Marodes Deutschland: Brücken befahren verboten

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Dem Bundesverkehrsministerium zufolge sind 6000 von insgesamt 39 000 Fernverkehrsbrücken in Deutschland marode. Experten gehen von einer deutlich höheren Zahl aus.

Bis 2017 stellt Verkehrsminister Dobrindt mittels eines Sonderprogramms gut eine Milliarde Euro bereit. Das reicht für gerade einmal 78 Brücken.

Grund für die leidende Infrastruktur ist der dramatisch gestiegene Schwerlastverkehr, der beim Bau der Brücken noch nicht abzusehen war.

Die Erhaltung des Fernstraßennetzes ist chronisch unterfinanziert. Laut Experten fehlen 1,3 Milliarden Euro jährlich.

Es war ein Scherz, wie ihn Der Postillon mehrmals täglich darbietet: „Statt wie bisher besonders baufällige Brücken für viel Geld zu sanieren oder neu zu errichten, ist nun eine kostensparende Umwandlung der Überführungen in Sprungschanzen vorgesehen“, schrieb die Satire-Website im November vergangenen Jahres. Den Autofahrern, die seit der Sperrung der Schiersteiner Brücke zwischen Hessen und Rheinland-Pfalz in einem der dadurch verursachten Staus stehen, dürfte nicht zum Lachen zumute sein.

Der Fall der maroden Rheinbrücke, die die Landeshauptstädte Wiesbaden und Mainz verbindet, wirft ein Schlaglicht auf die kränkelnde Verkehrsinfrastruktur in Deutschland. Dem Bundesverkehrsministerium zufolge sind etwa 15 Prozent der etwas mehr als 39 000 deutschen Straßenbrücken sanierungsbedürftig – macht knapp 6000 Brücken, deren Bauwerkszustand entweder „nicht ausreichend“ oder gar „ungenügend“ ist. Bauexperten gehen indes von einer deutlich höheren Anzahl aus. Günther Jost vom TÜV Rheinland schätzt, dass sogar fast jede zweite Brücke marode ist.

Enormer Investitionsbedarf

Alexander Dobrindt (CSU) weiß um den enormen Investitionsbedarf. „Die Modernisierung der Brücken ist eine Aufgabe, die weit über die Legislaturperiode hinausgeht“, sagte der Bundesverkehrsminister der Welt am Sonntag. Als Sofortmaßnahme hatte Dobrindts Ministerium deshalb ein Sonderprogramm von gut einer Milliarde Euro aufgelegt. Das Problem: Damit können bis 2017 nur insgesamt 78 Brücken saniert werden.

Dobrindt muss ständig Löcher stopfen, denn der Erhalt des Fernstraßennetzes leidet unter chronischer Unterfinanzierung. Für den Zeitraum 2011 bis 2025 schätzt das Bundesverkehrsministerium den Finanzbedarf für den Erhalt der Fernstraßen auf 3,4 Milliarden Euro im Jahr. Viel Geld, aber lange nicht genug. Eine Kommission unter Führung des ehemaligen Bundesverkehrsministers Kurt Bodewig kam 2013 zu dem Ergebnis, dass jährlich 7,2 Milliarden Euro notwendig sind, um die Verkehrsinfrastruktur zu erhalten. Allein das Defizit bei den Fernstraßen beträgt demnach 1,3 Milliarden Euro im Jahr.

Hauptverkehrsader im Rhein-Main-Gebiet

Eine der 78 Brücken, deren Neubau aus Dobrindts Extratopf finanziert wird, ist die Schiersteiner Brücke. Seit 2013 wird eine zweigeteilte Brücke gebaut, die mit je drei Fahrspuren das heruntergekommene, insgesamt nur vierspurige Bauwerk ersetzen soll. Allerdings ist das mit 225 Millionen Euro veranschlagte Projekt frühestens 2019 fertig. Bis dahin muss also der alte, zwischen 1959 und 1962 erbaute und knapp 1,3 Kilometer lange Teil der A 643 durchhalten.

Die Schiersteiner Brücke ist für den Straßenverkehr der Region enorm wichtig: Nach Angaben der Straßenverkehrsbehörde passieren pro Tag zwischen 80 000 und 90 000 Fahrzeuge die Verkehrsader im Rhein-Main-Gebiet. Oft können die vier Spuren das Verkehrsaufkommen nicht bewältigen, die Brücke wird ständig in den Staumeldungen der Radiosender erwähnt. Seit der Vollsperrung, die wegen der Überprüfung eines Brückenpfeilers nötig ist, geht nun gar nichts mehr – und das mindestens bis Rosenmontag, wahrscheinlich länger.

