommen dabei auch psychisch wirksame Substanzen heraus.
Ganz gleich, welche Stimmungsmacher dabei im Kochtopf entstehen, ihre opiatartige Wirkung erklärt zwanglos die Bereitschaft der Menschheit, enorme Summen für ein paar Gramm trockener Blütenfitzelchen auszugeben, die keinerlei Nährwert haben. Würde Safran wie Kamelmist schmecken – so wäre selbst dieses Aroma zum Traum aller Köche avanciert.
Dass der Safran seit jeher von allen Völkern geschätzt wird, zeigt uns, dass wir es mit einem biologischen und nicht mit einem soziologischen Phänomen zu tun haben.
Halluzinogene Nüsse: Amphetamine
Die Früchte des Muskatnussbaums (Myristica fragrans) versprechen zwar mehr Gaumenkitzel als der Safran, sind aber
nicht minder giftig. Wenige Nüsse bereits können tödlich wirken. Schon im Jahr 1576 hat der spätere Leibarzt des englischen
Königs Jakob I., der flämische Botaniker Lobelius, auf diese Gefahr hingewiesen. Das störte die Hippies in den Sechzigern allerdings wenig. Wenn ihnen der Shit ausging, griffen sie einfach zu Muskat. Damit erweckten sie eine Praxis zu neuem Leben,
von der schon die Benediktineräbtissin Hildegard von Bingen (1098–1179) geschwärmt hatte. Sie riet, «Muskatnuss und zu
gleichem Gewicht Zimt und etwas Nelken» zu pulverisieren und daraus mit «Weißmehl und etwas Wasser Törtchen» zu bereiten.
Das «dämpft alle Bitterkeit des Herzens und … es macht deinen Geist fröhlich». Ergänzen wir dieses Rezept mit etwas Zucker,
können wir klassische Weihnachtsplätzchen aus dem Ofen holen.
«Wenn ein Mensch die Muskatnuss isst», verkündete die heilige Hilde, «öffnet sie sein Herz und reinigt seinen Sinn und
bringt ihm einen guten Verstand.» Ein anderer der Seherzunft, Michel de Notredame (1503–1566), genannt Nostradamus, ward dadurch eher um den Verstand gebracht. Seinem freizügigen Gebrauch des Küchengewürzes entsprangen seine düsteren Prophezeiungen. Die beiden Hauptbestandteile des ätherischen Muskatnussöls sind die beiden Aromastoffe Elemicin und Myristicin. Sie zeigen, so der Aromenspezialist Günther Ohloff, «nachweislich eine psychotrope Wirkung, die an die Eigenschaften des Meskalins [s.u.] erinnert und von leichten Bewusstseinsveränderungen bis zu intensiven Halluzinationen reicht». Der Pharmazeut Eberhard Teuscher bescheinigt dem Konsum der Muskatnuss die mögliche Wirkung von «Bewusstseinsstörungen verbunden mit intensiven Halluzinationen, die vor allem durch Veränderungen des Zeit- und
Raumgefühls und ein Gefühl des Schwebens charakterisiert sein können».
Die psychotropen Effekte werden allerdings weniger von Elemicin und Myristicin selbst hervorgerufen. Die eigentlichen
Wirkstoffe entstehen erst in der Leber: Dort werden sie von den körpereigenen Enzymen in Aufputschmittel umgewandelt, Amphetamine. Amphetamin ist in der Szene als speed bekannt, es wirkt anregend auf das Zentralnervensystem und löst eine
Euphorie aus. Andere bekannte Amphetamine sind die Designerdroge Ecstasy und das Meskalin aus dem halluzinogen
wirkenden Peyotl-Kaktus (Lophophora williamsii). Getrocknete Peyotlstücke werden noch heute bei den religiösen Riten mexikanischer und nordamerikanischer Indianerstämme verzehrt, die der «Native American Church» anhängen.
Die Amphetamine, die in der Leber aus Myristicin und Elemicin entstehen, haben leider wesentlich unübersichtlichere
Namen als die berauschenden Wirkstoffe in Kaktus oder Partypille. Aus Myristicin bildet sich eine Verbindung namens 3-Methoxy-methylen-dioxy-Amphetamin, kurz MMDA. Dieses Molekül sieht dem Ecstasy äußerst ähnlich. Elemicin verwandelt sich in das Trimethoxyamphetamin, kurz TMA. Es gleicht dem Kaktushalluzinogen Meskalin.
Ähnliche Aromastoffe wie Myristicin und Elemicin finden sich auch in zahlreichen anderen Gewürzen und Küchenkräutern.
Chemiker ordnen sie in die Gruppe der Allylbenzole ein. Der Körper kann theoretisch aus allen Allylbenzolen Amphetamine
bilden. Zu diesen meist aromatisch schmeckenden und duftenden Allylbenzolen gehören nicht nur das Myristicin aus der Muskatnuss, sondern auch das Apiol aus der Petersilie sowie das Eugenol aus Piment und Gewürznelken. Eugenol sorgte in
der Vergangenheit für den charakteristischen Geruch der Zahnarztpraxen, in denen das Nelkenöl als schmerzstillendes und entzündungshemmendes Mittel benutzt wurde.
