Wer hat an der Uhr gedreht? Da die Erdrotation sich von der Weltzeit unterscheidet, wird immer wieder eine Schaltsekunde eingefügt. Heuer ist es am 1. Juli so weit. Das kann sensible Computersysteme gefährden.
Das aktuelle Jahr ist kein Schaltjahr, der Februar endete mit dem 28. Tag. Allerdings dauert die Nacht zum 1. Juli eine Spur länger, da wird nämlich eine Schaltsekunde eingefügt. „Das dient dazu, den Unterschied zwischen der Erdrotation und der auf Atomzeit basierenden Weltzeit (UTC) auszugleichen“, sagt Johannes Böhm vom Department für Geodäsie und Geoinformation der TU Wien.
Denn die Erde dreht sich nie gleich schnell. Winde und Gezeiten beeinflussen ihr Tempo. „Die Erdrotation lässt sich nicht genau prognostizieren“, so der Forscher. „Durch Ebbe und Flut in den Ozeanen ausgelöste Flutberge werden von der rotierenden Erde mitgenommen und durch den Mond zurückgehalten. Das bremst die Erde.“ Außerdem ändert die Atmosphäre sich ständig, Wetter und Jahreszeiten wechseln. „Hochdruck oder Tiefdruck, Sommer oder Winter haben eine unterschiedliche Wirkung“, sagt Böhm. Er vergleicht die Effekte mit einer Eiskunstläuferin, die die Arme während der Drehung anzieht oder vom Körper weghält. Dazu kämen Veränderungen im Erdinneren, die sich auf den Drehimpuls auswirken.
2000 Jahre alte Beweise
Die Erdrotation ist zwar schwer vorhersagbar, lässt sich aber relativ einfach zurückverfolgen. „Sonne und Mond laufen auf bestimmten Bahnen, das ist gut rückrechenbar“, sagt Böhm. So hätte die totale Sonnenfinsternis 136 vor Christus eigentlich in Südfrankreich stattfinden müssen. Beobachtet und dokumentiert wurde sie aber in Babylon. Laut Böhm ein historisch dokumentierter Beweis für die Verlangsamung der Erdrotation. Bevor der Unterschied zwischen der astronomischen Zeit und der Weltzeit über 0,9 Sekunden liegt, wird jedenfalls eine Schaltsekunde eingefügt. Das ist zuletzt 2012 und davor 2008 geschehen.
Wer sagt nun, wie spät es ist? Die Zeiten von hochexakten Atomuhren aus aller Welt werden in Paris am Bureau International des Poids et Mesures gesammelt, aus dem Mittelwert ergibt sich dann die Weltzeit. Die Ankündigung einer Schaltsekunde obliegt dem IERS, dem Internationalen Dienst für Erdrotation und Referenzsysteme. Dieser sammelt die Erdrotationsparameter von Organisationen weltweit und mittelt die Werte mit einer Genauigkeit von wenigen Mikrosekunden.
Extragalaktische Radioquellen
Wie die Erde rotiert, beobachten auch die Wiener Forscher mit riesigen Radioteleskopen – allerdings nur für die Forschung und nicht routinemäßig. Mit Antennen, die zwischen zwölf und, in Extremfällen, 100 Metern groß sind, zeichnen sie die Strahlung von Quasaren, das sind Kerne aktiver Galaxien, in einer Distanz von mehreren Milliarden Lichtjahren auf.
Dann bestimmen sie die Zeitdifferenz, um die die Signale an der einen Station früher als an einer anderen ankommen. Aus den Unterschieden lassen sich nicht nur die Winkel der Erdrotation mit höchster Präzision bestimmen, sondern auch die Koordinaten der Teleskope und der Radioquellen. Diese Informationen bilden eine wichtige Grundlage für Navigationssysteme wie GPS oder künftig Galileo. Sie bilden eben auch die Basis für die Berechnung der koordinierten Weltzeit. Daran orientiert die Mitteleuropäische Zeit sich: mit plus einer Stunde im Winter und plus zwei Stunden im Sommer.
Schaltsekunde abschaffen?
Ob die Anpassung der Weltzeit um eine Sekunde wirklich notwendig ist, wird intensiv diskutiert. Sie könnte sicherheitskritische Computersysteme wie etwa die Synchronisation von Netzwerken oder Finanztransaktionen gefährden, lauten Befürchtungen. Tatsächlich seien empfindliche Computersysteme ein guter Grund, die Schaltsekunde aufzugeben, so Böhm.
Zwingenden Grund für eine ständige Zeitumstellung im Kleinen sieht er nämlich keinen: Genauso gut könnte man die Uhr etwa alle 60 Jahre eine Minute nach vorn stellen, Risiken ließen sich so vermeiden. Die Navigationssysteme GPS und Galileo berücksichtigen Schaltsekunden übrigens ohnehin nicht. Außerdem benötigen sie den Unterschied zwischen Erdrotation und Weltzeit mit Mikrosekundengenauigkeit.
Quellen: EPA/diepresse.com vom 27.02.2015
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