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Von der Entwicklung überrascht

Das nun vorerst gesperrte Bauwerk steht exemplarisch für viele Brücken, von denen die Mehrzahl in den Sechziger- und Siebzigerjahren errichtet wurde. Die meisten von ihnen sind Spannbetonbrücken, gebaut nach Standards, die von deutlich geringeren Belastungen ausgingen. Seitdem hat aber vor allem der schwere Güterverkehr stark zugenommen, zwischen 1980 und 2025 wird er sich nahezu verzehnfacht haben. Eine Entwicklung, die dazu führt, dass einige wichtige Brücken zum Nadelöhr geworden sind, durch den sich der Verkehr nur langsam windet.

Zum Beispiel die A-1-Rheinbrücke zwischen Köln und Leverkusen, die seit November 2012 für den Schwerlastverkehr gesperrt ist. Autos dürfen auf ihr nur noch 60 Stundenkilometer fahren. Oder die Rader Hochbrücke, auf der die Autobahn 7 über den Nord-Ostsee-Kanal führt. Dort gelten für Lastwagen über 7,5 Tonnen gleich mehrere Einschränkungen: Tempolimit von 60 Kilometer pro Stunde, Überholverbot und ein Mindestabstand im Stau von 25 Metern. Die „Sauerlandlinie“ A 45 von Hessen ins Ruhrgebiet gilt als längster Problemfall. Hier gibt es mehrere Dutzend sanierungsbedürftige Brücken, auf denen Lastwagen höchstens 60 km/h fahren dürfen. Alles Maßnahmen, um eine kurzfristige Vollsperrung wie bei der Schiersteiner Brücke so lange wie möglich hinauszuzögern.

Die Fehler liegen in der Vergangenheit

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Der Güterverkehr wuchs vor allem mit den Grenzöffnungen nach Osteuropa Anfang der Neunzigerjahre rasant an. Beim Bau dieser Brücken konnte damit noch niemand rechnen. Doch es wurden auch Fehler gemacht in der Vergangenheit. „Man hätte schon Ende der Neunzigerjahre wissen können, was auf die Fernstraßen zukommt“, sagt Verkehrsplanungsexperte Jürgen Berlitz vom ADAC.

Dem Automobilclub zufolge wurden zwischen 2001 und 2011 im Schnitt jährlich nur etwa 360 Millionen Euro in den Erhalt deutscher Fernstraßenbrücken investiert, obwohl zuvor ein Finanzbedarf von 600 Millionen Euro ermittelt wurde. Seit 2011 werden die Mittel kontinuierlich aufgestockt, mittlerweile steht jährlich etwa eine Milliarde Euro zur Verfügung. „Dabei müssten geschätzt allein für den Erhalt der Fernstraßenbrücken im Jahr 400 Millionen Euro mehr ausgegeben werden“, sagt Berlitz.

Doch nicht nur auf den Fernstraßen ist die Situation besorgniserregend. Auch Deutschlands kommunale Brücken verfallen zusehends. Im März 2014 identifizierte der ADAC allein in Berlin 78 Brücken, die dringend saniert werden müssen. Im letzten ADAC-Brückentest im Juni 2014 erreichten lediglich vier von 30 getesteten Brücken die Note „gut“. Genauso viele fielen glatt durch, drei weitere erhielten das Urteil „mangelhaft“, der Rest war „ausreichend“.

Auch die Eisenbahnbrücken sind marode

Diese Stichproben lassen sich laut ADAC auf ganz Deutschland anwenden. „Es ergibt sich ein relativ klares Bild, es herrscht allgemein Handlungsbedarf“, kommentierte ein Sprecher den Brückentest. Einer Aufstellung von Zeit Online zufolge sind außerdem fast ein Drittel aller Eisenbahnbrücken sanierungsbedürftig, 1200 davon dringend. Es verfestigt sich der Eindruck, dass Deutschlands Brücken-Infrastruktur zusehends verfällt.

Zusätzliches Geld muss also her, um die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Wer dabei auf die Pkw-Maut hofft, dürfte enttäuscht werden: Selbst Dobrindts optimistische Prognose, dass von 2016 an nach Abzug aller Systemkosten ein jährlicher Ertrag von etwa 500 Millionen Euro hängen bliebe, würde längst nicht ausreichen. Gut möglich also, dass es bald auch auf anderen Fernverkehrsbrücken heißt: Befahren verboten.

Quelle: dpa/sueddeutsche.de vom 11.02.2015

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