Es geht um die Wurst
Zurück zum MMDA der Muskatnuss. Dieses Amphetamin sorgt in höherer Dosis für eine gewisse Gelassenheit, für ein entspanntes Gefühl. «Cool» würde man heutzutage sagen. Es hebt die Laune, und man neigt dazu, bereitwillig über Scherze zu lachen. Außerdem kann MMDA dazu führen, dass man alle Wahrnehmungen intensiver erlebt. Auch Colagetränke enthalten erkleckliche Mengen an Myristicin und Elemicin, was den weltweiten Erfolg der Ami-Brause erklärt.
Die Laune des Colatrinkers hängt aber nicht nur von Myristicin und Elemicin ab. Cola enthält ja auch Zucker und Coffein.
Beide sorgen dafür, dass sich der Serotoninspiegel im Gehirn erhöht. Serotonin ist ein körpereigener Botenstoff, der für gute
Laune sorgt. Wie alle Botenstoffe wird das Serotonin vom Körper natürlich nicht nur aufgebaut, sondern auch wieder abgebaut.
Anderenfalls geriete der Körper aus dem Gleichgewicht. Für diese Arbeit sind Enzyme zuständig, die Monoaminooxidasen
(MAOs) heißen.
Interessanterweise wird die Funktion dieser Enzyme von MMDA und TMA beeinflusst. Beide Stoffe blockieren die MAOs
in der Leber. Damit verhindern sie, dass das viele stimmungssteigernde Serotonin gleich wieder abgebaut wird. Das ist der Zusatzkick. Übrigens verhinderte bei Ratten bereits die Zufuhr von einem Milligramm Myristicin pro Kilo Körpergewicht den Abbau von Serotonin so effektiv, dass sich die Serotoninkonzentration in ihren Gehirnen verdoppelte.71 So bleibt auch der Colatrinker länger bei guter Laune – dank dem Zusammenspiel pflanzlicher Naturstoffe.
Ebenso wichtig wie für Colagetränke war Muskat für deutsche Wurstwaren. An Aminen, mit denen Myristicin und Konsorten ja
besonders gern reagieren, mangelt es in der Wurstmasse wahrlich nicht: Amine aller Couleur entstehen während der Fleischreifung aus Aminosäuren und Eiweißen. In der Wurst entstehen aber etwas anders strukturierte Amphetamine, die dem Aufputschmittel Methamphetamin (Pervitin) ähneln. In der Drogenszene ist es unter dem Decknamen Crystal bekannt.
Berauschende Stoffe können sich auch beim Pökeln bilden, denn das Nitritpökelsalz sorgt dafür, dass Halluzinogene entstehen, vor allem das Harman und das Norharman. Kein Wunder, dass deutsche Wurst – bevor die Fleischereien und Wurstfabriken
begannen, Gewürze durch Aromen zu ersetzen – einen ähnlich guten Ruf hatte wie schweizerische Schokolade oder spanischer
Sherry.
Drogen schreiben Weltgeschichte
Sobald man um die psychotropen Inhaltsstoffe von Gewürzen weiß, wird sonnenklar, warum sich Europas Reichtum entlang
der Gewürzhandelsrouten etablierte. Der Aufwand, mit dem diese Verbrauchsgüter beschafft wurden, suchte seinesgleichen.
Der Schriftsteller Stefan Zweig (1881–1942) gab uns wohl die eindringlichste Beschreibung dieses einträglichen Geschäftes:
«Durch mindestens zwölf Hände, so schriftet es melancholisch Martin Behaim seinem Globus, muss das indische Gewürz wucherisch wandern, ehe es an die letzte Hand, an den Verbraucher, gelangt. … Aber wenn auch zwölf Hände in den Gewinn sich teilen, so presst doch jede einzelne genug goldenen Safts aus dem indischen Gewürz, trotz allen Risiken und Gefahren gilt der Spezereihandel als der weitaus einträglichste des Mittelalters, weil bei kleinstem Volumen der Ware mit der größten Marge an Gewinn verbunden.»
Auch wenn Zweigs Sprache heute ein wenig antiquiert klingen mag, so war er wohl der Einzige, der die wirtschaftsgeschichtlichen Zusammenhänge erfasste. Er ahnte, dass den Gewürzen irgendetwas anhaftete, das sie so begehrenswert machte. Heute haben wir das pharmakologische Wissen, um die Richtigkeit seiner Auffassung zu bestätigen.
«Die Paläste Venedigs und jene der Fugger und Welser sind», so Zweig, «fast einzig aus dem Gewinn an indischem Gewürz
erbaut.» Die Spezereien, von Sklaven geerntet, wurden mit winzigen Praus – schlanken Seglern – von den Gewürzinseln nach
Malacca gebracht, dann von Dschunken durch drei gefahrvolle tropische Meere verschifft, bis Kamele die zunehmend teure
Fracht von Aden nach Ägypten durch die Wüste schaukelten.
Die Europäer ärgerte besonders, dass der gesamte Indienhandel fest in türkischen und arabischen Händen lag. Keinem
christlichen Schiff wurde die Fahrt auf dem Roten Meer gestattet, keinem christlichen Händler die Durchreise erlaubt. «Damit wird aber nicht nur den europäischen Verbrauchern die Ware unnütz verteuert», urteilte Stefan Zweig, «nicht nur dem christlichen Handel der Gewinn von vorneweg abgemelkt, es droht der ganze Überschuss an Edelmetall nach dem Orient abzufließen, da die europäischen Waren bei weitem nicht den Tauschwert der indischen Kostbarkeit erreichen. Schon um dieses fühlbaren Handelsdefizits willen musste die Ungeduld des Abendlandes immer leidenschaftlicher werden, der ruinösen und entwürdigenden Kontrolle sich zu entziehen, und schließlich raffen sich alle Energien
zusammen.»
Krieg den Heiden
Ihren ersten Versuch, sich endlich einen Anteil am Indienhandel zu erobern, startete die christliche Welt im Jahr 1095 mit dem
Aufruf Papst Urbans zum Kreuzzug in das Gelobte Land. Da die Europäer nichts Genaueres über die Herkunft der Gewürze
wussten, versuchten sie mit militärischen Mitteln ihr Glück dort, wo sie die Ware in Empfang nahmen – irgendwo zwischen Konstantinopel und Alexandria. Natürlich regte der sagenumwobene Ursprung der Gewürze im fernen Morgenland die Phantasie der Menschen an. Wer an diesen Quellen saß, musste unermesslich reich sein. Bald hatte der verarmte Landadel Europas das biblische Jerusalem vor Augen, dessen Straßen mit Gold gepflastert waren. Auf diese Weise ließen sich genug Soldaten für das militärische Unterfangen gewinnen.
Die machthungrige Elite des Vatikans hatte es natürlich nicht auf mehr oder minder leere Grabstätten in Palästina abgesehen,
sondern auf einträglichere Ziele. «Die Kreuzzüge waren keinesfalls», schreibt Stefan Zweig, «ein bloß mystisch religiöser Versuch, die Stätte des Heiligen Grabes den Ungläubigen zu entreißen; diese erste europäisch-christliche Koalition stellte zugleich die erste logische und zielbewusste Anstrengung dar, jene Sperrkette zum Roten Meer zu durchstoßen und den Osthandel für Europa, für das Christentum freizumachen.»
Es gelang den Kreuzrittern tatsächlich, Jerusalem zu «befreien» und damit einen Brückenkopf auf arabischem Boden zu etablieren. Kriegsgewinnler dieses Feldzugs waren vor allem die Venezianer. Sie kontrollierten von nun an den Gewürzhandel im gesamten Mittelmeerraum. Allein im Jahr 1411 bringen Venedigs Schiffe Gewürze im Wert von 540 000 Dukaten nach Europa. Damit erhält man einen Eindruck von den Summen, die die Europäer den Arabern zahlen mussten. Wozu noch Europa erobern, wenn es sein Kapital freiwillig abführte? Was konnten die Venezianer gegen die begehrten Würzdrogen des Orients schon aufbieten?
Historiker wie Walter Zöllner sprechen euphemistisch davon, «die europäischen Kaufleute verschifften im Austausch
Metalle», um im Nebensatz einzugestehen, dass es in erster Linie Gold und Silber waren, gefolgt von Waffen.
Ein anderes Handelsgut erwähnen nur wenige – und wenn doch, dann führen sie es nur schamhaft nach «Seife» und «Glas»
auf: Die Italiener lieferten den Muselmanen neben Gold und Silber vor allem Sklaven. Aber nach der Bekehrung der Ungarn und Slawen versiegte auch diese Handelsquelle, da die Italiener keine Christen als Sklaven verkaufen wollten. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ließen die Genuesen den Sklavenhandel aber mit türkischen und tatarischen Sklaven neu aufleben, die sie aus den Häfen des Schwarzen Meeres herbeischafften, um sie bei den Mamelucken in Ägypten gegen Gewürze und andere Waren einzutauschen.
Trotz der immensen Kosten verdienten die Kreuzfahrerstaaten so gut am Gewürzhandel, dass er ihre wichtigste Einnahmequelle wurde. Sie lebten von den Zöllen, die sie auf die Gewürze erhoben, und von den Erträgen ihrer Besitzungen im europäischen Mutterland…
Literatur:
Opium fürs Volk: Natürliche Drogen in unserem Essen von Udo Pollmer, Andrea Fock, Jutta Muth, Monika Niehaus
Quellen: PRAVDA TV/rowohlt.de vom 08.03.2015
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